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       # taz.de -- Musik aus Tansania: Die seltsamen Wege des Bongo Flava
       
       > In Tansania ist Bongo Flava die Musik der Jugend, in Europa kennt sie
       > niemand. Mzungu Kichaa ist darin ein Star, trotz seiner weißen Hautfarbe.
       
   IMG Bild: Kann Mzungu Kichaa tansanische Musik repräsentieren?
       
       Der pulsierende Beat schraubt sich langsam hoch. Zwischen wippenden Afros
       und fliegenden Braids tanzt Mzungu Kichaa, Sonnenbrille auf der Nase, die
       Haare so blond, dass Augenbrauen und Bart kaum zu erkennen sind. „Nani
       huyu?“, singt er auf Suaheli in die Kamera: „Wer ist das?“ Es ist wohl die
       erste Frage vieler ZuschauerInnen, wenn sie Mzungu Kichaa zum ersten Mal in
       fließendem Suaheli [1][wie bei seinem Lied „Big Boss“] singen sehen. Ein
       weißer Tansanier? Ein Europäer, der sich anmaßt, afrikanische Musik zu
       machen?
       
       [2][Mzungu Kichaa heißt eigentlich Espen Sørensen], wurde in Dänemark
       geboren und ist in Ostafrika aufgewachsen. Seine Eltern zogen als
       Entwicklungshelfer in ein Dorf in Sambia, als Sørensen sechs war. In der
       Schule lernt er neben Mathematik auch, mit Ochsen zu pflügen, nach dem
       Unterricht jagt er zusammen mit den anderen Kindern mit der Zwille und
       fängt Fische. Mit 15 zieht Sørensen nach Tansania, Jahre später wird er
       dort zum Star einer Musikrichtung, die in Europa kaum jemand kennt: Bongo
       Flava.
       
       Bongo Flava, das ist die Musik von Tansanias Jugend; getragen von tanzbaren
       Beats, inspiriert von den arabisch angehauchten Melodien des Taraab,
       gesungen auf Suaheli. Entstanden ist das Genre aus der Begeisterung für
       US-HipHop, der in den 1990ern auch in die tansanische Regierungsstadt
       Daressalam schwappte. In „Bongo“, wie Einheimische die Megametropole auch
       nennen, produzieren Jugendliche in improvisierten Studios eigene Tracks.
       „Wir wollten nicht einfach nur den US-Sound kopieren. Wir wollten etwas mit
       dem „Flavour of Bongo“ produzieren“, sagt Sørensen, der von Anfang an mit
       dabei ist.
       
       Statt auf klassische Boom-Bap-Beats zu rappen, spielten die KünstlerInnen
       mit Einflüssen aus aller Welt – von Dancehall über karibischen Zouk bis zu
       tansanischem Folk. Mit Erfolg: „Heute ist Bongo Flava so populär, dass es
       im Grunde ein Synonym für Popmusik aus Tansania ist,“ sagt Sørensen.
       
       Aus dem Malus einen Bonus machen 
       
       Im Bongo Records Studio, in dem damals auch Sørensen arbeitet, entstehen um
       die Jahrtausendwende die ersten Hits – und auch Sørensens Rapper-Alias.
       Gemeinsam mit dem [3][Künstler Juma Nature] experimentierte er an neuen
       Songs, als dieser anfängt, ihn „Mzungu Kichaa“ zu rufen, Suaheli für
       „Verrückter Weißer“. Sørensen mag den Spitznamen nicht. Mzungus, so werden
       die weißen, reichen Europäer abfällig genannt, die Kolonisierer. Aber als
       Sørensen 2009 mit seinem Debütalbum als Künstler solo durchstarten möchte,
       erinnert er sich an diese Zeit. Sørensen weiß, spätestens bei Auftritten
       und in Musikvideos wird er ohnehin herausstechen.
       
       Warum aus dem Malus kein Bonus machen? Die Strategie hat Erfolg: Kurz nach
       der Veröffentlichung eines Albums als Mzungu Kichaa wird er in die Jury
       von „Bongo Star Search“ berufen – eine der größten Castingshows im
       tansanischen Fernsehen für zukünftige Bongostars.
       
       Kann jemand mit weißer Hautfarbe ostafrikanische Musik repräsentieren?
       Lange Zeit stellt sich Sørensen diese Frage nicht. Er ist Tansanier. Als er
       als Jugendlicher zum ersten Mal nach seiner Dorfkindheit in Sambia wieder
       Europa besucht, fühlt er sich dort fremd. Er mag es nicht, in Schuhen
       laufen zu müssen. Er muss erst lernen, wie man mit Besteck isst. Und er hat
       Schwierigkeiten, Beziehungen aufzubauen: „Die Leute haben nicht verstanden,
       wer ich bin.“
       
       Als Sørensen später in Tansania als Mzungu Kichaa durchstartet, wird er
       auch für ein großes Festival in Deutschland gebucht. Als die Booker merken,
       dass Sørensen weiß ist, soll er aber nicht mehr auftreten. Immer wieder
       erlebt der Künstler solche Situationen in den folgenden Jahren. Sørensen
       frustriert das – nicht wegen der verlorenen Gigs, sondern wegen des
       stereotypen Bilds von afrikanischen KünstlerInnen in Europa: „Was die
       Europäer wollen, ist eine schwarze Person mit einem Grashut auf der Bühne,
       die ihr Vorurteil von Afrika bestätigt: zurückentwickelt, kolonial, wild.“
       Eine „bizarre Art von Rassismus“ nennt Sørensen das.
       
       Früher der Klang einer frustrierten Jugend 
       
       Bongo Flava ist eher Basecap als Grashut und klingt urban herausfordernd,
       nicht hinterwäldlerisch provinziell. Der Sound ist auch aus der
       wirtschaftlichen Instabilität Tansanias in den 1990er Jahren gewachsen. Es
       war der Klang einer frustrierten Jugend, und die war regierungsskeptisch
       und sozialkritisch. Die frühen Bongo-Flava-KünstlerInnen hatten immer den
       Anspruch, mit ihren Reimen aufzuklären: über soziale Ungerechtigkeit,
       Korruption, die instabile politische Situation, die Aids/HIV-Epidemie.
       
       Doch seit einigen Jahren ändern sich die Themen. Statt yenye historia na
       ujumbe, Geschichten und Botschaften, sind nun Lieder za kuburudisha, zur
       Unterhaltung, beliebt. Wer Reichweite möchte, singt seichte Texte. Viele
       Reime enthalten jetzt tumbe Romantik, Feel-good-Vibes und eine
       Extraportion Bling-Bling. Nicht nur der Drang nach mehr medialer
       Reichweite von Bongo Flava hat die Texte weichgespült und den Sound
       kommerzialisiert.
       
       [4][Seit 2015 regiert Präsident John Magufuli Tansania]. „Tingatinga“
       nennen ihn seine Landsleute, „Bulldozer“, weil er zahlreiche
       Infrastrukturprojekte umsetzt, hart gegen Korruption durchgreift – und
       unbarmherzig gegen Minderheiten und die Presse und Meinungsfreiheit
       vorgeht.
       
       „Es gibt KünstlerInnen, die sind mutig und texten immer noch kritische
       Songs. Sie werden dann aber von der tansanischen Bundespolizei verhaftet,
       manche später freigelassen, andere bestraft“, sagt Sørensen.
       
       Nachträglich mit weichgespülten Lyrics versehen 
       
       Internationale Aufmerksamkeit zog der Fall von Emmanuel Elibariki auf sich.
       Ausgerechnet für sein Lied „Wapo“ wurde er eingeknastet. Darin fragt er
       unter anderem: „Gibt es noch Redefreiheit in diesem Land?“ Als Elibariki
       bereits im Gefängnis saß, schaltete sich Präsident Magufuli persönlich
       ein, ließ bekanntgeben er „liebe“ das Lied und ordnete Elibarikis
       Freilassung an. Außerdem gab er dem Künstler Hinweise, wie dieser seine
       Lyrics verbessern könne. Ein allzu offensichtliches Manöver, weil der Fall
       für zu viel Aufmerksamkeit gesorgt habe, glaubt wiederum Sørensen.
       
       Politik taugt dann zum Textmaterial, wenn sich die SängerInnen in
       Lobhudeleien für die Regierung ergießen. Große Namen der Branche wie
       Diamond Platnumz haben ihre Hits nachträglich mit weichgespülten Lyrics
       versehen, Harmonize ein Lied sogar plakativ umbenannt in „Magufuli“. Im
       dazugehörigen Musikvideo durchschneidet der Präsident Eröffnungsbänder,
       sammelt Geld für die Kollekte ein, wiegt Goldbarren.
       
       In den Texten dazu rattert Harmonize die Erfolge des Präsidenten herunter:
       freie Bildung im ländlichen Raum, ein Dammbauprojekt, die Rettung der
       Fluggesellschaft Air Tanzania. Überhaupt ein toller Typ sei dieser
       Magufuli, ein Präsident der Schwachen, der sogar die Toten zum Leben
       erwecke und für den er unbedingt bei der nächsten Wahl stimmen werde.
       
       Ständiger Wandel als Konstante 
       
       Die Wahlwerbung ist plump – aber erfolgreich. Mehr als 7,5 Millionen Klicks
       hat das Video auf YouTube eingeheimst. Seit einem Jahr läuft es in
       Dauerschleife in den Mixtape-Ständen auf den Märkten, den Open-Air-Bars und
       Friseurläden am Straßenrand, den omnipräsenten Bus-Fernsehern – sogar ein
       Privatkonzert für den Präsidenten durfte Harmonize geben.
       
       Im Nachgang gab der Präsident bekannt, dass der Sänger bei den Wahlen im
       Oktober nun ebenfalls als Kandidat für die Regierungspartei CCM antreten
       soll.
       
       Sørensen weiß, Entwicklungen wie diese lassen sich kaum aufhalten. „Es ist
       eine Wachstumsbranche, die sich ständig verändert“, sagt er. Auf seinem im
       Frühjahr erschienenen Album „Huyu Nani“ singt Sørensen statt über Politik
       über Liebe, Sonnenschein und Partys. Kritische Themen sind ihm gerade zu
       brisant – aber vielleicht ändert sich das auch bald wieder. Der ständige
       Wandel ist die einzige Konstante von Bongo Flava. Oder, wie Sørensen in
       seinem Track „Big Boss“ singt: „Wir werden nie genau wissen, wohin der Beat
       uns führen wird.“
       
       16 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://youtu.be/hRGxJMbKUn0
   DIR [2] http://www.mzungukichaa.com/
   DIR [3] https://www.facebook.com/Sir-Juma-Nature-114751751938390/
   DIR [4] /Coronavirus-in-Tansania/!5675918
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Björn Rohwer
   DIR Astrid Benölken
       
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