URI: 
       # taz.de -- Soziale Auswirkungen von Corona: Brutaler Lockdown
       
       > Die Fälle von häuslicher Gewalt haben in der Coronakrise stark
       > zugenommen. Das berichtet die Leiterin der Berliner Gewaltschutzambulanz.
       
   IMG Bild: In Coronazeiten ging viel zu Bruch
       
       Berlin taz | Es war so in China, es war so in Italien, nun hat es sich auch
       für Berlin bewahrheitet: Die Corona-Epidemie und der Lockdown haben zu
       einem deutlichen Anstieg von häuslicher Gewalt und Kindesmissbrauch
       geführt. „Den Senat hat [1][diese Sorge seit Beginn der Krise
       umgetrieben]“, sagte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) – leider zu Recht,
       wie erste Zahlen der Justizverwaltung und der Gewaltschutzambulanz der
       Charité zeigen, die am Donnerstag vorgestellt wurden.
       
       So stieg laut Behrendt die Zahl der gerichtlich verfügten
       Wohnungsüberlassungen nach häuslicher Gewalt im ersten Quartal 2020 um 23
       Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, die Zahl der eingeleiteten
       Strafverfahren stieg im April sogar um 50 Prozent gegenüber dem
       Vorjahresmonat (2019: 1.089, 2020: 1.566).
       
       Befürchtungen hatte es auch in der Charité gegeben. „Wir haben frühzeitig
       gesagt, da kommt was auf uns zu“, sagte die Leiterin der
       Gewaltschutzambulanz, Saskia Etzold. Die Ambulanz bietet Opfern von Gewalt
       – sei es häusliche, sexualisierte, interpersonelle oder Gewalt gegen Kinder
       – eine rechtsmedizinische Begutachtung und Dokumentation von Verletzungen
       für spätere Gerichtsverfahren.
       
       Gleichzeitig sei absehbar gewesen, dass es Gewaltopfer im Lockdown
       besonders schwer haben würden, Hilfe zu suchen, so Etzold. Zum einen, weil
       die Täter – meist prügelnde Ehemänner und Väter – zu Hause waren; zum
       anderen, weil Schulen und Kitas – wo Kindesmisshandlungen häufig zuerst
       auffallen – lange geschlossen waren.
       
       Tatsächlich sei die Zahl der Betroffenen, die die Ambulanz aufsuchen, im
       März, also zu Beginn des Lockdowns, zunächst um 24 Prozent gesunken
       gegenüber dem Vorjahresmonat, im April lag sie immer noch 15 Prozent
       niedriger. „Aber als nach Ostern die ersten Lockerungen kamen, stiegen die
       Zahlen rapide“, sagte Etzold. Insgesamt dokumentierte die Ambulanz im 1.
       Halbjahr 2020 783 Fälle, im Vorjahreszeitraum waren es 720. Im Juni dieses
       Jahres kamen 152 Menschen zur Begutachtung ihrer Verletzungen, das sind 30
       Prozent mehr als im selben Monat 2019 (118). Rund 20 Prozent der
       Ambulanzfälle betreffen laut Etzold Gewalt gegen Kinder. Von den
       erwachsenen Opfern seien 80 Prozent Frauen, inzwischen aber auch 20 Prozent
       Männer.
       
       ## Viele schwere Verletzungen
       
       Zugenommen hat nach Angaben der Ärztin zudem die Schwere der Gewalt. Die
       Ambulanz dokumentiere zurzeit viele schwere Verletzungen, etwa
       Knochenbrüche, Würgemale und Verletzungen am Hals. „Bei Kindern sehen wir
       oft Spuren des Einsatzes von Werkzeugen wie Gürtel oder Stöcke“, so Etzold.
       
       Auch das Anzeigeverhalten mache die Eskalation deutlich: Inzwischen sei in
       90 Prozent der in der Ambulanz ankommenden Fälle bereits Anzeige erstattet
       worden – sonst seien es nur etwa 50 Prozent. „Oft können sich die Opfer
       nämlich nur aus ihrer Notlage befreien, indem sie die Polizei rufen“, führt
       sie aus. Auch Kinder und Jugendliche riefen in ihrer Not die Polizei: „Das
       ist mir so vorher noch nie untergekommen“, sagte Etzold.
       
       Die Verschiebung beim Anzeigeverhalten und die Schwere der Gewalt mache
       deutlich, „dass darunter vermutlich ein riesiger Eisberg von nicht
       bekannter Gewalt liegt“. Das beunruhigt auch den Justizsenator. Behrendt:
       „Wir stellen uns darauf ein, dass nach den Sommerferien mehr Fälle bekannt
       werden.“
       
       Befragt zu den Ursachen nannte Etzold zum einen die „Angst zu Beginn der
       Pandemie“ sowie finanzielle Sorgen, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit, aber
       auch Alkohol- und Drogenkonsum und das enge Zusammensein. „Auch
       normalerweise haben wir Spitzen nach Feiertagen. Jetzt hocken die Menschen
       häufig über Wochen zusammen.“ Die Gewalt sei kein Problem bestimmter
       sozialer Gruppen, betone die Ärztin: „Es wird in allen Schichten, Ethnien
       und Religionen geprügelt.“
       
       2 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Kinder-in-der-Coronakrise/!5691595
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR häusliche Gewalt
   DIR Krisenprävention
   DIR Dirk Behrendt
   DIR Die Linke Bremen
   DIR häusliche Gewalt
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR häusliche Gewalt
   DIR häusliche Gewalt
   DIR Südafrika
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Hilfe für Opfer häuslicher Gewalt: Safe Space in der Notaufnahme
       
       In Bremen soll es ab dem kommenden Frühjahr eine Gewaltschutzambulanz
       geben. Dort können auch Spuren als Beweismittel gesichert werden.
       
   DIR Häusliche Gewalt im Lockdown: „Wir müssen alle hinschauen“
       
       Die Fälle häuslicher Gewalt könnten wieder steigen, sagt Berlins grüne
       Fraktionschefin Silke Gebel. Sie fordert einen Notfallcode für Schüler.
       
   DIR Frauen in der Pandemie: Die sozialen Verliererinnen
       
       Der „Covid-19 Global Gender Response Tracker“ der UN sammelt Daten zu
       gendersensiblen Maßnahmen. Sie stimmen nicht gerade optimistisch.
       
   DIR Häusliche Gewalt und Corona: Frauen suchen öfter Hilfe
       
       Über tausend Beratungen pro Woche verzeichnet das Hilfetelefon „Gewalt
       gegen Frauen“ seit Mitte Mai. Es fehlen Plätze in Frauenhäusern.
       
   DIR Häusliche Gewalt in der Corona-Zeit: Ein uneinheitliches Bild
       
       Zu Beginn der Corona-Krise warnten Expert*innen vor einer Zunahme von
       häuslicher Gewalt. Erste Zahlen aus den Bundesländern liegen nun vor.
       
   DIR Gewalt gegen Frauen in Südafrika: Südafrikas zweite Epidemie
       
       In Südafrika galt wegen Corona wochenlang ein Alkoholverbot. Seit es
       aufgehoben wurde, steigt die Gewalt gegen Frauen drastisch an.
       
   DIR Kinder in der Coronakrise: Die Schadensliste ist lang
       
       Kinder sind die Hauptleidtragenden der Coronapandemie, sagen Fachleute der
       Gesundheitsministerien. Es drohten Lerndefizite und häusliche Gewalt.
       
   DIR Studie zu Auswirkungen der Coronakrise: Viel Gewalt während des Lockdown
       
       Zehn Prozent der Kinder in Corona-Quarantäne wurden geschlagen, sieben
       Prozent der Frauen erlebten Gewalt durch Männer. Auch emotionale Gewalt war
       häufig.