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       # taz.de -- Pekinger Markt als Infektionsherd: Stadtregierung „im Kriegsmodus“
       
       > Chinas Hauptstadt geht jetzt radikal gegen einen erneuten Ausbruch des
       > Coronavirus vor. Die Behörden sehen die Schuld im Ausland.
       
   IMG Bild: Die Pekinger Polizei riegelt ganze Wohngebiete ab
       
       PEKING taz | Wer den Tiantang-Markt im Pekinger Chaoyang-Bezirk betreten
       möchte, muss eine Wärmebildkamera auf Augenhöhe passieren. Dann öffnet sich
       dem Kunden eine hell ausgeleuchtete Halle, die nichts mit den gängigen
       Vorurteilen gegenüber asiatischen Marktplätzen gemein hat: Tropische
       Früchte liegen sorgfältig in Plastik verpackt, Nudelgarküchen werden von
       Köchen mit Gesichtsmasken und Hauben betrieben. Die reichhaltige
       Fleischtheke ist durchgehend gekühlt. An der Kasse bedient eine junge Frau
       in grüner Schürze, die versichert, dass die Bestände von Gemüse und Fleisch
       auch die nächsten Tage und Wochen gesichert seien: „Schließlich werden wir
       nicht vom Xinfadi-Großmarkt beliefert.“
       
       Jener Großmarkt, der seit Samstagfrüh geschlossen ist und zuvor 80 Prozent
       des Pekinger Nahrungsmittelbedarfs gedeckt hat, ist zum Synonym für die
       erste [1][Coronavirus-Bewährungsprobe von Chinas Hauptstadt] geworden. Fast
       zwei Monate blieb die Metropole schließlich ohne Neuinfektionen. Nun jedoch
       haben die Behörden in den letzten fünf Tagen schon über 100 Fälle gemeldet,
       darunter allein am Dienstag 27 weitere Infektionen. Praktisch alle gehen
       auf den Großmarkt zurück.
       
       Seitdem ist die Stadtregierung erneut „im Kriegsmodus“, wie sie stolz
       betont. Der Kampf erinnert schon in seiner Radikalität fast an die strengen
       Maßnahmen im März: Risikogruppen dürfen Peking nicht verlassen, einzelne
       Busrouten sowie Taxifahrten außerhalb des Stadtgebiets wurden unterbrochen,
       Wohnsiedlungen entlang des Großmarkts vollständig abgeriegelt. Im
       Stadtzentrum wurden gar ganze Bürotürme geschlossen, nur weil ein
       Angestellter den Markt lediglich besucht hat.
       
       Um potenziell infizierte Hauptstadtbewohner so rasch wie möglich zu finden,
       lassen die Behörden täglich zehntausende Menschen auf das Virus testen.
       Beim Corona-Tracking bot die Privatwirtschaft der Regierung
       erstaunlicherweise Paroli: Die Betreiber der mobilen Bezahlplattformen
       Wechat-Pay und Ali-Pay weigern sich aus Datenschutzgründen, die
       Kontaktinformationen der mehreren hunderttausend Kunden des
       Xinfadi-Großmarkts der letzten Tage weiterzugeben.
       
       Zugleich wird auch leise Kritik am massiven Vorgehen der Behörden deutlich.
       Man solle nicht zulassen, dass die neuen Maßnahmen „zu einer großflächigen
       oder gar nationalen Panik führen“, kommentierte etwa die staatliche
       Propagandazeitung Global Times: „Unser Kampf gegen Covid-19 sollte präziser
       sein.“ Und: „Solange noch immer viele Länder von der Epidemie betroffen
       sind, ist es unmöglich für China, das Virus vollständig auszurotten.“
       
       Bezeichnend ist, dass staatliche Medien und die Regierung bei jeder
       Möglichkeit betonen, dass der Virusstrang nicht derselbe wie noch vor
       Monaten in Wuhan sei, sondern mit ziemlicher Sicherheit aus Europa stammt.
       „Es ist von außerhalb Chinas nach Peking gebracht. Das Virus könnte aus
       Europa kommen, oder vielleicht den Vereinigten Staaten oder von Russland“,
       sagt Wu Zunyou von Chinas Zentrum für Seuchenschutz im staatlichen
       Fernsehsender CGTN. Bei der Virusbekämpfung hat die Regierung wiederholt
       die Bedrohung von „außen“ betont, um die eigenen Fehler zu übertünchen.
       
       So auch beim jetzigen Ausbruch in Peking: Bereits am Wochenende meldeten
       die Behörden, dass der Erreger auf dem Großmarkt Xinfadi auf einem
       Schneidebrett nachgewiesen wurde, auf dem ausländischer Lachs filetiert
       wurde. Seither sind die Aktienkurse einiger norwegischer Lachszüchter
       eingebrochen.
       
       ## Laxer Umgang mit Lachs?
       
       Damit wird norwegischer Lachs in China zum zweiten Mal politisiert: Bereits
       2010, als der damals im chinesischen Gefängnis sitzende
       Menschenrechtsaktivist Liu Xiaobo in Oslo den Nobelpreis verliehen bekam,
       stellte die Volksrepublik als wirtschaftliche Vergeltung die Fischimporte
       aus Norwegen ein.
       
       Die neue Infektionswelle in Peking stellt indirekt die Strategie der
       Regierung infrage. Denn Chinas Virusbekämpfung war anders als in Europa:
       Die Kurve wurde nicht abgeflacht, sondern praktisch auf null runtergebracht
       – mit massiven wirtschaftlichen Kosten. Doch jetzt zeigt sich, dass auch
       China nicht virusfrei bleiben kann, solange der Erreger nicht weltweit
       eingedämmt wird. Zumal die Bereitschaft der Bevölkerung merklich gesunken
       ist, die Maßnahmen vom Frühjahr noch einmal mitzutragen.
       
       16 Jun 2020
       
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