# taz.de -- Einfluss Pekings auf Sonderverwaltungszone: Hongkong verliert Autonomie
> China stellt „Subversion“ und Kollaboration mit dem Ausland unter Strafe.
> Der Demokratiebewegung droht die Unterdrückung.
IMG Bild: Sollen mundtot gemacht werden: Protestierende gegen das Sicherheitsgesetz am 28.6. in Hongkong
Peking taz | Seit Dienstagnachmittag teilen die Anhänger der Hongkonger
Demokratiebewegung einen Aufruf, Blumensträuße an die Ausgänge der
Metro-Stationen niederzulegen. Damit sollen symbolisch nicht nur die Opfer
der Protestbewegung vom letzten Jahr betrauert werden, sondern auch der Tod
des Prinzips „ein Land, zwei Systeme“.
Denn das Autonomieversprechen hat Chinas Präsident Xi Jinping nach Ansicht
vieler Hongkonger mit der Unterzeichnung des Nationalen Sicherheitsgesetzes
am Dienstag beerdigt. Zuvor hatten die Abgeordneten des Ständigen Ausschuss
des [1][Volkskongresses] in Peking das Dekret einstimmig angenommen.
Bei der Plenartagung des Volkskongresses im Mai hatte die Staatsführung
[2][das umstrittene Gesetz erstmalig angekündigt]. In den letzten Wochen
wurde es in ungewöhnlicher Eile ausgearbeitet und nun verabschiedet, damit
es pünktlich am 1. Juli – dem 23. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs von den
Briten an Festlandchina – in Kraft treten kann.
Bisher bekannt ist nur, dass es gegen vier Straftatbestände vorgeht:
Subversion, Sezession, Kollaboration mit ausländischen Mächten und
Terrorismus. Doch zielt Peking vor allem auf die demokratische
Protestbewegung.
## Will Peking das prodemokratische Lager mundtot machen?
Unklar ist die konkrete Umsetzung: Möchte die Zentralregierung lediglich
den radikalen, gewaltbereiten Kern der Bewegung ausschalten? Oder das
gesamte prodemokratische Lager mundtot machen? Wird die Kommunistische
Partei gar Sondergerichte in Hongkong installieren?
Chinas Staatsmedien haben bisher die westliche Kritik als übertrieben
bewertet: Das Gesetz werde nur „eine kleine Anzahl“ an Hongkongern
überhaupt betreffen. Stattdessen würde es Recht und Ordnung sowie
wirtschaftliche Prosperität wiederherstellen. Das Prinzip „ein Land, zwei
Systeme“ – wie Autonomieformel lautet – solle gar „in die richtige Richtung
gesteuert“ werden.
Doch die bereits bekannten Details lassen einen gegenteiligen Schluss zu:
So sollen einzelne Verfahren auch von Gerichten auf dem chinesischen
Festland durchgeführt werden. Und das Recht, das neue Gesetz zu
interpretieren, liegt allein bei Chinas Volkskongress in Peking. Laut dem
Chefredakteur der Parteizeitung Global Times, Hu Xijin, sei lebenslange
Haft die mögliche Höchststrafe.
Die EU-Kommission übte deutliche Kritik. „Diese neue Gesetzgebung steht
weder mit dem Grundgesetz Hongkongs noch mit Chinas internationalen
Verpflichtungen im Einklang“, erklärte Kommissionspräsidentin Ursula von
der Leyen in Brüssel. China müsse mit „sehr negativen Konsequenzen“
rechnen.
## Wirtschaftssanktionen gegen Peking? Eher unwahrscheinlich
Doch dass europäische Staaten oder gar die EU als ganzes
Wirtschaftssanktionen gegen Peking verhängen, ist unwahrscheinlich. Aus
diplomatischer Kreisen in Peking heißt es, Konfrontationen in Fragen der
laut Chinas Staatsführung „inneren Angelegenheiten“ würden die Lage nur
weiter verschärfen.
Aus Washington kommen bislang die stärksten Vergeltungsmaßnahmen. Die
Trump-Regierung hat bereits angekündigt, Visa-Beschränkungen gegen Chinesen
im Zusammenhang mit dem Nationalen Sicherheitsgesetz einzuführen. Und
bestimmte militärische Ausrüstung, die bisher an Hongkongs Polizei
geliefert wurde, wie auch Hightech-Güter, dürfen nicht mehr exportiert
werden, da China jetzt größeren Zugriff habe. Dem US-Senat liegt zudem noch
eine Gesetzentwurf vor, der Sanktionen gegen chinesische Regierungsbeamte,
Geschäfte und Banken vorsieht.
Bis Redaktionsschluss hielt Peking den Gesetzestext weiter unter
Verschluss: „Erstmals in Hongkongs Geschichte wurde ein Gesetz
verabschiedet, doch weiß niemand in der Stadt dessen Bestimmungen, nicht
einmal die höchstrangige Regierungsvertreterin. Allein das zeigt, dass
Hongkong nicht länger autonom ist“, schreibt Alex Lam von der
prodemokratischen Zeitung Apple Daily auf Twitter.
Nur sehr wenige Regierungsvertreter Hongkongs sollen das Gesetz zuvor
eingesehen haben. Regierungschefin Carrie Lam gehörte nicht dazu, dabei
versicherte sie, dass Gesetz würde Hongkongs rechtliche Unabhängigkeit
nicht antasten. Dienstagmorgen verweigerte Lam kategorisch, Fragen zu
beantworten.
Der 1. Juli ist traditionell der wichtigste Demonstrationstag des
demokratischen Lagers in Hongkong. Doch dieses Jahr sind die Proteste
erstmals verboten. Der Aktivist Joshua Wong, dessen Partei Demosisto sich
am Dienstag für aufgelöst erklärte, twitterte, das neue Gesetz stelle „das
Ende von Hongkong dar, wie die Welt es bisher gekannt hat“.
30 Jun 2020
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## AUTOREN
DIR Fabian Kretschmer
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