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       # taz.de -- Studierende und Unis ziehen Bilanz: Ein Semester mit Corona
       
       > Die digitale Vorlesungszeit ist vorbei, das Fazit gemischt. Immerhin: das
       > Hochschulgesetz wurde angepasst – zu spät, finden
       > Studierendenberater*innen.
       
   IMG Bild: Alles dicht: Vorlesungen fanden dieses Semester nur am Computer statt
       
       BERLIN taz | So viele E-Mails wie in diesem Semester hat Paul Wienands noch
       nie bekommen. „Das Postfach unserer BAföG- und Sozialberatungsstelle ist so
       voll, dass wir Mühe haben, alle Studierende zurückzurufen“, sagt Wienands
       vom Asta der Technischen Universität (TU). Besonders zu Beginn der Pandemie
       hätten viele ihren Job verloren und finanzielle Probleme gehabt, erklärt
       Wienands. „Ich habe dann geraten, sich als Teilzeitstudierender zu melden,
       um Arbeitslosengeld II beantragen zu können.“
       
       Seit Freitag sind die Vorlesungen des Digitalsemesters nun vorbei, die
       Berliner Studierenden wurden in die zoomfreie Zeit entlassen. Während Unis
       jetzt ihre Evaluationsbögen auswerten, ziehen auch Asten und Studierende
       ihr Resümee eines Semesters, das viele an ihre Grenzen brachte: Ein knappes
       Drittel der Studierenden verlor wegen Corona den Job oder war von
       Einkunftseinbußen betroffen, wie eine nicht repräsentative [1][Umfrage des
       Refrats der Humboldt Universität] (HU) unter Studierenden ergab. 30
       Prozent der Teilnehmenden erwogen sogar, ihr Studium wegen der erschwerten
       Bedingungen abzubrechen.
       
       „Von vielen Studierenden haben wir das Feedback, dass sie die Onlinekurse
       zu herausfordernd fanden“, sagt Hans-Ulrich Heiß, Vizepräsident für Lehre,
       Digitalisierung und Nachhaltigkeit an der TU. So habe es etwa an
       Möglichkeiten zur Gruppenarbeit gefehlt, auch berichteten Studierende von
       Schwierigkeiten, sich zu Hause zu disziplinieren, erklärt Heiß. Für ihn sei
       klar: „Trotz großer Anstrengungen werden wir vermutlich im Schnitt nicht
       den gleichen Lernerfolg erreichen.“ 
       
       Dass es gelungen sei, einen Großteil der Kurse überhaupt ins Digitale zu
       übertragen, stimme Heiß hingegen positiv. Auch ein Sprecher der HU zeigt
       sich zufrieden: 87 Prozent des Lehrangebots könnten von der Uni
       bereitgestellt werden. An der TU seien es mit etwa 90 Prozent ähnlich viele
       Kurse, meldet die dortige Pressestelle. Veranstaltungen wie Laborpraktika,
       Sportkurse oder Exkursionen seien an den Unis hingegen weitestgehend
       ausgefallen. 
       
       ## Keine zuverlässigen Finanzhilfen
       
       Während sich die Studierenden mit fortlaufendem Semester immer mehr an die
       digitale Ausnahmesituation gewöhnten, war in den Beratungsstellen noch
       immer viel los. Zwar habe der Senat Finanzhilfen auf den Weg gebracht, aber
       diese seien nur unzureichend, kritisiert Juliane Ziegler vom Refrat der HU.
       
       So müsse die Notfallhilfe des Studierendenwerks von über 500 Euro monatlich
       neu beantragt werden. Das Geld würden zudem nur diejenigen bekommen, die
       weniger als 500 Euro auf dem Konto hätten. „Es ist eine Katastrophe“, so
       Ziegler, „es gibt keinerlei zuverlässige Hilfe für Studierende.“
       
       Auch Paul Wienands vom Asta der TU hält die Möglichkeiten zur finanziellen
       Unterstützung für zu gering: „Der KfW-Studierenden-Kredit läuft schlecht,
       weil die Studierenden Angst haben, sich zu verschulden“, sagt der
       Studierendenberater.
       
       Als gegen Vorlesungsende dann die Unterlagen fürs BAföG-Amt abgeschickt
       werden mussten, seien viele Studierende verunsichert gewesen. „Es gibt
       keine einheitlichen Regelungen, was passiert, wenn man die
       Leistungsnachweise nicht erbringen kann oder die Regelstudienzeit
       überschritten hat“, sagt Wienands. 
       
       ## Individuelle Regelstudienzeit soll kommen
       
       Eine Änderung im Hochschulgesetz soll das Problem nun lösen. Der Berliner
       Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, Steffen Krach (SPD),
       erklärte gegenüber der taz: „Es wird eine individuelle Regelstudienzeit
       eingeführt. Wer BAföG bekommt, kann deshalb also ein Semester länger
       gefördert werden.“
       
       Zusätzlich hätte die Landesrektorenkonferenz beschlossen, das Semester nur
       auf Wunsch als Fachstudienzeit zu zählen. Die Änderung gelten erst ab
       Oktober, laut Krach hätten die Ämter aber schon jetzt eine Weisung,
       BAföG-Anträge entsprechend zu bewerten. 
       
       Für Paul Wienands kommt das zu spät: „Bundesländer wie Baden-Württemberg
       oder Nordrhein-Westfalen haben früher reagiert. Das hätte in Berlin auch
       passieren müssen.“ Er sei skeptisch, ob die Weisung an das BAföG-Amt die
       Situation schon tatsächlich verbessert: „Ich glaube, dass da eine handfeste
       Lösung besser wäre. Etwa eine grundsätzliche Aussetzung der
       Regelstudienzeit“, sagt der Studierendenberater. Für Wienands ist darum
       sicher: Fragen zu BAföG-Anträgen werden die Beratungsstellen auch weiterhin
       zahlreich erreichen. 
       
       ## Präsenzveranstaltungen für Erstsemesterstudierende
       
       Was Studierendenvertretungen, Politik und Universitäten mit Blick auf das
       kommende Semester eint: Der Wunsch nach einer Rückkehr zum Präsenzbetrieb.
       Für das Wintersemester sei eine Mischung aus Digital- und
       Präsenzveranstaltungen geplant, teilten die Berliner Universitäten der taz
       mit.
       
       Hans-Ulrich Heiß von der TU denkt dabei auch an die Bachelor-Jahrgänge:
       „Wir wollen Erstsemester-Studierende nicht in einem Digitalsemester
       abspeisen, darum bieten wir für jeden mindestens eine Präsenzveranstaltung
       an“, sagt Heiß und ergänzt: „Neue Freunde zu finden, gehört zu Studium
       schließlich dazu.“
       
       18 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.refrat.de/article/auswirkungencovid.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jannis Hartmann
       
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