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       # taz.de -- Aufklärung von „NSU 2.0“-Drohmails: Das laute Schweigen der Grünen
       
       > Wegen des Skandals um „NSU 2.0“-Drohmails steht der hessische
       > Innenminister schwer in der Kritik. Die Grünen sind auffällig leise.
       
   IMG Bild: Gegen ihn haben die Grünen sich noch nicht positioniert: Hessens Innenminister Peter Beuth
       
       Frankfurt am Main taz | Hessens Innenminister Peter Beuth, CDU, stolpert
       seit zwei Wochen [1][durch eine schwere Vertrauenskrise]. Mit Spannung wird
       sein Auftritt bei der Sondersitzung des Landtagsinnenausschusses erwartet,
       für den die Abgeordneten am Dienstag die Sommerpause unterbrechen. Denn
       bislang ist dem Minister kein Befreiungsschlag gelungen.
       
       Erst musste er Medienberichte bestätigen, dass die Linken-Politikerin und
       Fraktionschefin [2][Janine Wissler seit Monaten unter dem Absender
       „NSU2.0“] von Rechtsextremisten mit dem Tod bedroht wird. Dann räumte er
       ein, dass ihre Daten von einem Polizeicomputer abgerufen wurden. Dass er
       selbst davon angeblich erst von Journalisten erfahren hat, lastete er in
       einer wütenden Attacke zunächst dem Landeskriminalamt an. Dann machte er
       seinen Landespolizeipräsidenten für die Panne verantwortlich, [3][feuerte
       ihn,] ernannte einen Sonderermittler und dazu gleich noch einen neuen
       Polizeichef.
       
       Inzwischen hält der Minister sogar für möglich, was er stets kategorisch
       ausgeschlossen hatte, dass es nämlich in der hessischen Polizei rechte
       Netzwerke geben könnte. „Der Verdacht wiegt schwer“, so Beuth. Die
       Landtagsopposition attestiert dem Minister längst Totalversagen, zumal die
       Reihe der [4][Drohmails gegen Politikerinnen, Journalistinnen] und andere
       nicht abreißt.
       
       Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder legt dem Minister daher den
       Rücktritt nahe. „Was muss denn noch alles passieren, um zu beweisen, dass
       der Staat auf dem rechten Auge blind ist? Was Sachsen und Thüringen im
       Osten waren, ist Hessen gegenwärtig im Westen. Und wenn jetzt der Feind
       sogar in den eigenen Reihen steht, hat das natürlich eine noch
       tiefgreifendere Dramaturgie“, so der Politikprofessor gegenüber der taz.
       
       ## Um 21 Monate verschlafen
       
       Doch vom grünen Koalitionspartner, zu dessen politischem Programm der Kampf
       gegen Rassismus und Rechtsextremismus gehört, ist bis heute kein kritisches
       Wort gegen den Minister überliefert. Die innenpolitische Sprecherin der
       Grünen erklärte sich zwar „zutiefst besorgt“, sprach vom „Fehlverhalten
       Einzelner“, versicherte aber gleichzeitig dem zurückgetretenen
       Polizeipräsidenten ihren Respekt.
       
       Erst nach zwei Wochen fand am Freitag mit Landtagsfraktionschef Mathias
       Wagner erstmals ein Grüner aus der ersten Reihe deutliche Worte. Der
       Wechsel an der Spitze der Landespolizei reiche nicht aus, lautete Wagners
       Botschaft. „Ein Neuanfang ist unerlässlich, damit sich die Opfer der
       Drohschreiben darauf verlassen können, dass sie geschützt werden und alles
       zur Ermittlung der Täter getan wird“, sagte er. Und räumte damit indirekt
       ein, dass in den 21 Monaten seit den ersten NSU-Drohmails gegen die
       Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız offenbar nicht genug getan wurde.
       
       Wie erklärt sich angesichts dieser bitteren Bilanz die demonstrative
       Zurückhaltung der Grünen? Das fragen sich nicht nur die
       Oppositionsparteien. Auch der grüne Ex-Justizminister von Hesssen, Rupert
       von Plottnitz, wundert sich: „Ich verstehe nicht, dass man offenbar fast
       zwei Jahre nach dem ersten Fall keine sichere Methode entwickelt hat, den
       Urheber von rechtswidrigen Datenabfragen von Polizeicomputern
       identifizieren zu können“, sagte er gegenüber der taz. Er wundere sich
       außerdem, dass der Beamte, der zum Zeitpunkt der Abfrage der Daten der
       Linken Politikerin Wissler eingeloggt war, im Ermittlungsverfahren offenbar
       von Anfang an und bis heute nur als Zeuge geführt wird.
       
       ## „Keine Bereitschaft für Konflikte“
       
       Der Kassler Politikprofessor Wolfgang Schroeder hat eine einfache Erklärung
       für die grüne Zurückhaltung trotz der brisanten Sachlage. „Da gibt es die
       tiefe Überzeugung, dass grüne Regierungsfähigkeit darin besteht, diese
       besondere Kooperation mit der Union unfall- und aufmerksamkeitsfrei zu
       gestalten“, sagt er im Gespräch mit der taz. „Es gibt keine Bereitschaft,
       große Konflikte auf offener Bühne auszutragen. Umfragen und Wahlergebnisse
       bestätigen sie darin auch“.
       
       Die offenkundigen Querelen zwischen LKA und Polizeiführung wollen CDU und
       Grüne jetzt mit einer umstrittenen Gesetzesänderung beenden. Künftig soll
       an der Spitze des LKA eine politische BeamtIn stehen. Anders als jetzt soll
       dann die Präsidentin ohne Angaben von Gründen abgelöst werden können. Der
       grüne Exminister von Plottnitz findet auch das befremdlich. „Ich erinnere
       mich daran, dass wir in rot-grünen Regierungszeiten bestrebt waren, den
       politischen Einfluss auf die Ermittlungsbehörden zurückzudrängen“, sagt er
       und äußert einen schlimmen Verdacht: „Ich will nicht hoffen, dass es einen
       Anlass für diese Gesetzesänderung gibt, etwa die Befürchtung, dass die
       gegenwärtige LKA-Führung nicht entschieden genug gegen mögliche
       rechtsextremistisch Netzwerke in der Polizei vorgeht.“
       
       20 Jul 2020
       
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