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       # taz.de -- FC Schalke 04 stellt neuen Kurs vor: Nur noch Mittelklasse
       
       > Nach dem Abgang von Clemens Tönnies kündigt Schalke 04 eine Zäsur an.
       > Wirtschaftlich soll nun seriös gearbeitet werden. Trainer David Wagner
       > bleibt.
       
   IMG Bild: Harter Job: Jochen Schneider muss mit der Schalker Führungscrew dem eigenen Team zusehen
       
       Mit ausnehmend freundlichen Worten des Dankes und der Anerkennung
       verabschiedeten die Herren auf dem Podium im Schalker Presseraum den großen
       Patron, der am Dienstagnachmittag seinen Rücktritt von allen Ämtern beim FC
       Schalke 04 bekannt gegeben hat. Denkwürdige Leistungen des langjährigen
       Aufsichtsratschefs Clemens Tönnies werden bleiben, erklärte Sportvorstand
       Jochen Schneider.
       
       Die Entstehung „der wunderschönen Veltins-Arena“ zum Beispiel, der
       [1][„Aufbau der Knappenschmiede“], wo große Nachwuchsspieler wie Manuel
       Neuer, Leroy Sané oder Mesut Özil ausgebildet wurden, oder der „Umbau des
       Berger Feldes“, wo ein beeindruckendes Vereinsgelände entstanden ist. Aber
       als es um die aktuelle Situation ging, die sportlich desaströs und
       wirtschaftlich prekär ist, war Tönnies ebenfalls sehr präsent, ohne dass
       sein Name fiel.
       
       „Generell ist es so, dass ein Kaufmann darauf achten sollte, Ausgaben und
       Ertrag in Einklang zu bringen“, sagte Schneider, das sei dem Klub „in den
       letzten Jahren nicht gelungen.“ Eigentlich besteht die genuine Aufgabe
       eines Aufsichtsrates darin, exakt diese Balance zwischen Kosten und
       Einnahmen zu gewährleisten. Das ist über viele Jahre dramatisch schief
       gegangen, räumten die Vorstände nun ein und kündigten einen
       Paradigmenwechsel an: „Der heutige Tag ist eine Zäsur für den FC Schalke
       04. Ein ‚Weiter so‘ wird es und kann es nicht geben“, sagte Jobst in einem
       langen, demütigen Statement. Überdies habe der Klub „in den vergangenen
       Monaten in der Öffentlichkeit [2][ein miserables Bild] abgegeben“, fuhr der
       der Marketing-Spezialist fort und nannte den Umgang mit den entlassenen
       Fahrern und den Ticketbesitzern für Geisterspiele, die einen
       Härtefallantrag stellten sollten, um ihr Geld zurück zu bekommen.
       
       Im Zentrum der Schalker Selbsterneuerung stand aber das wirtschaftliche
       Gebaren der vergangenen Jahre, das von einer erschreckend ungesunden
       Balance zwischen Realitätssinn und Risikobereitschaft geprägt war. Die
       Klubführung sei Jahr für Jahr „eine Wette auf die Zukunft“ eingegangen,
       berichtete Jobst, weil bei den Kosten für den Kader immer große Einnahmen
       aus dem Europapokal eingerechnet waren. In den zurückliegenden Jahren habe
       der Klub diese „Wette mehrfach verloren“.
       
       ## Angedeutete Staatsbürgschaft
       
       Das war ein hübsches Bild für eine Arbeitsweise, die sich mit dem Begriff
       „unseriös“ umschreiben lässt. „Träumen dürfen wir nicht mehr“, sagte
       Schneider nun, das Ziel ist nicht mehr unter die ersten sechs der Liga zu
       kommen, Schalke ist seit diesem 1. Juli 2020 ganz offiziell nur noch ein
       Mittelklasseklub, der froh sein kann nicht in Abstiegsnöte hinein zu
       geraten.
       
       Aber die Verantwortlichen hatten auch gute Nachrichten für ihren Anhang:
       Ohne konkret zu werden, deuteten die Vorstände an, mit dem Bankkredit von
       knapp 40 Millionen Euro, der wohl mit einer Bürgschaft des Landes NRW
       abgesichert wird, „bei Kapitalbedarf entsprechend reagieren können“, sagte
       Jobst. Die Jahresgehaltsobergrenze, die angeblich bei 2,5 Millionen Euro
       pro Spieler betragen soll, wird es aber nicht geben. Das Konzept für die
       Zukunft sehe zwar vor, eine „Richtlinie“ finanzieller Art zu definieren,
       „an die wir uns halten“, erklärte Schneider. Aber „was die Gehälter
       betrifft, da verfolgen wir keinen dogmatischen Ansatz.“
       
       Damit haben die Schalker erstmals in diesem Jahrtausend eine echte Chance
       zum Neubeginn. Tönnies führte den Verein [3][im Stile eines Patriarchen],
       der nicht nur die großen Linien vorgab, sondern auch bei allen wichtigen
       Entscheidungen den Daumen hob oder senkte. Sein Selbstbild als erfolgreiche
       Instanz unter den reichsten und wichtigsten Menschen Deutschlands übertrug
       er auf Schalke, lange funktionierte das zumindest so gut, dass der Klub in
       19 Jahren zehn Mal die Champions League erreichte und Zugang zu relativ
       viel Geld hatte.
       
       Allerdings ging es Tönnies und den unter seiner Ägide arbeitenden
       Vorständen zuallererst darum, immer wieder in die Königsklasse zu kommen.
       Ein Projekt wie ein nachhaltiger Schuldenabbau wurde darüber
       vernachlässigt, Investitionen in die Infrastruktur wurden viel zu spät
       angeschoben, die Mannschaft war immer zu teuer. Sie haben ihre Wette auf
       die Zukunft verloren und womöglich eine Lektion gelernt. „Ja, wir sind der
       große FC Schalke 04, aber nicht mehr der Schalke 04 wie vor zehn Jahren,
       erklärte Trainer David Wagner, der trotz seiner 16 Spiele ohne Sieg weiter
       machen darf. Das klingt nicht schön, aber wenigstens realistisch.
       
       1 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Theweleit
       
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