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       # taz.de -- Lehrfreiheit versus Hausfriedensbruch
       
       > Polizei in der Kunst (3): Joseph Beuys’ „Demokratie ist lustig“. Auf die
       > Studentenbesetzung folgt die Polizeibesetzung
       
   IMG Bild: Die von Edition Staeck aus Heidelberg für Joseph Beuys editierte Arbeit „Demokratie ist lustig“ (1973), Siebdruck auf Karton, mit handschriftlichem Text, 75 x 114,5 cm, Werkverzeichnis Nr. 68
       
       Von Sebastian Strenger
       
       Die hier abgebildete Arbeit von Joseph Beuys geht auf eine Fotografie von
       Ernst Nanninga zurück, der am 11. Oktober 1972 auf den Auslöser drückte,
       als Beuys durch die Staatsmacht nach seiner fristlosen Entlassung als
       Professor entlang einem Spalier von Polizisten aus der Düsseldorfer
       Kunstakademie geleitet wurde. Der damalige Direktor, Eduard Trier, hatte
       von seinem Hausrecht Gebrauch gemacht und die Polizei gerufen.
       
       Zuvor hatte Beuys, der die Professur seit 1961 innehatte, mit
       Studienbewerbern, die von der Akademie nicht angenommen worden waren, das
       Sekretariat der Kunstakademie besetzt. So suchte er deren Immatrikulation
       doch noch durchzusetzen. Mit Hinweis auf die Lehrfreiheit wollte Beuys
       seine Klasse, die bereits auf 270 Schüler angewachsen war, um 70 weitere
       erfolglose Anwärter erweitern. Eine erste Aktion im Jahr 1971 hatte noch
       zum Erfolg geführt.
       
       Im Folgejahr freilich verfing der Protest gegen die restriktiven
       Auswahlkriterien der Akademie, die Beuys als Verstoß gegen das Recht auf
       Ausbildung und damit als Menschenrechtsverletzung betrachtete, nicht mehr.
       Der nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister und spätere
       Bundespräsident Johannes Rau unterschrieb Beuys’ Entlassungspapiere. „Auch
       wenn Herr Beuys malt, darf er keinen Hausfriedensbruch begehen“, meinte
       Rau, woraufhin Beuys hartnäckig verkündete: „Ich halte mich an höheres
       Recht.“ Resultat: Beuys wurde aus der Akademie geleitet, und sein
       Wegbegleiter, der Heidelberger Editeur Klaus Staeck, produzierte aus dem
       Foto, in dem diese Situation festgehalten ist, später ein Multiple.
       
       Die Originalaufnahme Nanningas wurde vergrößert sowie koloriert und dann im
       Jahr 1973 per Offsetverfahren in Grau auf Plakatpapier gedruckt. In der
       Mitte des Bildes stand, von links nach rechts laufend, in der von Beuys
       angeeigneten Handschrift des von ihm verehrten Begründers der
       Anthroposophie, Rudolf Steiner: „ Demokratie ist lustig“, was der Arbeit
       ihren Titel gab. Darüber fand sich seine Signatur, die in Beuys’
       Verständnis bereits eine Zeichnung und somit ein Kunstwerk darstellte. Die
       Arbeit entstand in einer Auflage von 80 Exemplaren, was für den Versuch
       steht, möglichst vielen Menschen den Erwerb seiner Kunst für wenig Geld zu
       ermöglichen.
       
       Neben der Verpflichtung auf diesen Beuys’schen Grundgedanken wollte das
       Multiple selbstverständlich ein Statement gegen die gezeigte Situation
       sein. Was erwartbarerweise von politischer Seite wiederum als Provokation
       aufgefasst wurde. Dadurch aber wurde Beuys’ Anliegen umso bekannter. Zudem
       rechnete der damals bereits international bekannte Starkünstler damit, dass
       die Arbeit ihren Weg in den öffentlichen Raum, also in Museen und
       Sammlungen, finden würde, um letztlich vom Besucher nicht nur gesehen zu
       werden, sondern auch Gehör zu finden.
       
       Was lehrt diese Arbeit von Beuys heute die Besucher des Museum of Modern
       Art in New York, des Broad Museum in Los Angeles, der Pinakothek in München
       oder des ZKM in Karlsruhe? Mit dem Blick auf die Protagonisten im Bild wird
       schnell ein Widerspruch deutlich. Da sind das lachende Gesicht von Beuys
       und seine Fähigkeit, der Provokation ihre heitere Seite abzugewinnen. Und
       da sind die ernsten bis teilnahmslosen Mienen der diensthabenden
       Polizisten, die von Amts wegen das zuvor von Studenten besetzte Gebäude
       erneut besetzen. Der demokratische Prozess der Mitsprache ist auf beiden
       Seiten ausgehebelt. Der Professor räumt nicht freiwillig das Feld, das die
       Polizisten genauso wenig freiwillig sichern. Ja, Demokratie ist ja lustig.
       Sechs Jahre später wurde Beuys’ fristlose Kündigung vom
       Bundesarbeitsgericht für ungültig erklärt.
       
       Im nächsten Jahr wäre Joseph Beuys 100 Jahre alt geworden. Schon jetzt sind
       für das kommende Jahr rund 50 internationale Einzelausstellungen
       angekündigt, die einen Überblick über sein Werk geben. „Demokratie ist
       lustig“ kann ein Vorgeschmack auf das Kommende sein, auf die Heiterkeit
       Beuys’, die wieder neu zu entdecken sein wird.
       
       20 Jul 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sebastian Strenger
       
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