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       # taz.de -- Rassistische Polizeigewalt in den USA: Abschied von George Floyd
       
       > Die Trauerfeier in Houston für den getöteten 46-Jährigen wird zu einem
       > nationalen Großereignis. Tausende erweisen ihm die letzte Ehre.
       
   IMG Bild: Der Sarg von George Floyd auf dem Friedhof Houston Memorial Gardens
       
       New York taz | Über dem Kopf von George Floyd schwebt jetzt ein
       Heiligenschein. An seinen Schultern sind Engelsflügel. Auf seinem Gesicht
       liegt das breite Grinsen – zwischen schüchtern und herausfordernd –, das
       ihn zu Lebzeiten auszeichnete.
       
       Die mehrere Quadratmeter große Zeichnung des „sanften Riesen“, wie ihn
       Freunde nannten, hängt an der Stirnwand der Fountain-of-Praise-Kirche im
       dritten Bezirk von Houston. Sein Körper ruht in dem vergoldeten Sarg vor
       dem Altar.
       
       „Es hätte jeden von uns treffen können“, sagt ein Freund des Toten bei der
       feierlichen Abschiedsfeier für eines der bislang letzten Opfer
       rassistischer Polizeigewalt in den USA. Ein kollektives Stöhnen erfüllt die
       Kirche. Der Organist untermalt es mit Tönen.
       
       Die Verwandten in den ersten Reihen sind in Weiß gekleidet. Auf manchen
       ihrer Masken prangen die letzten Worte des Toten: „I can't breathe“ – ich
       kann nicht atmen. Direkt hinter den Kindern, Neffen und Nichten,
       Geschwistern, Tanten und Onkeln sitzen die Mitglieder der neuen Familie von
       [1][George Floyd].
       
       ## Wunden heilen
       
       Es sind Angehörige von anderen unbewaffneten, schwarzen AmerikanerInnen,
       die von der Polizei getötet worden sind – darunter Michael Brown aus
       Ferguson (2014), Eric Garner aus New York (2014), Botham Jean aus Dallas
       (2018) und Pamela Turner aus Baytown (2019).
       
       Die Trauerfeier ist ein nationales politisches Ereignis. Sie wird live im
       Fernsehen übertragen. Die meisten Redner haben erst nach George Floyds Tod
       von dessen Existenz erfahren. Joe Biden, der mutmaßliche
       Präsidentschaftskandidat der DemokratInnen, der am Vortag eine private
       Audienz mit der Familie hatte, spielt ein Video ein, in dem er verspricht:
       „Wir können die Wunden dieser Nation heilen.“
       
       Die texanische Kongressabgeordnete Sheila Jackson Lee verspricht, dass es
       keine Polizeibrutalität mehr gegen Afroamerikaner geben werde. Der
       prominente schwarze Prediger Al Sharpton prangert in seiner Trauerrede die
       „Bösartigkeit“ an der Spitze des Landes an, ohne den Namen des Präsidenten
       zu nennen.
       
       Und der Bürgerrechtler und Prediger William Lawson, der im Rollstuhl sitzt,
       schlägt in seiner Rede vor der Trauergemeinde einen Bogen von Jesus, „der
       in einem Stall zur Welt kam“, zu George Floyd, „aus dem Ghetto“. Der alte
       Mann, der in der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre aktiv war, hofft, dass
       die Protestbewegung dieses Mal bleibt. Und dass sie sich dieses Mal
       durchsetzen kann.
       
       ## Letzte Station
       
       Houston, wo George Floyd die meiste Zeit seines Lebens verbracht hat, ist
       seine letzte Station. Nach der Trauerfeier wird er am späten
       Dienstagnachmittag neben seiner Mutter beigesetzt. Nach ihr hatte der
       46-Jährige gerufen, als er kaum noch atmen konnte.
       
       Sein qualvolles Ende unter dem Knie eines weißen Polizisten in Minneapolis
       hat [2][die größte Antirassismusbewegung] seit Jahren ausgelöst. In allen
       50 Bundesstaaten der USA haben Demonstrationen für „Gerechtigkeit für
       Floyd“ stattgefunden.
       
       An manchen Demonstrationen haben mehr als 50.000 Menschen teilgenommen –
       darunter ungewöhnlich viele weiße AmerikanerInnen, die schwören: „Wir
       werden nie wieder schweigen“. Im Kongress sind mehrere neue Gesetze
       vorgestellt worden, um die Polizeigewalt einzudämmen.
       
       Die Mehrheit im Stadtrat von Minneapolis will die Polizei ganz abschaffen.
       Und Sylvester Turner, der Bürgermeister von Houston, verspricht bei der
       Trauerfeier, dass er Würgegriffe und andere exzessive Gewalt verbieten
       wird.
       
       ## Liberale Stadt
       
       Houston ist eine liberale Stadt mit einer Bevölkerung, die gemischter ist,
       als in jeder anderen US-amerikanischen Großstadt. Aber auch in Houston
       grassiert Polizeigewalt. In den Wochen vor George Floyds Tod haben dort
       Polizisten sechs Menschen umgebracht – die meisten waren Latinos und
       Afroamerikaner.
       
       Bei der Trauerfeier in der Fountain of Praise Kirche sind vor allem
       schwarze Angehörige und Prominente zusammengekommen. Zwischen den Reden
       kommen GospelsängerInnen nach vorne. Ein Orchester und ein Chor begleiten
       sie.
       
       Nur zwei Redner sind weiß. Ausser dem wahlkämpfenden Biden, der sich aus
       dem Keller seines Wohnhauses in Delaware zugeschaltet hat, ist es Steve
       Wells, der Pastor der South Main Baptisten Kirche in Houston. „Jeder hätte
       verstanden, wenn Ihr heute keine weißen Leute hier haben wolltet“, sagt er
       zu der Trauergemeinde. „Stattdessen habt Ihr entschieden, zusammen zu
       kommen“. Dafür bekommt der weiße Pastor der Gemeinde Applaus.
       
       George Floyd war ein „gewöhnlicher Mann“ sagen Trauernde. Er war im
       Gefängnis und hat seinem Leben anschließend eine Wende gegeben. Hat
       Basketball und Football mit Jugendlichen aus dem Dritten Bezirk von Houston
       gespielt. Hat in einer Kirche gesungen. Ist LKW gefahren.
       
       ## Die Welt verändert
       
       Dann zog er, wegen eines neuen Jobs, nach Minneapolis um. Bevor sein Sarg
       in die Fountain of Praise Kirche gebracht wurde, haben ihm Tausende
       Menschen die letzte Ehre erwiesen. Erst bei einer Trauerfeier in einer
       Universität in Minneapolis. Dann in einer Kirche in Raeford, North
       Carolina, wo er geboren ist.
       
       „Mein Daddy hat die Welt verändert“, hat George Floyds sechsjährige Tochter
       Gianna, die in Houston lebt, dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten
       gesagt. Bei der Trauerfeier in Houston gehen ältere und jüngere Brüder des
       Toten ans Mikrofon. Einer von ihnen dankt jenen, die in Europa und Afrika
       demonstriert haben: „Ich habe jetzt Brüder und Schwestern überall auf der
       Welt“.
       
       Eine junge Frau hält in der Geste der Black-Power-Bewegung ihren linken Arm
       mit einer geballten Faust hoch. Dann ergreift George Floyds Nichte Brooke
       Williams das Wort. Die junge Frau geht mit klaren Worten in die Offensive
       gegen den US-Präsidenten ohne ihn beim Namen zu nennen. „Manche wollen
       Amerika wieder groß machen“, sagt sie: „Aber wann ist Amerika je groß
       gewesen?“. Die Nichte will gegen Rassismus kämpfen – so lange sie atmen
       kann.
       
       10 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
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