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       # taz.de -- Männerlastiges Berliner Landesparlament: Wo bleiben die Frauen?
       
       > Ausgerechnet Rot-Rot-Grün in Berlin schafft es bisher nicht, sich auf ein
       > Paritätsgesetz zu einigen. Nun setzt ein neue Studie die SPD unter Druck.
       
   IMG Bild: Die Männer im Abgeordnetenhaus reden, die Frauen hören zu: klingt nach 1950, war aber 2016
       
       Berlin taz | „Mannomann!“ Auch im rot-rot-grün regierten Berlin ist das
       leider noch der richtige Anfang für einen Text über die Gleichstellung von
       Frauen in der Politik. Seit 30 Jahren ist ihr Anteil im Abgeordnetenhaus
       keineswegs graduell gestiegen, wie mensch hätte erwarten können – vielmehr
       schwankt er deutlich. In den Bezirksparlamenten ist der Frauenanteil zwar
       höher, aber von Gleichstellung kann auch hier keine Rede sein.
       
       Das geht aus einer [1][Untersuchung] hervor, die die SPD-nahe
       Friedrich-Ebert-Stifung am Mittwoch vorgestellt hat. Die politische
       Schlussfolgerung der beiden Autorinnen der Studie: Es braucht dringend ein
       Paritätsgesetz nach Brandenburger oder Thüringer Vorbild. Aber Rot-Rot-Grün
       hat dafür noch nicht einmal einen gemeinsamen Entwurf vorgelegt. Und die
       Zeit wird knapp: Im Herbst 2021 wird wieder gewählt.
       
       „Freiwillige Regelungen in den Parteien reichen nicht aus, um
       gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern im Abgeordnetenhaus zu
       erreichen und diese auch langfristig zu sichern“, laut das Fazit der
       Autorinnen [2][Helga Lukoschat] und Paula Schweers. Sie haben den
       Frauenanteil bei den Wahlvorschlägen und in Landes- und Bezirksparlamenten
       seit 1990 ausgewertet.
       
       Nach den letzten Wahlen 2016 lag dieser Anteil im Abgeordnetenhaus bei 33,1
       Prozent, in den Bezirken bei 39,6 Prozent. Verglichen mit anderen
       Bundesländern steht die Hauptstadt zwar nicht so schlecht da: Platz fünf
       von 16 belegt Berlin damit. Die beiden anderen Stadtstaaten führen die
       Liste an, Hamburg hat als Spitzenreiter allerdings einen deutlich höheren
       Frauenanteil von 43,9 Prozent.
       
       Dazu kommt: Längerfristig betrachtet stagniert in Berlin die Entwicklung –
       bestenfalls. Denn 1995 lag der Anteil bei 38,4 Prozent, 2006 sogar bei 39,6
       Prozent, dem bisherigen Höchststand. Woran liegt das?
       
       Die entscheidende Rolle für den Anteil von Frauen und Männern in den
       Länderparlamenten spielen die Mehrheitsverhältnisse und dortigen
       politischen Konstellationen, heißt es in der Studie: „Je mehr Sitze
       Parteien erzielen, die interne Quotenregelungen haben, wie SPD, Grüne und
       Die Linke, umso höher ist in der Regel der Frauenanteil.“ Hintergrund ist
       die unterschiedliche, teils offen, teils diskret frauenfeindliche Kultur
       meist konservativer Parteien.
       
       Erzielen solche Parteien Wahlerfolge, kann eine hohe Quote von Frauen im
       Parlament eben auch wieder sinken. 2011 war der Grund dafür, dass die
       Piraten einmalig ins Abgeordnetenhaus einzogen: 14 ihrer 15 Abgeordneten
       waren Männer. Das zeigt, ganz nebenbei, dass auch als links gelabelte
       Parteien nicht unbedingt die Repräsentation von Frauen zum Ziel haben.
       
       2016 wiederum drückte der erstmalige – und hoffentlich ebenfalls einmalige
       – Einzug der AfD die Quote: Unter den 25 Abgeordneten der AfD befanden sich
       damals lediglich drei Frauen. Hinzu kam, dass Frauen auch in CDU und FDP
       einen schweren Stand hatten: Die Union schickte nur vier, die FDP zwei
       Frauen ins Parlament; auf Bundesebene liegt der Anteil bei beiden Parteien
       höher.
       
       ## Viel Nachwuchs in Bezirken
       
       An mangelnden Kandidatinnen liege das nicht, sagen die Autorinnen der
       Studie, und verweisen auf die höheren Frauenanteile in den
       Bezirksparlamenten. „Die Berliner Parteien verfügen theoretisch wie
       praktisch über ein ausreichend großes Potenzial, um ihre Wahlkreise und
       Listen paritätisch mit Frauen und Männern zu besetzen.“
       
       Mit der Veröffentlichung der Studie erhöht die SPD-nahe Ebert-Stiftung den
       Druck auf die Berliner Regierungsparteien und insbesondere auf die SPD,
       noch in dieser Legislaturperiode ein [3][Paritätsgesetz zu verabschieden].
       Denn erneut sind es bei einem gesellschaftspolitischen Reformprojekt in
       Berlin die Sozialdemokraten, die bremsen.
       
       Die Linkspartei hingegen hatte bereits Anfang 2019 [4][einen Vorstoß
       gewagt]. „Wir haben unseren Koalitionspartnerinnen einen Entwurf für ein
       Paritätsgesetz vorgelegt, der sowohl quotierte Listen als auch paritätisch
       besetzte Wahlkreise vorsieht“, sagte Anne Helm, Vorsitzende der
       Linksfraktion, der taz. Ein Jahr später zogen die Grünen mit einem
       Eckpunktepapier nach.
       
       Dazwischen, im Herbst 2019, hatte der SPD-Parteitag die Forderung nach
       einem Paritätsgesetz aufgenommen und das Ganze gar zum „Leuchtturmprojekt“
       erklärt. Einen gemeinsamen Gesetzentwurf, der im Parlament beraten werden
       könnte, gibt es bisher dennoch nicht.
       
       Nach der Sommerpause soll zumindest der SPD-Entwurf vorliegen, der dann
       zunächst intern in der Fraktion besprochen werden kann, kündigte Derya
       Çağlar, in der SPD-Fraktion für Gleichstellung zuständig, am Mittwoch
       gegenüber der taz an. Und sie betont: „Mir ist es wichtig, das Gesetz noch
       in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.“
       
       Die Vorschläge der Linken wie Grünen sehen vor, die Wahllisten der Parteien
       verbindlich im Verhältnis 1:1 zu quotieren – auf eine Frau folgt ein Mann
       folgte eine Frau und so weiter. Ob eine Frau oder ein Mann am Anfang der
       Liste steht, könne man aus rechtlichen Grünen nicht festlegen, erklärt
       Silke Gebel, grüne Fraktionschefin. Entspricht eine Liste den Vorgaben
       nicht, ist sie ungültig.
       
       Etwas komplizierter wird es bei den Wahlkreisen, eine der – laut Studie –
       Hauptursachen für den geringeren Anteil von Frauen im Parlament. Die
       Ergebnisse der Wahlen 2011 und 2016 zeigten, „dass die Frauen bereits vor
       dem eigentlichen Wahlentscheid keine gleichberechtigte Teilhabe erfahren,
       da sie bereits als Kandidatinnen unterrepräsentiert sind. Dies gilt
       insbesondere für die Wahlkreise.“ So betrug 2016 in den 78 Wahlkreisen die
       Anzahl der männlichen Kandidaten 321 gegenüber 141 Frauen, das entspricht
       einem Frauenanteil von 30,5 Prozent. „Auch SPD, Die Linke und Bündnis
       90/Die Grünen nominierten mehr Männer als Frauen in den Wahlkreisen.“
       
       ## Weniger Wahlkreise
       
       Der Reformvorschlag von Grünen und Linken sieht deswegen vor, die Anzahl
       der Wahlkreise zu halbieren und die Zahl der Stimmen für jede/n
       Wahlberechtigte/n auf zwei zu verdoppeln. Die Wahlberechtigten hätten dann
       für die Wahl des Abgeordnetenhauses insgesamt drei Stimmen, von denen eine
       auf die Wahlliste und zwei Stimmen auf jeweils eine Frau und einen Mann in
       ihrem Wahlkreis entfallen, wobei Letztere nicht von einer Partei sein
       müssen. Diese Wahlkreisduos oder -tandems findet auch die SPD gut, betonte
       Çağlar.
       
       Strittig ist hingegen die Frage, ob die Parteien – in diesem Fall CDU, SPD
       und FDP – weiterhin Bezirkslisten aufstellen dürfen oder ob es nur noch
       Landeslisten geben soll. Die Grünen, die wie die Linke auch Landeslisten
       aufstellen, sehen in den Bezirkslisten einen Grund für den geringeren
       Frauenanteil und wollen sie abschaffen: „Die Machtstruktur auf Bezirksebene
       ist sehr patriarchal geprägt“, sagt Fraktionschefin Gebel.
       „Bezirksfürsten“ würden dort ihre Kandidaten durchdrücken.
       
       Für Çağlar und die SPD hingegen ist eine Aufgabe der Bezirkslisten nicht
       verhandelbar: „Das geht nicht.“ Sie sieht sich dabei durch die Untersuchung
       der Ebert-Stifung bestätigt: „Die Benachteiligung hängt nicht von den
       Listen ab, das zeigt die Studie“, sagt Çağlar. Zumindest für die SPD: „Die
       Vermutung liegt nahe, dass bei CDU und FDP die Frauen eher auf hinteren,
       weniger aussichtsreichen Plätzen aufgestellt waren“, heißt es darin. „Bei
       der SPD wurden dagegen überproportional mehr Frauen gewählt.“
       
       Die Grünen wiederum stehen vor dem Problem, dass eine paritätische
       Besetzung den starken Anteil der Frauen in ihrer Fraktion von derzeit über
       60 Prozent reduzieren würde. Das dürfe aber nicht das Ergebnis jahrelangen
       Empowerments sein, betont Gebel. Sie fordert deshalb eine „Ergebnisparität“
       für das gesamte Parlament, die einzelnen Fraktionen höhere Quoten erlauben
       würde.
       
       ## Die Zeit wird knapp
       
       Die Verhandlungen innerhalb der Koalition dürften also hart werden, und die
       Zeit ist knapp, denn spätestens ab Frühjahr dürfte der aufkommende
       Wahlkampf komplizierte Kompromisse unmöglich machen. „Wir warten auf die
       SPD“, betont die grüne Fraktionschefin Gebel. Klar ist aber auch: Selbst
       wenn in dieser Legislatur noch ein Gesetz verabschiedet würde – es würde
       erst für die übernächste Abgeordnetenhauswahl 2026 Anwendung finden.
       
       25 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.fes.de/forum-berlin/berlinpolitik
   DIR [2] /Politologin-ueber-Gleichberechtigung/!5646480
   DIR [3] /Gleichstellung-im-Landtag/!5659749
   DIR [4] /Paritegesetz-fuer-Berliner-Parlament/!5578941
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bert Schulz
       
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