URI: 
       # taz.de -- Regierung in Bulgarien: Ein wackelnder Fels in der Brandung
       
       > Bulgariens Regierungschef Bojko Borissow ist zunehmend
       > Rücktrittsforderungen ausgesetzt. Bei öffentlichen Auftritten wirkte er
       > zuletzt übernächtigt.
       
   IMG Bild: Muss der bulgarische Regierungschef Boiko Borissows nun das Feld räumen?
       
       Noch wackelt er nicht wirklich, Bulgariens Regierungschef Bojko Borissow.
       Der bullige 61-Jährige mit rasiertem Schädel gibt lieber den unverrückbaren
       Fels in der Brandung. Dabei ist es derzeit auf seinem Posten alles andere
       als kommod: Tausende wütende Demonstrant*innen gehen dieser Tage
       landesweit auf die Straßen, wettern gegen Korruption und mafiöse Zustände.
       Sie fordern nicht weniger als Borissows Rücktritt und baldige Neuwahlen.
       
       An „Bojko“, wie er im Volksmund genannt wird, scheiden sich seit jeher die
       Geister. Noch zu kommunistischen Zeiten an der Akademie des bulgarischen
       Innenministeriums ausgebildet, machte der zeitweilige Karatetrainer der
       Nationalmannschaft ab 1991 in Personenschutz. In dieser Eigenschaft diente
       er Ex-KP-Staats- und Parteichef Tudor Schiwkow genauso wie dem einstigen
       Zaren und späteren Regierungschef Simeon Sakskoburggotski.
       
       Nach einem kurzem Intermezzo als Parlamentsabgeordneter wurde er 2005
       Bürgermeister der Hauptstadt Sofia – ein Posten, den er vier Jahre lang
       bekleidete. Ein Interview in seinem Dienstsitz fand damals unter
       erschwerten Bedingungen statt, da Borissow vor lauter Zigarrenqualm nahezu
       unsichtbar war – trotz Rauchverbots in dem gesamten Gebäude.
       
       Bei den Parlamentswahlen 2009 wurde die von Borissow gegründete Partei
       „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (Gerb) stärkste Kraft
       und er selbst erstmals zum Premier gewählt. Seitdem regiert Borissow den
       Balkanstaat, der seit 2007 Mitglied der EU ist, mit kurzen Unterbrechungen
       und wechselnden Koalitionspartnern. Aktuell mit im Boot sind die
       „Vereinigten Patrioten“, die sich vor allem durch Hetze gegen Roma,
       Türk*innen und andere Minderheiten hervortun.
       
       ## In zahlreiche Machenschaften verstrickt
       
       Ursprünglich angetreten war der geschiedene Vater einer Tochter mit dem
       Versprechen, gegen die Korruption vorzugehen. Doch bei diesen vollmundigen
       Ankündigungen ist es geblieben. Bis heute nimmt Bulgarien in Sachen
       Korruption EU-weit den letzten Platz ein. Nicht zuletzt auch
       Regierungsmitglieder waren in Machenschaften verstrickt. Auch zum
       dramatischen Niedergang der Pressefreiheit in Bulgarien hat der Mann, der
       bei der CDU-nahen Adenauer-Stiftung sowie der CSU stets ein gern gesehener
       Gast war, seinen Beitrag geleistet. Das dürfte auch an seinen guten
       Beziehungen zu dem Oligarchen Deljan Peewski liegen, der große Teile des
       heimischen Medienmarktes unter seine Kontrolle gebracht hat.
       
       Unlängst tauchten in Bulgarien Videos auf, die einen schlafenden Borissow
       zeigen – neben sich eine Handfeuerwaffe sowie einen Stapel Banknoten. Der
       Regierungschef räumte zwar ein, sich erkannt zu haben, behauptete aber,
       dass die Bilder frisiert worden seien.
       
       Am Mittwoch äußerte sich Borissow im Ministerrat zu den Protesten und den
       Rücktrittsforderungen an seine Adresse, wie das bulgarische
       Nachrichtenportal Mediapool berichtete. Es werde eine Entscheidung geben,
       aber erst nach dem EU-Gipfel am kommenden Wochenende. Bei seinem Auftritt,
       schreibt Mediapool, habe er übernächtigt gewirkt.
       
       15 Jul 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
       ## TAGS
       
   DIR Bojko Borissow
   DIR Protest
   DIR Bulgarien
   DIR Bulgarien
   DIR Bulgarien
   DIR Bulgarien
   DIR Bulgarien
   DIR Schwerpunkt Europawahl
   DIR Bulgarien
   DIR Bulgarien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Parlamentswahl in Bulgarien: Aussitzen zahlt sich doch aus
       
       Bojko Borrisow dürfte wieder das Rennen machen – trotz massiver Proteste im
       vergangenen Sommer. Dabei hatten viele den Premier schon abgeschrieben.
       
   DIR Neue Proteste in Bulgarien: Borissow will Verfassung ändern
       
       Die bulgarische Regierung hat einen Verfassungsentwurf vorgelegt. Den
       Demonstrierenden geht er nicht weit genug – sie planen neue Aktionen.
       
   DIR Schriftsteller über Protest in Bulgarien: „Demokratie ist nur eine Fassade“
       
       Zachary Karabashliev erklärt, warum die Menschen in Bulgarien auf die
       Straße gehen und wie die EU mit ihrem ärmsten Mitgliedstaat umgehen sollte.
       
   DIR Dokumentarfilmer über Proteste in Bulgarien: „Mehr Druck aus Brüssel“
       
       Christo Bakalski rechnet mit einem Rücktritt der bulgarischen Regierung.
       Doch das Problem geht tiefer. Alte Seilschaften aus der Vorwendezeit wirken
       weiter.
       
   DIR EU-Wahl in Bulgarien: Hoffen auf die Diaspora
       
       Maria Spirowa lebt in Großbritannien, kandidiert in Bulgarien und wirbt um
       Stimmen in Deutschland. Ihr Bündnis hat es schwer.
       
   DIR Korruption in Bulgarien: Teure Hütten zum Schnäppchenpreis
       
       Durch den Erwerb von Appartements gerät die Regierungspartei GEBR weiter
       unter Druck. Fraktionschef Tzwetanow legt sein Mandat nieder.
       
   DIR Ratifizierung der Istanbulkonvention: Bulgarien zeigt sein hässliches Gesicht
       
       In dem Balkanstaat hagelt es Kritik an einem Gesetz des Eurparats zur
       Bekämpfung von Gewalt an Frauen – auch von Seite der Sozialisten.