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       # taz.de -- Doping-Verdacht in der Leichtathletik: Ein Sprinter als Premium-Shopper
       
       > Christian Coleman ist Weltklasseläufer, aber häufig nicht da, wenn die
       > Dopingkontrolleure bei ihm klingeln. Das sorgt für Ärger in der Szene.
       
   IMG Bild: Christian Coleman nach seinem WM-Sieg 2019 in Katar
       
       Christian Coleman ist ein viel beschäftigter junger Mann. Als
       Profileichtathlet trainiert er viele Stunden am Tag, er reist in der Welt
       herum zu Wettbewerben und Trainingslagern, und wenn er doch einmal zu Hause
       in Kentucky ist, dann hat er als begehrter Junggeselle natürlich ein
       ausgelastetes Privatleben.
       
       Von jemandem wie Coleman zu verlangen, dass er jeden Tag auf die Minute
       vorhersagen kann, wo er gerade anzutreffen ist, wäre ganz eindeutig eine
       Überforderung. Wie soll jemand wie Coleman schon wissen, wo er am nächsten
       Tag, sagen wir: um 13, um 15 oder um 19 Uhr ist.
       
       So kann es schon einmal passieren, dass Dopingfahnder bei Coleman zu Hause
       anklopfen und er gerade beim Einkaufen ist. Oder im Kraftraum. Oder dass er
       einfach vergessen hat, auf der App der Nationalen Anti-Doping-Agentur
       seinen genauen Aufenthaltsort einzutragen.
       
       Dummerweise ist genau das Coleman nun ein paar Mal zu oft passiert. Im
       vergangenen Jahr, kurz vor den Weltmeisterschaften in Katar, hatte der
       internationale Leichtathletikverband bereits moniert, dass Coleman
       innerhalb eines Jahres drei Mal nicht zu dem Zeitpunkt anzutreffen war, zu
       dem die Dopingtester sich mit ihm verabredet hatten. Beinahe hätte er bei
       der WM deswegen nicht starten dürfen.
       
       Zum Glück hatte Coleman jedoch gute Anwälte, die nachweisen konnten, dass
       die Dopingjäger Formfehler begangen hatten. So durfte der erste versäumte
       Test vordatiert werden, sodass die drei verpassten Tests technisch gesehen
       nicht innerhalb eines Jahres stattgefunden hatten. Coleman durfte starten
       und wurde im Sprint [1][über 100 Meter Weltmeister.]
       
       ## Der Nachfolger von Usain Bolt
       
       Nachdem er im Jahr zuvor mit einer Superzeit von 9,79 Sekunden die Diamond
       League gewonnen hatte, schien er sich nun als der neue Sprintstar der Ära
       nach dem Jamaikaner Usain Bolt herauszukristallisieren. Weit und breit
       scheint es keinen Sprinter mehr zu geben, der ihm das Wasser reichen kann.
       
       Zweiter hinter Coleman wurde in Doha Justin Gatlin, der schon meistens
       hinter Bolt Zweiter geworden war. Nach seiner Dopingsperre zwischen 2006
       und 2010 jedenfalls.
       
       Hätten in diesem Sommer die Olympischen Spiele in Tokio stattgefunden, wäre
       Coleman ganz sicher der Favorit gewesen. Wenn nicht die Fahnder des
       „[2][Athletics Integrity Unit]“ – der Einheit für Integrität in der
       Leichtathletik des Leichtathletik-Weltverbandes – Coleman schon wieder eine
       Falle gestellt hätten.
       
       ## Weihnachtseinkäufe müssen doch auch sein
       
       Die Fahnder waren nämlich am 9. Dezember 2019 zu einer Zeit, zu der Coleman
       angegeben hatte, zu Hause zu sein, vor seiner Wohnung aufgetaucht. Coleman
       war aber mal kurz ins Einkaufszentrum gegangen, um noch ein paar
       Weihnachtsbesorgungen zu machen. Er kann das beweisen, er hat sogar noch
       die Kassenbelege.
       
       Böswilligerweise riefen die Tester Coleman jedoch nicht an, er hatte keine
       Chance, rasch nach Hause zu gehen und den Test hinter sich zu bringen, den
       er ganz sicher bestanden hätte. Weil Coleman natürlich nie und nimmer
       irgendwelche verbotenen Substanzen nehmen würde. Und nun will man ihm einen
       Strick daraus drehen!
       
       Zusammen mit den vorher verpassten Tests kommt Coleman nun doch wieder auf
       drei Versäumnisse in einem Jahr. Coleman ist vorläufig gesperrt, und wenn
       er seine Berufung nicht gewinnt, dann wird er auch im kommenden Sommer in
       Tokio nicht am Start stehen.
       
       Bei der Berufung kommt es darauf an, ob die Berufungsinstanz, vermutlich
       der [3][Court of Arbitration of Sport], Coleman glaubt, dass er noch vor
       Ablauf der Stunde, in der er sich verfügbar zu machen hatte, nach Hause
       gekommen ist. Da steht sein Wort gegen das der Fahnder.
       
       Die größere Frage ist jedoch, wie glaubwürdig er ist, falls er in Tokio
       doch an den Start geht und vielleicht sogar gewinnt. Einige Kollegen sind
       sauer auf ihn und glauben, er hätte nicht nur seine, sondern die
       Glaubwürdigkeit des gesamten Sports erneut aufs Spiel gesetzt. „Der Beste
       der Welt zu sein, bedeutet auch mit gutem Beispiel voranzugehen“, sagte
       etwa der britische Hürdenläufer Dai Green. „Versuche doch mal den Sport und
       deine Kollegen mit dem Respekt zu behandeln, den sie verdienen.“
       
       Coleman findet unterdessen das alles immer noch nicht fair. Er wäre
       selbstverständlich an jedem Tag des Jahres dazu bereit, einen Dopingtest
       abzugeben, teilte er auf Twitter mit. Nur manchmal muss man eben nochmal
       schnell ein paar Dinge einkaufen. Das muss doch jeder verstehen. Nicht?
       
       21 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=hMDALOHv1fE
   DIR [2] https://www.athleticsintegrity.org/
   DIR [3] https://www.tas-cas.org/en/index.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sebastian Moll
       
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