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       # taz.de -- Macrons neues Kabinett: Der Pseudofeminist
       
       > Macron hat Gleichstellung als „großes nationales Anliegen“ begraben. Im
       > Kabinett sitzen Männer, gegen die Vergewaltigungsvorwürfe bestehen.
       
   IMG Bild: „Mein erstes Ziel als Feminist ist es, als solcher von den Frauen anerkannt zu werden.“ Macron 2016
       
       Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron ist seit drei Jahren an der
       Macht, seine [1][dritte Regierung wurde am 6. Juli gebildet] – und als die
       Namen der Minister*innen enthüllt worden waren, habe ich mir die Augen
       gerieben. Ich wollte sichergehen, ob ich wirklich richtig gelesen habe.
       Gewiss, man hatte damit rechnen können, dass er Persönlichkeiten aus allen
       politischen Lagern abwirbt, für sein politisches und ideologisches
       Mischmasch. Dem Präsidenten erlaubt dieses Vorgehen, die Spaltungen bei
       seinen politischen Kontrahenten zu vergrößern.
       
       Für ihn ist das ungefährlich, da er ohnehin alles selbst entscheidet. So
       repräsentieren seine Minister*innen, die von den Grünen oder den
       Sozialisten stammen und vor ihrer Landung im Macron-Land noch von ihren
       Unebenheiten befreit werden, nur sich selbst. Und auch wenn den
       Minister*innen ihre Berufung schmeichelt, bleiben sie Einzelkämpfer*innen,
       die weder die Bürger*innen noch die Partei hinter sich haben. „Lernt, dass
       jeder Schmeichler auf Kosten dessen lebt, der ihn hört!“, heißt es in einer
       Fabel des französischen Dichters Jean de La Fontaine.
       
       Aber es gibt noch eine anderes großes Problemfeld: die Frauen. Macron hat
       2017, als er an die Macht kam, viele Versprechungen gemacht. Als ich mich
       daran erinnerte, habe ich die Augen beim Lesen der neuen Kabinettsliste
       noch weiter aufgerissen. Damals hatte er erklärt, er wolle die
       Gleichstellung von Frauen und Männern zu „dem großen nationalen Anliegen“
       seiner fünfjährigen Amtszeit machen. 2016 hatte er mit einem
       Gewinnerlächeln deklamiert: „Mein erstes Ziel als Feminist ist es, als
       solcher von den Frauen anerkannt zu werden.“ Wie seltsam ausgedrückt, hatte
       ich damals gedacht. Als ob man nicht erst einmal als Feminist handeln
       müsse, um als Feminist anerkannt zu werden.
       
       Aber kommen wir zurück zur Zusammensetzung der dritten Regierung, geführt
       vom Premierminister [2][Jean Castex.] Erinnern wir uns nebenbei einmal kurz
       daran, was ein Vertrauter des früheren Regierungschefs der Tageszeitung Le
       Monde sagte: Castex habe angesichts einer paritätische Regierungsumbildung
       nur einen Mangel, er sei keine Frau. Die erste Lehre der jüngsten
       Kabinettsumbildung: Keine Frau zu sein, hat Jean Castex nicht daran
       gehindert, Premierminister zu werden – wie gehabt, könnten wir sagen, denn
       Edith Cresson im Jahr 1991 ist die Einzige, die es in Frankreich je auf
       diesen Posten geschafft hat.
       
       ## Feministin ausgebremst
       
       Als Innenminister wurde Gérald Darmanin berufen. Der frühere
       Haushaltsminister ist befördert worden. Aber gegen ihn gibt es laufende
       Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung, sexueller Belästigung
       und Machtmissbrauchs, die er im Jahr 2009 verübt haben soll. Nachdem die
       Ermittlungen 2018 eingestellt worden waren, hat das Berufungsgericht in
       Paris am 11. Juni angeordnet, sie wieder aufzunehmen.
       
       Natürlich gilt für Darmanin die Unschuldsvermutung. Aber muss man einen
       Mann, gegen den wegen Vergewaltigungsvorwürfen ermittelt wird, auf den
       Posten des „ersten französischen Polizisten“ berufen? Und was soll man über
       die Äußerungen aus dem Umfeld des Präsidenten sagen? Man begrüße, dass sich
       die Dinge bezüglich der Anzeige „in die richtige Richtung“ entwickelten,
       zumal der Minister „nach Höherem strebe“. Welche Botschaft sendet man damit
       an die Opfer sexualisierter Gewalt? Das ist die zweite Lehre der
       Kabinettsumbildung: der Élysée-Palast begrüßt, dass ein
       Vergewaltigungsvorwurf keineswegs die Beförderung eines Manns an die Spitze
       des Innenministeriums behindert.
       
       Wie sieht es indes mit Feminist*innen in der Regierung aus? Da ist
       jedenfalls seit 2017 eine Staatssekretärin für die Gleichstellung der
       Geschlechter, [3][Marlène Schiappa]. Sie wurde gerade zur beigeordneten
       Ministerin für Staatsbürgerschaft gemacht. Bittere Ironie: Schiappa, die
       2017 einen Essay über die „Vergewaltigungskultur“ (Rape Culture) schrieb
       mit dem Titel „Wo sind die Vergewaltiger?“, arbeitet von nun an unter
       Innenministers Gérald Darmanin.
       
       ## Frauen protestieren gegen Macron
       
       Und nicht zu vergessen: Justizminister Éric Dupont-Moretti, ein
       großmäuliger, medienwirksamer Anwalt. Als Anwalt hat er den früheren
       Staatssekretär Georges Tron verteidigt. Tron war wegen Vergewaltigung
       angeklagt, dann freigesprochen worden – die andere Seite hat allerdings
       Berufung eingelegt. Dupont-Moretti hat sich nicht damit begnügt, seinen
       Mandanten zu verteidigen. Er hat auch die Nebenklägerinnen mit den Worten
       angegriffen: „Ich würde Ihnen an die Kehle springen.“ Er hat eine
       Organisation angegriffen, die Frauen zu Hilfe kommt, die bei der Arbeit
       Opfer sexualisierter Gewalt werden. Und er greift regelmäßig Frauen an, die
       sexualisierte Gewalt im Rahmen der #MeToo-Bewegung anprangern. Das ist die
       dritte Lehre dieser Regierungsumbildung: Indem dieser Mann zum
       Justizminister gemacht wurde, wird den Opfern sexualisierter Gewalt
       vermittelt: Ihr seid nichts.
       
       So ist das „große nationale Anliegen“ drei Jahre nach der Wahl Emmanuel
       Macrons begraben. Aus dem eigenständigen Ministerium für Frauenrechte, das
       er im Wahlkampf versprochen hat, wurde nichts. Es wurde verwässert in ein
       beigeordnetes Ministerium mit lächerlich niedrigem Budget. Und man ernennt
       Personen auf Minister*innenposten, die Opfern sexualisierter Gewalt
       feindlich gesinnt sind, ja, sogar Männer, gegen die Vergewaltigungsvorwürfe
       bestehen.
       
       Es überrascht nicht, dass sich seit dem 6. Juli die Demonstrationen mehren:
       Am vergangenen Samstag etwa demonstrierten Tausende in Paris und anderen
       Städten. Protest gibt es nicht nur in Frankreich. Sogar in Berlin haben
       sich am Freitag Frauen vor der französischen Botschaft getroffen, um gegen
       das zu protestieren, was eine Journalistin des Online-Nachrichtenportals
       Médiapart eine „Kriegserklärung gegen die Frauenrechte“ nannte.
       
       Übersetzung: Eva Oer
       
       14 Jul 2020
       
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