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       # taz.de -- Kampagne für Osman Kavala: Moralischer Mut
       
       > Weiter in Haft: Osman Kavala, Förderer der türkischen Zivilgesellschaft.
       > „Artists United for Osman Kavala“ kämpfen für seine Freilassung.
       
   IMG Bild: Osman Kavala unterstützt mit seiner Stiftung „Anadolu Kültür“ vor allem kulturelle Projekte
       
       Was hat er denn bloß getan? Die rhetorische Frage wirft auf, wer besonders
       nachdrücklich sagen will, dass jemand zu Unrecht einer Straftat bezichtigt
       wird. Die jüngste Solidaritätskampagne für den inhaftierten türkischen
       Mäzen und Philanthropen Osman Kavala mit diesem Titel zu überschreiben ist
       mehr als naheliegend. Schließlich haben schon Gerichte in der Türkei
       festgestellt, dass er sich nichts zuschulden hat kommen lassen.
       
       Mittlerweile sitzt der 1957 in Paris geborene Sohn einer türkischen
       Industriellenfamilie seit fast 1.000 Tagen im berüchtigten Gefängnis von
       Silivri. Die 2008 in Betrieb genommene Justizvollzugsanstalt, einer der
       größten Gefängniskomplexe Europas, rund 70 Kilometer entfernt von Istanbul,
       fungiert als der Ort, in dem Gegner des türkischen Regimes arretiert
       werden.
       
       Neben dem Welt-Journalisten Deniz Yücel, der dort von 2017 bis 2018
       festsaß, sind dort schon seit 2016 auch Ahmet Altan, der bekannte
       Schriftsteller und Chefredakteur der Zeitung Taraf, oder seit 2018 Eren
       Erdem, ein Politiker der oppositionellen CH-Partei, inhaftiert.
       Mittlerweile sitzen in Silivri weit mehr als die 10.000 Gefangenen ein, für
       die der Komplex konzipiert wurde.
       
       Osman Kavala ist einer der wichtigsten Förderer der türkischen
       Zivilgesellschaft. Mit seiner Stiftung „Anadolu Kültür“ mit Sitz in
       Istanbul und im kurdischen Diyarbakır unterstützt er vor allem kulturelle
       Projekte. In Istanbul unterhält er zudem den Projektraum „Depo“, eine
       Kombination aus Ausstellungshalle und Menschenrechtszentrum.
       
       ## Er war Erdoğan schon lange ein Dorn im Auge
       
       Präsident Recep Tayyip Erdoğan war der „rote Millionär“ schon lange ein
       Dorn im Auge. Der türkische Despot wirft ihm vor, die Proteste im
       Istanbuler Gezi-Park 2013 orchestriert zu haben sowie am Putschversuch vom
       15. Juli 2016 beteiligt gewesen zu sein. Deswegen ließ er ihn 2017 bei der
       Rückkehr von einem gemeinsamen Projekt mit dem deutschen Goethe-Institut
       verhaften. Für beide Behauptungen gibt es bis heute keinerlei Belege.
       
       Wegen dieser Sachlage entschied im Herbst 2019 der Europäische Gerichtshof
       für Menschenrechte, Kavala müsse sofort freigelassen werden. Die Urteile
       des EGMR sind für die Türkei eigentlich bindend. Als daraufhin ein
       türkisches Gericht anordnete, Kavala freizulassen, schob die Justiz im Land
       flugs einen Spionagevorwurf nach. Deswegen muss Kavala weiter in Silivri
       brummen.
       
       Der Europaabgeordnete Nacho Sánches Amor, Türkeiberichterstatter des
       Europäischen Parlaments, nannte während eines internationalen Zoom-Meetings
       Ende April, bei dem Freunde und Unterstützer*Innen Kavalas über das
       weitere Vorgehen berieten, den Fall einen „Lackmustest“ für das Land.
       
       Zusammen mit dem Filmemacher Fatih Akin hatte Shermin Langhoff, die
       Intendantin des Berliner Maxim-Gorki-Theaters, während der Onlineberatung
       eine Kampagne angekündigt, die seit Mitte letzter Woche nun über alle
       Social-Media-Kanäle flimmert. [1][„Artists United for Osman Kavala“ nennt
       sich die Community], die das internationale Bewusstsein für den Fall weiter
       schärfen will.
       
       Unter dem Motto „What did Kavala do? – Was hat Kavala getan?“
       veranschaulichen Künstler, Politiker und Vertreter der Zivilgesellschaft in
       täglichen Videobotschaften Kavalas Hingabe an Kultur und soziale
       Kooperation und seine Rolle in der türkischen Gesellschaft.
       
       „Ich wünschte, es gäbe mehr Osman Kavals auf der Welt“, lobt der türkische
       Schriftsteller und Komponist Zülfü Livaneli seinen Freund. Für Edzard
       Reuter, Ex-Daimler-Chef und Türkei-Freund, sitzt Osman Kavala nur im
       Gefängnis, weil er „eine andere Meinung hat als sein Präsident“.
       
       ## „Er ist unser Vorbild“
       
       Langhoff und Akin heben Kavalas „moralischen Mut“ und den „Glauben an Kunst
       als Möglichkeit für Begegnungen und Dialoge“ hervor. „Er ist unser Vorbild.
       Wir werden nicht aufhören, bis er frei ist.“ Schwer zu sagen, ob ihre
       Botschaft die politisch Verantwortlichen erreicht. Auch die Forderung des
       Außenamts-Staatsministers Michael Roth, „das EMGR-Urteil sofort
       umzusetzen“, hat das Regime in Ankara wenig beeindruckt.
       
       Mehr Druck auf die türkische Regierung ausüben wollen nun auch
       internationale Intellektuelle. Eine Gruppe um den US-Linguisten Noam
       Chomsky, den französischen Philosophen Étienne Balibar und den
       Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, Dimitris Papadimoulis, hat den
       Mäzen für den Václav-Havel-Preis für Menschenrechte vorgeschlagen.
       
       Der alljährlich von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats
       vergebene Preis soll am 12. Oktober in Straßburg vergeben werden. Noch ist
       es schwer vorstellbar, dass Kavala persönlich dort auftreten kann.
       
       10 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://artistsunitedforosmankavala.com/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ingo Arend
       
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