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       # taz.de -- Die Wahrheit: Wo andere keinen Urlaub machen
       
       > Wohnen, wo andere sonst höchstens durchfahren. Großes Erstaunen, wenn im
       > Sommer mal jemand für Ferien verweilt.
       
       Wohnen, wo andere Urlaub machen“, damit versuchen Immobilienhaie … besser
       wohl Grundstücksgeschäftsheringe, seit Äonen, Leute zum Kauf von
       Schrottimmobilien in abgehängten Provinzkäffern zu verführen. Bisher konnte
       ich mich damit brüsten, dass ich in einer Gegend lebe, wo noch nicht einmal
       dann jemand Urlaub machen würde, wenn er dafür Begrüßungsblumensträuße,
       Supermarktgutscheine und Zusatzzahlungen erhielte.
       
       Seit dem Mauerfall blieb die Südheide mit ihren endlosen Kartoffeläckern
       und Rübenfeldern erfreulich von Besuchern verschont, wenn man mal von der
       Fachwerkperle Celle absieht. Vor 1990 musste man hier allerdings
       blassgesichtige Westberliner aufpäppeln, die es mit letzter Kraft durch die
       Zone geschafft hatten und knapp hinter der Grenze so sehr nach Licht und
       Luft gierten, dass sie gleich zwei Wochen lang blieben.
       
       Auch habe ich in den achtziger Jahren mal ein Rentnerpaar aus Dortmund im
       Gasthof im Nachbarort gesehen. Fast hätte ich mir ein Autogramm geholt.
       
       Inzwischen ist der Gasthof pleite, weil die Rentner aus Dortmund
       ausgestorben sind. Aber in meinem Dorf gibt es dafür seit einigen Jahren
       einen Stellplatz für vier Wohnmobile, genau zwischen Freibad, Straße und
       Maisfeld. Jedes Mal, wenn ich am leeren Platz vorbeiradelte, musste ich
       über die absurde Idee lachen: Wohnmobile! Hier!
       
       ## Der Heidjer ist stur
       
       Als unser Dorf mit EU-Mitteln zukunftsfähig werden wollte, fragte die
       Beraterin aus dem Ministerium, die mich unangenehm an eine
       Grundschullehrerin erinnerte, die Einwohner bei einer Versammlung nach den
       Stärken unseres Dorfes. Gleich nach Licht, Luft und Gegend wurde der
       Wohnmobilstellplatz genannt. Sie habe sich das angesehen, sagte sie. Wir
       warteten auf ihr Lob, das nicht kam. Ihren Versuch, uns auf höfliche Weise
       mitzuteilen, dass das nichts, in Worten: gar nichts, sei, prallte ab. Der
       Heidjer ist ja stur.
       
       Wir warteten weiter auf Wohnmobile. Irgendwann übernachteten immerhin
       Durchreisende, die es nicht mehr bis nach Hause schafften. Neue
       Herausforderungen begegneten uns: Wie erklärt man einem Franzosen, dass er
       abends um 21 Uhr im Umkreis von mindestens zwanzig Kilometern kein
       Restaurant findet, dessen Koch noch nicht nach Haus gegangen ist? Und, dass
       das Essen hier meist sowieso so schmeckt, als ob der Koch schon vor Jahren
       nach Hause gegangen sei?
       
       Dann im vergangenen Jahr: acht britische Wohnmobile auf dem Platz und
       drumherum. Mit Waschmaschine auf der Wiese, far away from home!
       Beeindruckte Dörfler sahen zu, wie der Engländer Wäsche wäscht. Ein
       Ereignis für die Dorfchronik.
       
       Das war im Grunde nicht zu toppen, aber dann, vor zwei Tagen: Zwei VW-Busse
       aus Hamburg parkten am Freibad! Die hätten es bis nach Hause schaffen
       können! Die standen da freiwillig! Ach so, Corona, die können ja nicht
       wirklich weit weg. Und wo in Deutschland andere Urlaub machen, ist bestimmt
       alles seit Langem ausgebucht.
       
       8 Jul 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Fischer
       
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