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       # taz.de -- Polizeigewalt im Hambacher Forst: In die Attacke gestolpert
       
       > Beim Protest gegen Braunkohleabbau wurde ein Filmemacher 2016 minutenlang
       > mit dem Gesicht in den Boden gedrückt – ohne Konsequenzen für die
       > Polizei.
       
   IMG Bild: Sommer 2020: Todde Kemmerich im Hambacher Wald, dreieinhalb Jahre nach dem Übergriff
       
       Aachen taz | Am Telefon klingt Todde Kemmerich fast übermütig: „In
       Minneapolis wollen sie die Polizei in der jetzigen Form abschaffen. Ich
       würde gern daran mitwirken, dass das in Aachen auch passiert.“
       
       Damit nicht mehr so leicht möglich ist, was ihm zugestoßen ist.
       
       Kemmerich ist 53 Jahre alt, seine dünnen braunen Haare mit den grauen
       Strähnchen hat er hinten zu einem kleinen Dutt zusammengebunden. Auf dem
       Sofa seiner Aachener Wohnung fällt eine große, schick gestaltete
       Papp-Baggerschaufel auf. Sie kam neulich, erzählt er, mit zehn anderen
       Design-Schaufeln in Essen bei einer Demo zur RWE-Hauptversammlung zum
       Einsatz. „Das ist ein Projekt der Aachener Gruppe von Artists for Future.
       Wir sind die künstlerische Unterstützung für Fridays for Future“, sagt er.
       
       Jetzt aber geht es um eine andere Aktion. Sie beginnt im Hambacher Wald am
       Morgen des 3. Dezember 2016 – und prägt Kemmerichs Leben bis heute: Zu
       Beginn der Rodungssaison, so erzählt es der Filmemacher, hatte sich die
       Antikohleszene damals die Aktion Adventskalender ausgedacht: Jeden Tag ein
       neues Stückchen Widerstand. An jenem Morgen öffnet sich Türchen 3,
       Protestfrühstück morgens um 6.30 Uhr vor der Zufahrt zum Braunkohlegelände.
       Eine genehmigte Demo.
       
       ## Die RWE-Wagen müssen umkehren
       
       Kemmerich startet den Film dazu, er hat ihn damals gedreht: Man sieht
       Asphalt, auf dem zwei Dutzend Kerzen flackern. Etwa 30 Leute haben sich bei
       warmer Mandelmilch, Kaffee und Brötchen versammelt. Jemand sagt: „Unsere
       Barrikaden sind gedeckte Frühstückstische.“ Es ist Michael Zobel, der
       umtriebige Naturführer, der seit sechs Jahren monatlich
       Hambach-Spaziergänge macht, meist mit Hunderten Menschen. Lichter einer
       Kolonne von RWE-Fahrzeugen tauchen auf. Die Wagen müssen wieder umkehren.
       
       „Das haben wir natürlich ein bisschen gefeiert“, erinnert sich Kemmerich in
       seinem Aachener Wohnzimmer. Im Film hört man nun im Hintergrund Ingo
       Mitschke sprechen. Er ist der Polizei-Kontaktbeamte; der bei solchen Events
       oft dabei ist, man kennt sich, er ist geduldet. Mitschke telefoniert,
       offenbar wegen der RWE-Laster: „Was wollen die hier? Das gibt doch Bilder,
       die wir nicht wollen.“
       
       Für die Bilder sorgt Todde Kemmerich mit seiner Kamera. Er ist bester
       Laune. Das wird sich zwei Stunden später schlagartig ändern.
       
       Kemmerich ist ein wacher Gesprächspartner, seine Antworten sind pointiert
       und blitzschnell. Ein Mensch mit besonderer Persönlichkeit: „In einer
       psychosozialen Klinik wurde ich mal als high sensitive diagnostiziert“,
       erzählt er. Der IQ-Test habe „ein exorbitantes Ergebnis“ gebracht. „Diese
       Ergebnisse erklären vieles in meinem Leben: dass ich auf so vieles so
       schnell reagiere, vieles so unnötig finde und halt widerständisch bin.“
       
       Seine Widerstandsfähigkeit wird am Morgen dieses 3. Dezember 2016 auf eine
       harte Probe gestellt. Nach dem Frühstück seien mehrere Gruppen „zu einem
       kleinen Waldspaziergang“ aufgebrochen, sagt Kemmerich. Es habe keine
       Absperrungen und keine Hinweisschilder zur Rodung gegeben. Ein Detail, das
       noch wichtig sein wird. Auch der Kontaktbeamte Mitschke geht mit,
       allerdings nicht in Kemmerichs Gruppe.
       
       ## Die Polizisten kommen langsam näher
       
       Film ab: Es ist kurz nach 9 Uhr, Bilder aus dem winterlichen Wald ziehen
       vorbei. Bald tauchen ein paar Polizisten in Kampfmontur auf, daneben zwei
       RWE-Sicherheitsleute mit gelben Westen. Kemmerich dreht mit der Kamera vor
       dem Bauch für seinen Film „Eine Reise in die UnteRWElt“. Dabei kommentiert
       er mal provozierend, mal spöttisch, vielleicht 15 Meter entfernt von den
       Beamten: „Sie schützen hier ein Umweltverbrechen. Sie spielen hier den
       Werkschutz für RWE.“ Ein Polizist erwidert: „Sie entfernen sich jetzt.“
       Darauf Kemmerich: „Es ist nicht verboten, hier zu sein.“
       
       Man sieht, wie die Beamten langsam näher kommen. Kemmerich geht genauso
       langsam rückwärts, weiter filmend. „Ich entferne mich schon, keine Sorge“,
       sagt er noch, deutlich vernehmbar. Er wirkt aufsässig, aber nicht
       beleidigend und schon gar nicht gewaltbereit. Da passiert es: Aus dem
       Nichts stürzt ein Beamter aus dem Hintergrund schräg rechts auf ihn los.
       „He, was soll das?“, schreit Kemmerich noch.
       
       „Sieh dir das an“, sagt er jetzt in seinem Wohnzimmer vor dem Videoscreen,
       „wie ein Footballspieler. Der ist einfach ausgerastet und wollte mir wohl
       das Maul stopfen.“
       
       Die Bilder brechen ab, der Ton bleibt noch ein paar Sekunden. Man hört
       Stöhnen und schrille Schreie: „Aua, Sie tun mir weh … ich habe Ihnen nichts
       getan … hören Sie auf … auuuh.“ Dann endet auch der Ton. Die Kamera ist
       zwischen Kemmerichs Brustkorb und dem harten Waldboden zerbrochen.
       
       ## Ein halbes Dutzend Zeugen
       
       Es gibt ein halbes Dutzend Zeugen, wenige Meter entfernt. Und es gibt einen
       zweiten Film, aufgenommen aus der Gegenrichtung, der das weitere Geschehen
       dokumentiert. Einer der RWE-Männer mit gelber Weste hat die Szene
       eingefangen; Kemmerich kennt das Opus, es gehört zu den Beweisstücken aus
       den Klageakten.
       
       Der Polizist, erzählt Kemmerich, habe auf ihm gesessen, zwei andere seien
       sofort dazugekommen. „Die haben mit dem Schlagstock auf mich eingedroschen,
       bis das Stativ im Rucksack zerbrochen ist. Als meine Arme mit Kabelbinder
       auf dem Rücken fixiert waren, wurde ich umgedreht und bekam von zwei
       Beamten noch zwei Faustschläge von schräg hinten gegen die Wangenknochen.“
       
       Kemmerich holt tief Luft. „Als ich den Film vom Mord an George Floyd
       gesehen habe, bekam ich sofort Nackenschmerzen, und die sind geblieben. Bei
       mir war es ja ganz ähnlich, der hat mit seinen dicken Handschuhen meinen
       Nacken zugedrückt, den Kopf mit Gewalt in den Boden gedrückt, alles auch
       minutenlang.“ Er vergräbt sein Gesicht. „Tut mir leid.“ Er schluchzt.
       
       Kemmerich sagt, es sei seine erste Gewalterfahrung gewesen. Mit 53. Er sei
       rabiat weggetragen und zwei Stunden in einem Gefangenen-Transporter
       festgehalten worden. Von dort aus habe er den Attacke-Polizisten und den
       hinzugeeilten Kontaktbeamten Mitschke heftig gestikulieren gesehen,
       „offenbar im Streit“, vermutet er. Schließlich seien ihm alle konfiszierten
       Sachen zurückgegeben worden. „Auch die defekte Kamera samt Chip. Ganz schön
       blöd, oder? Sonst hätte ich heute keine Videobeweise.“
       
       ## Schädel-Hirn-Trauma, Prellungen und Hämatome
       
       In Aachen ging Kemmerich sofort ins Krankenhaus. Diagnostiziert wurden ein
       Schädel-Hirn-Trauma, mehrere Prellungen und Hämatome, dazu eine
       Verstauchung der Halswirbelsäule. Eine Therapie gegen die posttraumatische
       Belastungsstörung dauerte vier Monate. Ein gutes Vierteljahr war Kemmerich
       arbeitsunfähig. „Diese Ohnmachtserfahrung“, sagt er, „das haut dich
       wirklich um. Da war kein normales Leben mehr. Ich hatte wochenlang nicht
       mehr das Gefühl, dass ich das bin.“
       
       Und dann? Mahlten die Mühlen der Justiz. Zuerst gegen ihn: Kemmerich, das
       Opfer, wurde mit Anzeigen überzogen. Wegen Hausfriedensbruch im Wald,
       Widerstand gegen Vollzugsbeamte, Aufruf zu Straftaten. Sechs Verfahren
       wurden es. Vier endeten mit Einstellung, zwei mit Freispruch.
       
       Gegenanzeigen? „Klar“, sagt Kemmerich, „so etwas muss Konsequenzen haben“.
       Er wartet bis heute darauf.
       
       Der Name des attackierenden Beamten ist der taz bekannt, in diesem Artikel
       soll er Dieter Z. heißen. Es handelt sich um den Führer einer
       Einsatzhundertschaft, einen Polizisten mit Vorbildfunktion also; in den
       Akten wird er als EPHK bezeichnet, die Abkürzung steht für Erster
       Polizei-Hauptkommissar. Zur Tatzeit ist Z. 54 Jahre alt. Im Februar 2017
       zeigt Kemmerich ihn und die anderen Beamten bei der Staatsanwaltschaft an,
       wegen Körperverletzung im Amt und Beihilfe, Freiheitsberaubung und
       Sachbeschädigung.
       
       ## Unverhofftes Wiedersehen
       
       Anderthalb Jahre lang passiert nichts. Dann werden Kemmerichs Zeugen
       befragt. Und auch die Polizisten. Von wem? Von Polizisten. Sie gehören
       derselben Dienststelle an und formulieren das Protokoll im kollegialen Du.
       Kemmerichs Kölner Anwalt Harald Bock sagt: „Polizisten fragen beschuldigte
       Polizisten – so was gehört dringend geändert. Das muss eine neutrale Stelle
       machen. Hier treffen sich Kollegen aus derselben Einheit vielleicht mittags
       in der Kantine – und zum Nachtisch gehen sie mal eben die Befragung
       machen?“
       
       Zuvor, am 1. Dezember 2017, hatte Todde Kemmerich den Aachener
       Weihnachtsmarkt besucht. Plötzlich hörte er, wie jemand ihn ansprach: „Ach,
       wir kennen uns doch.“ Es war Dieter Z., unterwegs auf Streife mit einem
       Kollegen. Zu dem, sagt Kemmerich, habe Z. gesagt: „Das ist der Aggressor
       aus dem Wald.“ Vielleicht habe sich der Polizist „vor seinem Kollegen dicke
       tun wollen“, überlegt Kemmerich. „Jedenfalls eine Unverschämtheit. Was
       quatscht der mich in aller Öffentlichkeit an, traumatisiert mich wieder!?“
       Kemmerich beschwert sich beim Aachener Polizeipräsidenten Dirk Weinspach,
       einem Mann mit grünem Parteibuch. Eine Antwort gibt es nicht.
       
       Warum? Die Polizei schreibt auf taz-Anfrage: Kemmerich habe „mehrere
       klärende Gespräche mit dem ihm bekannten Kontaktbeamten geführt“ und dann
       „abschließend auf eine schriftliche Bescheidung seiner Beschwerde
       verzichtet“. Kemmerich ist baff. Er habe zwar mit dem Mann gesprochen,
       „aber immer informell und zwischendurch“. Beschwerde zurückgezogen? „Warum
       sollte ich? So ein Schwachsinn.“
       
       Hauptkommissar Z. wird bald nach dem Weihnachtsmarktvorfall in den
       Innendienst versetzt. Die Polizei schreibt, dies sei „nicht aus
       dienstrechtlichen Gründen oder aufgrund mangelnder Führungskompetenz“
       erfolgt. Es handele sich um eine übliche Umbesetzung. Und: „Es spricht auch
       nichts dagegen, dass der Beamte wieder seine alte Tätigkeit aufnehmen
       könnte.“
       
       Und worum ging es bei der Debatte zwischen dem Polizei-Kontaktbeamten Ingo
       Mitschke und dem Ersten Polizei-Hauptkommissar Dieter Z. im Wald, damals,
       am 3. Dezember 2016? Im Telefongespräch mit der taz sagt Mitschke, es habe
       keinen Streit gegeben: „Nein, das hätte man aus dem Wagen auch nicht sehen
       können.“ Mit Z., den er als „einen guten Kollegen, immer mit Herzblut
       dabei“, beschreibt, habe er „ruhig gesprochen, wie Herrn Kemmerichs
       Platzverweis am besten umgesetzt wird, wie wir ihm helfen können. Es ist ja
       meine Aufgabe, deeskalierend, friedlich und kommunikativ unterwegs zu
       sein.“
       
       ## Wurde der Filmemacher verwechselt?
       
       Was mag einen erfahrenen Beamten wie Z. geritten haben? Steckt hinter der
       Attacke so was wie Political Profiling? Kemmerich überlegt: „Sicher nicht
       offiziell. Aber da sind die Verfassungsschutzaussagen von den angeblich
       linksextremistischen Waldbesetzern im Hambi. So serviert man ein schönes
       Feindbild. Und es herrscht großer Korpsgeist.“ Und, sagt er, wenn Medien
       unreflektiert Polizeimeldungen abschrieben, „verstärkt sich das Bild von
       den angeblich monstervielen Straftaten im Wald. Ich habe bei
       Polizeikontakten im Wald festgestellt, wie ahnungslos die Beamten sind: Was
       ist hier Betriebsgelände, was frei zugänglicher Wald, warum der Einsatz?
       Und dann wird so verfahren: Wenn ich nicht mehr weiterweiß, erteil ich
       einen Platzverweis.“
       
       Oder ist alles gezielter gewesen, als man denkt? Todde Kemmerich schaltet
       den Film aus dem Hambacher Wald noch einmal ein. Als sich Dieter Z. auf
       Kemmerich stürzt, hört man einen bemerkenswerten Kurzdialog. Polizist: „So,
       Herr Zobel …“ – Kemmerich: „Ich heiße nicht Zobel …“ – Polizist: „Oh,
       Scheiße …“ Kemmerich klickt auf Pause: „Großartig, oder?“
       
       Sollte hier ein anderer abgestraft werden für sein jahrelanges Engagement
       gegen den Tagebau? Natürlich nicht, sagt eine Polizeisprecherin auf
       taz-Nachfrage: „Das war einfach eine Verwechslung.“ Die muss man allerdings
       erst einmal hinbekommen: Zobel ist ein Trumm von einem Mann, fast zwei
       Meter groß; Kemmerich dagegen ist drahtig, schmal – und einen Kopf kleiner.
       
       ## Ermittlungsverfahren eingestellt
       
       Juli 2018. Der zuständige Staatsanwalt Jost Schützeberg stellt das
       Ermittlungsverfahren gegen die Polizisten ein, „weil kein Tatnachweis zu
       führen ist“. Die Aussagen der beschuldigten Beamten seien „schlüssig“. Es
       habe gar keine Gewalt gegeben.
       
       Dieter Z. gab an, er sei gestolpert, als er auf Kemmerich zulief. Und: Er
       habe ihn nur festhalten wollen. Festhalten – nachdem ein Kollege Kemmerich
       Sekunden vorher angewiesen hatte, er möge sich entfernen.
       
       Und die belastenden Videobilder? Auf Nachfrage stellt sich heraus: Der
       Staatsanwalt hatte das Beweismittel ignoriert. Kemmerich legt
       Rechtsbeschwerde ein. Im Oktober 2018 schließlich sehen sich Kemmerich,
       sein Anwalt und der Staatsanwalt das Video gemeinsam an. „Der wirkte
       ernsthaft betroffen“, sagt der Anwalt heute über den Staatsanwalt.
       Schützeberg teilt nun mit, er wolle das Ermittlungsverfahren wieder
       aufnehmen. Kurz darauf ein Karrieresprung: Er wechselt zur
       Generalstaatsanwaltschaft nach Köln. Und hat die Causa Kemmerich vom Tisch.
       
       Mehr als ein Jahr passiert wieder nichts. Am 10. Dezember 2019 stellt
       Schützebergs Nachfolger, Staatsanwalt Georg Blank, das Verfahren erneut
       ein. Mit einer, wie Anwalt Bock sagt, „völlig ungehörigen Begründung“.
       Blank, laut Justiz-Website „zuständig für Verfahren mit politischem
       Hintergrund und Staatsschutzsachen“, erhebt sich darin über ärztliche
       Gutachten: Es sei „nicht zu erwarten (gewesen), dass sich ein derart
       traumatisches Empfinden einstellen könnte, so dass sich die Festnahme auch
       insoweit nicht als unverhältnismäßig erweist“. Selbst wenn Kemmerich „das
       Geschehen im Nachhinein als besonders belastend empfindet, berührt dies die
       Rechtmäßigkeit der Zwangsanwendung nicht“.
       
       „Für meinen Mandanten“, sagt Anwalt Harald Bock, „ist es ein neuer Schlag
       ins Gesicht, so etwas lesen zu müssen.“
       
       ## Beweismittel ignoriert
       
       Am 23. Dezember 2019 legt Kemmerich erneut Rechtsbeschwerde ein. Bis heute
       ohne Reaktion. Der taz indes liegt ein zweiseitiger interner Aktenvermerk
       des Staatsanwalts Blank vor, datiert auf den 7. Januar 2020. „Die Schläge
       mit dem Einsatzstock“ hält Blank aufgrund der Polizeiaussagen für
       ausgeschlossen. Trotz entsprechender Atteste bezweifelt er Kemmerichs
       „zahlreiche schwerwiegende Verletzungen“. Diese seien „fernliegend“. Seine
       Schlussfolgerung: „Maßnahme … nicht unverhältnismäßig.“
       
       Diese Einschätzung ging an die Beschwerdestelle bei der
       Generalstaatsanwaltschaft Köln. Blank hätte der Beschwerde nur stattgeben
       können, sie zurückweisen kann nur Köln. Erklärend äußern will er sich
       gegenüber der taz nicht. Er schreibt: „Prognosen zur voraussichtlichen
       Dauer des bislang nicht abgeschlossenen Beschwerdeverfahrens werden nicht
       abgegeben.“
       
       Mehrfach schreibt Blank in seinem Vermerk vom „Rodungsbereich“, den
       Kemmerich trotz Aufforderung nicht verlassen habe. Das Video dokumentiert,
       dass das Wort nie gefallen ist. Mit einer Ausnahme: Hätte Staatsanwalt
       Blank genau hingehört, hätte ihm während der Festnahme ein Polizeibeamter
       auffallen können, der über Funk sagt, vermutlich zu einem Kollegen: „Wir
       wissen nicht, wo der Rodungsbereich ist.“
       
       ## Kein Gericht überprüft den Fall
       
       Ende Dezember 2019 verklagt Kemmerich das Land Nordrhein-Westfalen als
       Dienstherrn der Polizeibeamten zivilrechtlich auf Schadensersatz und
       Schmerzensgeld.
       
       Kemmerich erzählt, er lese viel über Polizeigewalt. Er zitiert einen
       Beamten aus Berlin, ebenfalls Leiter einer Einsatzhundertschaft, der
       kürzlich der Zeit gesagt hat: „Wir haben eine sehr gute und sensible
       Polizeiausbildung. Ich kenne nur wenige Videoaufnahmen oder Zeugenaussagen
       zu unrechtmäßiger Gewalt durch Polizeibeamte. Wer bei uns meint, Polizisten
       seien unzulässig eingeschritten, kann das melden und Gerichte überprüfen
       es.“
       
       Das mache ihn fassungslos, sagt Kemmerich. „Von wegen: Gerichte überprüfen
       es. Es ist genau nicht so.“
       
       Jährlich, schätzen Kriminologen, werden rund 2.000 Fälle von Polizeigewalt
       angezeigt. Nicht einmal 2 Prozent davon landen vor Gericht. „Den
       Ermittlungs- und Vollstreckungsbehörden zumindest in Aachen“, sagt Todde
       Kemmerich, traue er „inzwischen keinerlei rechtsstaatliche Handlungsweisen
       mehr zu. Sie versuchen gemeinsam, alles weit unter den Tisch zu kehren.“
       
       Er aber „will endlich aus dieser Scheiß-Ohnmacht heraus. Und das geht nur,
       wenn gegen diese gewalttätigen Herren endlich etwas gemacht wird.“
       
       23 Jul 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Müllender
       
       ## TAGS
       
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR IG
   DIR Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
   DIR Schwerpunkt Hambacher Forst
   DIR Polizei NRW
   DIR Schwerpunkt Fridays For Future
   DIR Braunkohle
       
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