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       # taz.de -- Prozess gegen Beamte: Polizist vertickt Daten
       
       > In Hannover steht ein Polizeibeamter vor Gericht. Er soll
       > Dienstgeheimnisse abgerufen und als Privatdetektiv an Kunden
       > weitergegeben haben.
       
   IMG Bild: Der Hauptangeklagte bespricht sich mit seinem Verteidiger
       
       Hannover taz | Die Geschichte klingt nach einem schlechten Drehbuch: Vor
       dem Landgericht Hannover wird gegen einen Polizisten verhandelt, der sich
       nebenbei als Privatdetektiv betätigt – und dabei Daten aus dem
       Dienstcomputer verkauft haben soll. Mit ihm vor Gericht stehen zwei
       Kollegen, die er angestiftet haben soll, und ein Unternehmer, der sein
       Hauptauftraggeber war.
       
       Dessen Geschichte ist besonders kurios: Der Unternehmer aus der
       Fitnessbranche war in einem Zivilgerichtsprozess wegen einer Mietsache im
       teuren Rosmarin-Carré in Berlin unterlegen. 3,1 Millionen Euro kostete ihn
       das. Und offenbar das letzte bisschen Vertrauen in den Rechtsstaat: Er
       witterte eine Verschwörung, an der die Richterinnen aus zwei Instanzen, die
       Anwält:innen der Gegenseite und möglicherweise sogar sein eigener Anwalt
       beteiligt gewesen sein sollen.
       
       Um diesen Komplott aufzudecken, engagierte er die Firma „Global Service &
       Solution“ des Hauptangeklagten. Der besorgte Daten aus polizeilichen
       Informationssystemen, klebte GPS-Tracker unter die Autos der
       „Verdächtigen“, also der Richterinnen, und erstellte Soziogramme aus den
       Bewegungsmustern.
       
       So zumindest stellt es die Staatsanwaltschaft dar – und die beiden
       Hauptangeklagten haben große Teile der Vorwürfe auch schon eingeräumt.
       
       ## Rund 82.000 Euro soll er kassiert haben
       
       Von 2014 bis 2016 währte die Geschäftsbeziehung. Die Verlesung der
       Anklageschrift dauert wegen der Vielzahl der Einzeltaten fast eine Stunde.
       Rund 82.000 Euro soll der Hauptangeklagte Thomas M. im Laufe der Zeit
       kassiert haben. Und er soll im Verlauf auch weitere Daten von Mitarbeitern
       oder Geschäftspartnern seines Auftraggebers aus verschiedenen
       Informationssystemen abgefragt haben – dabei ging es um Adressen,
       Autozulassungen und Vorstrafen.
       
       Ähnliche Aufträge soll er noch für zwei weitere Firmen erledigt haben. Die
       müssen sich auch noch wegen Bestechung verantworten, allerdings in
       gesonderten Verfahren.
       
       Die Kollegen von Thomas M. kassierten insgesamt deutlich weniger. Einer,
       Andreas G., trat anfangs als Geschäftspartner auf, zog sich dann allerdings
       zurück. Ein weiterer Kollege, Markus K. aus Berlin, ließ sich gar mit
       insgesamt rund 2.500 Euro abspeisen – obwohl er seinen Job und seine
       Pension aufs Spiel setzte. Er ist mittlerweile freiwillig aus dem Dienst
       ausgeschieden.
       
       Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft noch zwei weitere Polizisten auf
       der Liste. Gegen sie wurde das Verfahren eingestellt. Sie hatten in ihren
       Dienststellen Daten abgefragt, um die Thomas M. sie gebeten hatte – ohne
       dafür Geld zu bekommen, wohl auch ohne zu wissen, dass die Daten gar nicht
       aus dienstlichen Gründen benötigt wurden.
       
       ## Hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren hinaus gezögert?
       
       Die Verfahrensdauer ist in diesem Fall allerdings ein weiteres Problem. Der
       Verteidiger des Hauptangeklagten Thomas M., Matthias Steppuhn, warf der
       Staatsanwaltschaft vor, das Verfahren absichtlich verschleppt zu haben.
       Obwohl die Fakten alle bekannt gewesen seien, sei der Prozessbeginn
       verzögert worden. Und dies habe für seinen Mandanten ganz erhebliche
       Konsequenzen gehabt – auch psychischer Art.
       
       Gleichzeitig hat auch das Verfahren gegen den Mitangeklagten Andreas G.
       schon eine Extraschleife gedreht. Die Strafkammer wollte es erst gar nicht
       eröffnen, weil G. sich ja frühzeitig aus dem Geschäft zurückgezogen hatte.
       Dagegen legte die Staatsanwaltschaft vor dem Oberlandesgericht Beschwerde
       ein – und bekam Recht.
       
       Der Vorsitzende Richter der zweiten Strafkammer, Joachim Lotz, ist nun
       bemüht, das Verfahren zügig zum Abschluss zu bringen. Er regt eine Einigung
       an. Anderthalb weitere Stunden benötigten die Kammer, die vier Anwälte und
       die Staatsanwältin, um einen ungefähren Strafrahmen auszuloten. Damit
       entfallen weite Teile der Beweisaufnahme und der Prozess kann in wenigen
       Sitzungen zu Ende gebracht werden.
       
       ## Der Hauptangeklagte will seine eigene Version erzählen
       
       Eingestellt wird das Verfahren gegen Andreas G., den Aussteiger. Er muss
       eine Geldstrafe von 500 Euro zahlen. Weiter verhandelt wird gegen die
       restlichen drei Angeklagten. Bei dem Berliner Ex-Polizisten Markus K. wird
       es wohl auf eine Bewährungsstrafe zwischen einem und anderthalb Jahren
       hinauslaufen – Job und Pension ist er schon los. Bei dem Unternehmer kommen
       eine empfindliche Geldstrafe oder eine Bewährungsstrafe in Betracht.
       
       Der Hauptangeklagte solle auf jeden Fall auf ein Strafmaß kommen, mit dem
       der weitere Polizeidienst unmöglich wird, erklärt der Richter. Noch ruht
       nämlich das Disziplinarverfahren gegen ihn und er schiebt bei verminderten
       Bezügen Dienst in der Verwaltung.
       
       Thomas G. lässt seinen Verteidiger ausrichten, er akzeptiere diese Prämisse
       und beabsichtige, ein umfassendes Geständnis abzugeben – auch um mit der
       Geschichte endlich abschließen zu können. Seine Motive – das deutet sein
       Anwalt schon einmal an – seien auch keineswegs bloß materieller Natur
       gewesen. Die Verhandlung wird am 3. August fortgesetzt.
       
       15 Jul 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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