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       # taz.de -- Aus für Stadtmagazin: Die Zittypartie ist vorbei
       
       > Das linke Berliner Stadtmagazin „Zitty“ stellt nach über 40 Jahren das
       > Erscheinen ein. Unser Autor blickt wehmütig zurück
       
   IMG Bild: Das waren noch Zeiten: Obama an der Macht und die Zitty noch quicklebendig. Hach
       
       Leider kann ich mich nicht mehr so genau an meinen Erstkontakt mit der
       Zitty erinnern, so prägend scheint der also nicht gewesen zu sein. Für
       Julie Miess, Sängerin der Band Half Girl, war er es umso mehr: „Meine erste
       Zitty las ich 1989, kurz bevor ich nach Berlin zog. Wir badischen Kids
       hatten uns mit 16 auf Klassenfahrt unsterblich in Berlin verliebt und
       gingen seither in den Ferien den in Berlin lebenden Verwandten auf die
       Nerven. In der WG meines Onkels lag nun also die Zitty. Ich las meinen
       ersten Fil-Comic und war schockverliebt.
       
       Es war die Geschichte von Herrn Blumentopf, der als eine Art missmutige Fee
       einem jungen Skater Wünsche erfüllte. Unter anderem wünschte er sich, dass
       die Boyband Bros nur noch unter der Badewanne singen dürfte. Oder auch dort
       nicht mehr? Jedenfalls schrieb ich den Satz über Bros hinterher in
       Karlsruhe auf meine Schulbank und musste sie anschließend putzen. Daran war
       nur die Zitty schuld, aber es hat sich gelohnt. Ich werde sie sehr
       vermissen.“
       
       Das [1][nahende Ende des Stadtmagazins] Zitty, man hatte es in letzter Zeit
       schon ein wenig kommen sehen. Der einst im Selbstverlag herausgebrachte
       Printtitel wurde in den letzten 20 Jahren gleich mehrmals von einem
       Medienhaus an das nächste weitergereicht, derweil schrumpfte die Auflage
       immer weiter.
       
       Ende der Neunziger lag sie noch bei knapp 60.000, zuletzt nur noch bei
       knapp 13.000. Alle Versuche, die Zitty immer wieder neu aufzustellen, sie
       an ein sich veränderndes Nutzerverhalten ihrer Leser anzupassen, sind
       letztendlich gescheitert. Markenschärfung durch hauseigene Veranstaltungen,
       stärkere Orientierung ins Netz, die zeitweilige Umstellung des
       Erscheinungsrhythmus von einem zweiwöchentlichen auf einen wöchentlichen
       Takt – nichts konnte den Sinkflug wirklich stoppen. Jetzt gab die Go City
       Media GmbH, in der die Zitty zuletzt erschienen war, bekannt: Das war’s.
       
       ## Keine Zeitschrift vom Kiosk mehr
       
       Corona habe dem Magazin den Rest verpasst. Mit sofortiger Wirkung werde der
       Titel eingestellt. Die Redaktion, die in den letzten Jahren für Zitty und
       das einstige Konkurenzblatt Tip gleichzeitig zuständig war, werde fortan
       nur noch für den Tip arbeiten, den es weiterhin geben werde. Der jüngeren
       Generation der Berliner wird ohne Zitty wahrscheinlich nicht viel fehlen.
       Zur Anregung, wohin man abends ausgehen könnte, braucht sie keine
       Zeitschrift vom Kiosk mehr, die nötigen Informationen gibt es im Internet
       zur Genüge.
       
       Die etwas Älteren dagegen werden jetzt, wo alles vorbei ist, vielleicht
       doch noch einmal etwas wehmütig und denken zurück an Zeiten, in denen die
       Zitty einfach dazugehörte zum Berliner Kulturleben. Der Musiker Oliver
       Doerell, auch bekannt unter dem Namen Cummi Flu, etwa sagt: „Ich habe die
       Zitty zwar seit zehn Jahren nicht mehr gelesen, aber sie war immer sehr mit
       dem Berlin verbunden, wegen dem ich 1991 hierhergezogen bin. Die Comics und
       der Anzeigenmarkt waren auf Toilettenpapier gedruckt. Meine
       Lieblingsanzeige war die über Jahre wiederkehrende: ‚Suche extrem stark
       behaarte Frauen, kein Sex!‘ “
       
       Die Berliner Sängerin Christiane Rösinger erinnert sich so: „Letztendlich
       hat doch kein Mensch mehr Tip oder Zitty gekauft in den letzten Jahren.
       Schade ist das Aus natürlich trotzdem. Das Einzige, was mir noch dazu
       einfällt, ist die Entscheidungsfrage aus heute fast historischen Zeiten:
       Tip oder Zitty kaufen? Endgültig für die Zitty hatte ich mich entschieden,
       als der Tip den Gastroteil so aufblähte, dass das ganze Heft nur noch aus
       Restaurantkritik zu bestehen schien. Wer interessiert sich dafür?, dachte
       ich damals. Falsch gedacht, das war der neue Zeitgeist: essen gehen.“
       
       ## Tip oder Zitty?
       
       Nicht nur für Christiane Rösinger war die Frage „ Zitty oder Tip?' “ einst
       prägend. Sich für das eine oder für das andere Blatt zu entscheiden sei für
       viele so ähnlich gewesen, wie man einst entweder zu den Beatles oder zu den
       Rolling Stones stehen musste, hieß es immer wieder. Die 1977 gegründete
       Zitty galt als eher linksdrehende Zeitschrift für Studenten-WGs, der fünf
       Jahre vorher aus der Taufe gehobene Tip als etwas gepflegter.
       
       Als ich Mitte der Neunziger nach Berlin zog, war ich erst einmal
       Zitty-Leser. Ich wollte etwas von der Subkultur in dieser Stadt
       mitbekommen, und dafür hielt ich die Zitty für informierter. Dann wechselte
       ich zum Tip wegen dessen Kinoteil, eine Zeit lang kaufte ich sogar beide
       Magazine, aber vor allem, und da ging es mir ähnlich wie Christiane
       Rösinger, wegen „[2][Didi und Stulle]“. Als es mit dem Comic zu Ende ging,
       verlor auch ich die Zitty langsam aus den Augen.
       
       Dass Zitty und Tip, die sich einst jeden Leser und [3][jeden Anzeigenkunden
       missgönnten], in den letzten Jahren von mehr oder weniger derselben
       Redaktion betreut wurden, wirkte erst einmal wie ein Witz. Fast als müssten
       jetzt dieselben Leute der taz und der FAZ gleichzeitig zuarbeiten. Aber
       eigentlich funktionierte es ganz gut, und viele Stammleser der beiden
       Magazine dürften von dem Spagat nicht einmal etwas mitbekommen haben. Der
       Tip baute, wie Christiane Rösinger schon erwähnte, seinen Gastroteil aus,
       während in der Zitty die stadtpolitischen Geschichten landeten.
       
       ## Der Phantomschmerz bleibt
       
       „Als die Zitty zum Tip kam, waren wir erst einmal misstrauisch: das war ja
       die lieb gewordene Konkurrenz. Dann merkten wir, dass wir uns ähnlicher
       waren, als uns lieb war. Daraus ist dann eine inspirierende Symbiose
       entstanden. Jetzt, da die Zitty verschwindet, bleibt ein Phantomschmerz“,
       erinnert sich Jacek Slaski, Redakteur beim Tip, an den Zusammenschluss.
       
       Enden wir mit den Worten des Musikers Guido Möbius: „Die Zitty war eine
       Berliner Institution, die Themen wie Stadtentwicklung, Mietenwahnsinn oder
       [4][Obdachlosigkeit] stets kritisch beleuchtet hat. Sie war ein immens
       wichtiger Partner für die Kulturschaffenden der Stadt. Sie war ein Stück
       Berlin. Sie wird fehlen.“ Der Tip bleibt übrig, so heißt es seitens des
       Verlags, weil er die bekanntere Marke sei. Die Zitty ist damit Geschichte.
       
       25 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Berliner-Stadtmagazin-Zitty/!5696480&s=zitty/
   DIR [2] /Hilfe-fuer-Clubs-in-Corona-Zeiten/!5696484&s=fil/
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   DIR [4] /Verdraengung-von-Obdachlosen-in-Berlin/!5689870&s=obdachlosigkeit/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hartmann
       
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