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       # taz.de -- Innenausschuss zu NSU-2.0-Drohschreiben: Keine Spur zu den Datenabfragern
       
       > 69 Drohschreiben mit Bezug zum „NSU 2.0“ seien verschickt worden, sagte
       > Hessens Innenminister. Die Ermittlungen kommen kaum voran.
       
   IMG Bild: Unter Druck: Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) vor der Sitzung des Innenausschusses
       
       Wiesbaden taz | Unter dem Absender [1][„NSU 2.0“] sind deutlich mehr
       Hassmails und Morddrohungen verschickt worden als bislang bekannt. Bei
       Personen des öffentlichen Lebens, bei Institutionen und Medienschaffenden
       seien bis zum 19. Juli dieses Jahres insgesamt 69 Drohschreiben
       eingegangen; diese Zahl nannte der hessische Innenminister [2][Peter
       Beuth], CDU, bei der Sondersitzung des Innenausschusses des Wiesbadener
       Landtags; der Absender sei immer derselbe gewesen.
       
       Beuth bestätigte, dass in 3 Fällen zuvor persönliche Daten der von den per
       Mail oder Fax Bedrohten von Computern der hessischen Polizei abgerufen
       worden waren. Er sei deshalb „betroffen und wütend“, sagte der Minister.
       Polizei und Staatsanwaltschaft trieben die Ermittlungen mit Hochdruck
       voran.
       
       Allerdings gibt es offenbar nur im Fall der Morddrohung gegen die
       Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız einen konkreten Verdacht gegen zwei
       inzwischen suspendierte PolizeibeamtInnen aus dem 1. Frankfurter
       Polizeirevier. Bei diesen Ermittlungen war die Polizei im Sommer 2018 auf
       eine rechtsextremistische Chatgruppe in der Polizei gestoßen. Anders sieht
       es in den Fällen der Drohmails gegen die Linken-Politikerin Janine Wissler
       und die Kabarettistin İdil Baydar aus, vor denen es Datenabrufe von
       Computern im 3. und 4. Polizeirevier in Wiesbaden gegeben hatte. Die
       BeamtInnen, die zum Zeitpunkt der Datenabfrage eingeloggt waren, werden
       von der Staatsanwaltschaft lediglich als Zeugen geführt.
       
       Der Minister musste sich kritische Nachfragen der Opposition vor allem zum
       Zeitablauf und zu seiner eigenen Informationspolitik gefallen lassen.
       [3][Die Kabarettistin İdil Baydar] erhielt im Juli 2019 erste Drohmails.
       Seit Oktober 2019 wusste die Frankfurter Staatsanwaltschaft von einem
       Datenabruf von einem Computer im 4. Wiesbadener Polizeirevier – doch Beamte
       dieses Reviers wurden erst ein halbes Jahr später als Zeugen vernommen.
       Datenträger oder Handy wurden, anders als im Fall Yıldız, weder
       beschlagnahmt noch durchsucht.
       
       ## „Allerhöchste Priorität“
       
       Auf dem Revier sei es üblich gewesen, dass sich ein Beamter auf dem
       Computer einloggt, aber auch andere KollegInnen darauf Zugriff haben, sagte
       ein Vertreter der Staatsanwaltschaft. Deshalb fehle es an einem
       Anfangsverdacht gegen eine konkrete Person.
       
       Die Linken-Politikerin Janine Wissler erhielt erstmals am 15. Februar 2020
       Drohmails vom „NSU 2.0“. Zehn Tage später stand polizeiintern fest, dass es
       einen illegalen Datenabruf im 3. Wiesbadener Revier gegeben hatte. Die
       erste Zeugenvernehmung folgte jedoch erst am 22. Juni – wegen der
       Coronapandemie, so die Staatsanwaltschaft.
       
       Die Behörde verwahrte sich gegen den Vorwurf, nicht entschieden genug
       vorzugehen. Mit allerhöchster Priorität würden die Ermittlungen zu den
       Drohmails und den rechten Chatnetzen geführt, versicherte der Leiter der
       Staatsanwaltschaft, Albrecht Schreiber. Es sei leider weder gelungen, den
       Absender der Drohmails noch die Hintergründe der Datenabfragen von
       Polizeicomputern aufzuklären, weil die Täter die Anonymität des Internets
       nutzten. Immerhin sei keines der Verfahren eingestellt worden.
       Innenminister Beuth versprach, die Zugangsberechtigungen zu
       Polizeicomputern zu reformieren.
       
       SPD-Fraktionschefin Nancy Faeser nannte das Krisenmanagement des Ministers
       „unterirdisch“. Er habe Abgeordnete und Medien stets „proaktiv nicht
       informiert“. Keine Antwort bekam der Linke-Abgeordnete Hermann Schaus auf
       die Frage, warum Beuth angesichts der Parallelen zum Fall Yıldız offenbar
       nicht von sich aus nachgefragt hatte.
       
       21 Jul 2020
       
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