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       # taz.de -- Debatte zu Coronapolitik mit Steinmeier: Zu einig im Schloss Bellevue
       
       > Der Bundespräsident hat eingeladen. Zwar missglückt die Debatte um
       > Demokratie und das Coronavirus. Erhellend ist das Gespräch trotzdem.
       
   IMG Bild: Irgendwas fehlt: Das fiel auch Bundespräsident Steinmeier am Dienstag auf
       
       Berlin taz | Die gefährdete Demokratie – dieser Schriftzug leuchtet
       bildlich gesprochen über Frank-Walter Steinmeiers [1][bisheriger Amtszeit
       als Bundespräsident]. Nichts ist naheliegender, als diskursiv zu prüfen, ob
       die Demokratie die Zumutungen der Coronapandemie heil überstanden hat.
       
       In dem Debattenformat „Forum Bellevue“ debattieren am Montag, auf Abstand
       und ohne Publikum, die Schriftstellerin Herta Müller, der US-Politiologe
       Daniel Ziblatt und der Philosoph Rainer Forst, zudem in zweiter Reihe die
       Virologin Marylyn Addo, der Soziologe Heinz Bude, Elke Büdenbender und die
       Autorin Elisabeth von Thadden. Alles kluge Köpfe. Steinmeier ist ein
       souveräner Moderator. Und doch missglückt die Debatte, auf erhellende Art
       und Weise.
       
       Kein Spoiler: Für Steinmeier hat die bundesdeutsche Demokratie „schnell,
       kraftvoll und solidarisch“ auf die Gefahr reagiert. Bürgerschaft und
       Politik seien sich sogar nähergekommen, so Steinmeier, der sonst stets vor
       der Kluft zwischen den Institutionen der Republik und Teilen der
       Gesellschaft warnt. Also: Test bestanden. Und vielleicht sogar eine
       Blaupause gewonnen, um der Gefahr des Klimawandels zu begegnen.
       
       So kann man es sehen. So sieht es auch der Philosoph Rainer Forst, der
       glaubt, dass sich in der Krise politische Rationalität und die Moral,
       Schwächere zu schützen, in einem demokratischen Akt verknüpft haben. Forst,
       der Kritischen Theorie verbunden, deutet in einer dialektischen Volte „die
       Freiheit, seine Freiheit nicht zu nutzen“, als demokratischen Reifebeweis
       und gibt, praktisch kritiklos, Steinmeier recht.
       
       ## Ohne Dissens kein demokratischer Diskurs
       
       So sieht es auch Herta Müller, die es für gefährlich hält, wie manche
       Ex-DDR-BürgerInnen, den Verzicht auf Freiheitsrechte mit Diktatur zu
       verwechseln. „Wir gehorchen der Angst, nicht dem Staat“, sagt sie und
       erinnert an das Ceaușescu Risikomangement in Sachen Tschernobyl: Die
       Katastrophe wurde einfach verschwiegen. Müller, in Rumänien erwachsen
       geworden, ist die lebensgeschichtliche Beglaubigung der Ansicht, dass die
       Grundrechtseinschränkungen nichts mit Diktaturen zu tun haben.
       
       So siehte es auch Daniel Ziblatt, der mit einer Studie über Demokratien
       berühmt wurde. Die Pandemie habe das Vorhandene beschleunigt. Autokratien
       seien noch autoritärer geworden, die Bundesrepublik hätte die Krise
       gemeistert, extrem polarisierte und ungleiche Gesellschaften wie Brasilien
       und USA seien fragiler geworden.
       
       So folgt man also einem vernünftigen, ausgeruhten Austausch von
       vernünftigen, ausgeruhten Argumenten. Dass trotzdem etwas schief läuft und
       das Meinungsbild monochrom ist, merkt auch Steinmeier nach einer knappen
       Stunde. Brauche man keine scharfe Debatte, welche Einschränkungen richtig
       waren, fragt er – ohne Antwort zu bekommen. Es wurde niemand eingeladen,
       der diesen Ball spielen will.
       
       Dies ist ein Gespräch im Hause Steinmeier über die abwesende [2][Frau Zeh],
       also Köpfe, die die Grundrechteinschränkungen für übertrieben hielten.
       Niemand will Aluhüte im Bellevue. Aber wo ist der Ex-Vorsitzende des
       Ethikrates, Peter Dabrock, der der Regierung Paternalismus attestiert?
       
       Aufklärung, schreibt Jens Bisky hat in seinem famosen Berlin-Buch, war in
       den Salons des 18. Jahrhunderts kein behagliches Räsonieren über Werte. Es
       herrschte Streit, Polemik, Angriff. Das „harmonistische Bild der
       Aufklärung, das viele heute zur Erbauung der Zivilgesellschaft“ pflegen,
       sei falsch. Aufklärung gedeiht nicht gut bei lauen Temperaturen.
       
       Den Ratschlägen der Virologen zu folgen war richtig. Aber auch im Richtigen
       gibt es Mängel. Ein Schaden ist die Engführung der Debatte auf das sachlich
       Gebotene und Neigung zum Konsens. Ohne Dissens gibt es keinen
       demokratischen Diskurs.
       
       29 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Halbzeit-fuer-Bundespraesident-Steinmeier/!5627380
   DIR [2] /Juli-Zeh-wird-Landesverfassungsrichterin/!5555993
       
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   DIR Stefan Reinecke
       
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