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       # taz.de -- Enteignung von Immobilienkonzernen: Selbst die SPD kann noch Zukunft
       
       > Berlins SPD gibt ihre Blockadehaltung gegen stadtpolitischen Fortschritt
       > endlich auf. Eine kluge Entscheidung: Schließlich stehen bald Wahlen an.
       
   IMG Bild: Die Forderung nach Enteignung hält die Immobilienwirtschaft auf Trab – und die SPD auch
       
       Die rot-rot-grüne Koalition besinnt sich gegen Ende der Legislaturperiode
       auf ihre Ziele. „Berlin gemeinsam gestalten. Solidarisch. Nachhaltig.
       Weltoffen“ lautete die Überschrift über dem Ende 2016 verhandelten
       Koalitionsvertrag. Jetzt, gut 15 Monate vor der nächsten
       Abgeordnetenhauswahl, scheint sich auch die SPD wieder an das „gemeinsam“
       zu erinnern. Sie gibt ihre [1][Blockadehaltung bei den innenpolitischen
       Reformen] endlich auf.
       
       Dazu gehört auch, dass Innensenator Andreas Geisel (SPD) die massiv
       verschleppte rechtliche Prüfung des Volksbegehrens „Deutsche Wohnen und Co.
       enteignen“ endlich [2][zum – guten – Ende bringt]. Mehr als ein Jahr wird
       sie am Ende gedauert haben. Warum das so lange ging, ist nur politisch
       erklärbar.
       
       Und auch das hat die SPD inzwischen selbst erkannt: In dem überarbeiteten
       Abstimmungsgesetz, das die Direkte Demokratie regelt, sind für die Prüfung
       künftig nur noch fünf Monate vorgesehen. Der Weg zum Volksentscheid über
       die Enteignung eines DAX-Unternehmens ist damit frei – wenn die BürgerInnen
       mitspielen und genügend von ihnen dafür unterschreiben.
       
       Die Distanzierung der Berliner Sozialdemokraten von Initiativen, die einen
       grundlegenden Wandel der Stadt fordern, war im Rückblick nicht vernünftig
       und für die Partei selbst nicht nachhaltig. Es hat das Profil der Berliner
       SPD eher unklarer gemacht, erkennbar etwa in bis vor Corona stetig
       sinkenden Umfragewerten, und ihr auch nicht in der Abgrenzung von den
       beiden Koalitionspartnern geholfen.
       
       Natürlich sind Forderungen wie die nach Enteignung von großen
       Immobilienkonzernen oder auch die nach einer Abschaffung von Werbung und
       Leuchtreklamen im öffentlichen Raum Breitseiten gegen die etablierte
       kapitalistische Ordnung. Aber offenbar hatte die SPD vergessen, dass
       Politik aus Kompromissen besteht. Radikale Forderungen werden selten eins
       zu eins umgesetzt. Aber sie helfen dabei, progressive Politik
       voranzutreiben.
       
       Exemplarisch deutlich wurde das zu Beginn der Legislatur, als dank der
       massiven Unterstützung der BürgerInnen für den Volksentscheid Fahrrad ein
       fortschrittliches Verkehrskonzept von der dafür zuständigen grünen
       Senatorin eigentlich nur noch in Gesetzesform gegossen werden musste. Auch
       das hat länger gedauert als nötig, aber die Grünen geben immerhin zu, dass
       ohne den gesellschaftlichen Druck das Mobilitätsgesetz in dieser Form nicht
       möglich gewesen wäre.
       
       Gleiches gilt für ein radikales Umdenken auf dem Wohnungsmarkt, wie es die
       Enteignungsinitiative fordert. Den Druck, den sie aufbaut, wird die
       rot-rot-grüne Koalition brauchen, um weitere dringend nötige Entlastungen
       für die MieterInnen dieser Stadt durchzusetzen. Dass die SPD radikal kann,
       hat sie mit der Erfindung des Mietendeckels bewiesen. Warum sie
       gleichzeitig so lange eine Initiative blockiert hat, für deren forsche
       Ziele sie – anders als beim Deckel – gar nicht direkt verantwortlich
       gemacht werden kann, von denen ihre traditionelle Wählerklientel aber
       profitiert, ist nicht rational zu erklären.
       
       ## SPD entdeckt den Kompromiss
       
       Nun also schwenkt die SPD wieder auf Kompromisslinien um, nicht nur bei der
       direkten Demokratie und dem Abstimmungsgesetz, sondern auch beim
       überarbeiteten Versammlungsgesetz, dem [3][Polizeibeauftragten] und sogar
       bei der Reform des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (Asog). Weil
       sich hier Linke und Grüne gegen weitreichende neue Kompetenzen für die
       Sicherheitsbehörden sperrten, die der Innensenator nach dem Terroranschlag
       vom Breitscheidplatz gefordert hatte, stand sogar die ganze Koalition
       zeitweilig auf der Kippe. Am Montag soll nun die Einigung vorgestellt
       werden.
       
       Solidarisch und gemeinsam, wie vor dreieinhalb Jahren vereinbart, will nun
       auch die SPD mit der Koalition auf die Zielgerade der ersten Legislatur
       gehen. Anders geht's auch gar nicht, denn aktuell gibt es keine Alternative
       zu diesem Bündnis.
       
       Andere Regierungskonstellationen sind nicht in Sicht, wie die inhaltlich
       verwirrte CDU und eine an Banalität kaum zu überbietende FDP regelmäßig
       aktiv belegen. Das sehen auch die WählerInnen so, wie Umfragen zeigen. Und
       wenn Rot-Rot-Grün als Gestalter der Stadt in Erinnerung bleiben will,
       braucht das Bündnis noch mal fünf Jahre, um viele gerade begonnene Projekte
       weiter und manche gar zu Ende zu führen.
       
       12 Jun 2020
       
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