URI: 
       # taz.de -- Verbot von Prostitution: Linkspartei streitet über Sexarbeit
       
       > Schon 2016 gegründet, startet ein Parteinetzwerk in der Linken
       > ausgerechnet jetzt einen neuen Anlauf: Es will eine „Welt ohne
       > Prostitution“.
       
   IMG Bild: In Zeiten von Corona: menschenleere Herbertstrasse auf der Reeperbahn
       
       Berlin taz | Das Netzwerk in der Linkspartei „für eine Welt ohne
       Prostitution“ startet einen neuen Anlauf. Bereits 2016 hatte sich die
       Gruppe für ein Sexkaufverbot formiert, damals aber nur knapp 550
       Unterschriften sammeln können. Mitten in der Corona-Krise, in der alle
       Bordelle und Clubs geschlossen und Sexarbeiter:innen existenziell bedroht
       sind, fordert das Netzwerk nun „eine neue Prostitutionspolitik in der
       Linken“.
       
       Deutschland sei „zum Bordell Europas“ geworden, begründen die
       Organisator:innen ihren aktuellen Vorstoß. Die Unterstützung für das
       sogenannte nordische Modell, das den Kauf von Sex verbietet, sei in der
       Gesellschaft und der Partei aber weiter gewachsen. 60
       Erstunterzeichner:nnen des neuerlichen Aufrufs, darunter die
       Bundestagsabgeordneten Heike Hänsel und Sylvia Gabelmann, sind sich einig:
       Die „Institution der Prostitution“ sei mit der Menschenwürde unvereinbar.
       
       Bordelle und Zuhälterei müssten verboten werden, es brauche ein
       Sexkaufverbot nach nordischem Modell. Da Freier sexualisierte Gewalt
       ausüben, seien gegen sie Bußgelder und Gefängnisstrafen zu verhängen. Eine
       neue Unterschriftensammlung hat das Netzwerk bereits begonnen.
       
       „Es ist eine Unverschämtheit, diesen Aufruf ausgerechnet jetzt zu starten –
       während Corona und in einer Situation, in der die Menschen in der Sexarbeit
       ohnehin nicht wissen, was tun“, sagte Frank Laubenburg, Bundessprecher der
       BAG Queerpolitik in der Linkspartei, die rund 1.000 Mitglieder vertritt,
       der taz. „Nordisches Modell“ klinge für Fachfremde oft erst einmal
       fortschrittlich, weil es die Freier bestraft, aber nicht die
       Sexarbeiter:innen, vermutet Laubenburg. „Doch das Modell fußt auf der Lüge,
       dass es ein Sexkaufverbot ohne Repressionen gegen die Menschen in der
       Sexarbeit geben könnte.“
       
       ## Ein Sexkaufverbot schadet Menschen in der Sexarbeit
       
       Kritiker:innen des Nordischen Modells wie die Deutsche Aidshilfe, die
       Caritas oder die Diakonie führen an, dass ein Sexkaufverbot die Situation
       von Sexarbeitenden verschlechtert. Sobald Strukturen in die Illegalität
       verlagert werden, gibt es weniger Schutz vor sexuellen Krankheiten und
       Gewalt, weniger Rechte, mehr Stigma. Sex werde auch dann gekauft, wenn er
       verboten ist – aber im Untergrund.
       
       Einen Beschluss der Linkspartei zum Thema gibt es nicht. Zwar fürchtet
       Laubenburg, dass das Netzwerk „für eine Welt ohne Prostitution“ diesmal
       mehr Stimmen in der Partei bekommen könnte als 2016. Doch ein Antrag der
       Gruppe beim Parteitag Ende Oktober sei nicht in Sicht – aus guten Gründen:
       Beschlüsse in der Fraktion oder der Partei für ein Sexkaufverbot werde es
       nicht geben. Das sieht auch Cornelia Möhring so, die frauenpolitische
       Sprecherin der Linksfraktion: „Ich bin da ganz gelassen“, sagte sie. Zwar
       werde die Diskussion möglicherweise an Fahrt gewinnen. „Doch ein
       Sexkaufverbot ist weder in der Partei noch in der Fraktion mehrheitsfähig.“
       
       Demgegenüber will Laubenburg die Gegenposition stärken: „Wir werden
       vorschlagen, dass eine klare Position ins Bundestagswahlprogramm kommt, die
       die Rechte von Sexarbeitenden stärkt“, sagte er. Diese Debatte werde aber
       erst im Hinblick auf 2021 geführt.
       
       Das abolitionistische Netzwerk in der Linkspartei bewegt sich im Fahrwasser
       eines seit mehr als einem Jahr schwelenden Streits um das Nordische Modell
       in der deutschen Politik. Zunächst mehrten sich in der SPD Stimmen für ein
       Sexkaufverbot, vorangetrieben unter anderem von der erklärten
       Prostitutionsgegnerin Leni Breymaier, zudem der Europaabgeordneten und
       Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF),
       Maria Noichl. Auch der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sprang auf.
       Zusammen mit dem CDU-Abgeordneten Frank Heinrich rief Breymaier zudem einen
       fraktionsübergreifenden Parlamentskreis zum Thema ins Leben.
       
       Zuletzt veröffentlichten 16 Bundestagsabgeordnete von SPD und Union ein
       Papier, in dem sie den MinisterpräsidentInnen der Länder „herzlich danken“,
       Bordelle in der Corona-Krise bislang nicht wieder geöffnet zu haben:
       Prostitution habe die Wirkung eines „Super-Spreaders“, schreiben die
       Abgeordneten, ohne Belege anzuführen. Sie fordern, ein Verbot von
       Prostitutionsbetrieben auch nach Corona aufrecht zu erhalten und das
       Nordische Modell einzuführen. Doch zumindest bislang ist die Position, den
       Kauf von Sex zu verbieten, in keiner deutschen Partei Beschluss.
       
       24 Jun 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Patricia Hecht
       
       ## TAGS
       
   DIR Prostitution
   DIR Sexarbeit
   DIR Prostituierte
   DIR Die Linke
   DIR Schwerpunkt Stadtland
   DIR Prostitution
   DIR Sexarbeit
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Prostitution
   DIR Prostitutionsgesetz
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Prostitution vor Gericht: Kein Job wie jeder andere
       
       Das Berliner Sozialgericht gibt einer Klägerin Recht, die gegen das
       Jobcenter klagte. Weil niemandem Sexarbeit zugemutet werden könne.
       
   DIR Männliche Prostitution und Corona: „Wer im Elend sitzt, schafft trotzdem an“
       
       Wegen Corona ist und bleibt Sexarbeit in Berlin verboten. Ralf Rötten von
       „Hilfe für Jungs“ hält die Debatte um Verbote für verlogen.
       
   DIR Sexarbeit in Zeiten von Corona: Auf der Strecke geblieben
       
       Während fast überall Corona-Maßnahmen gelockert werden, bleiben Bordelle
       geschlossen. Prostituierte fordern, das zu ändern.
       
   DIR Sexarbeiterin über Corona-Kontaktsperre: Bedrohte Kultur der Berührung
       
       „Ich brauche Gewicht auf meinem Körper, ich habe das Gefühl, dass er sonst
       platzt“: Eine Sexarbeiterin beschreibt ihr Leben in berührungsarmen Zeiten.
       
   DIR Diskussion um Strafen für Freier: Sexkauf nicht in Illegalität drängen
       
       Ein Prostitutionsverbot wäre nur Symbolpolitik, die sich gegen die Frauen
       selbst wendet. Moral sollte nicht mit Menschenrechten verwechselt werden.
       
   DIR Debatte um Prostitution: Bündnis gegen Sexkaufverbot
       
       Sechs Verbände und Beratungsstellen wie Aidshilfe und Frauenrat wenden sich
       gegen Bestrebungen, den Kauf von sexuellen Dienstleistungen zu verbieten.