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       # taz.de -- Neues Album „Sui Sui“ von Haiyti: Es reimt sich auf Louis Vuitton
       
       > Ronja Zschoche alias Haiyti ist eine Sphinx des Deutschrap. Ihr neues
       > Album „Sui Sui“ steckt einmal mehr voller Widersprüche.
       
   IMG Bild: Die Rapperin Haiyti ist Traditionalistin und Avantgarde in Personalunion
       
       Die lustigsten Antworten gibt Haiyti, wenn sie stumm bleibt. Als die
       Rapperin kürzlich für die Interviewserie „Sagen Sie jetzt nichts“ in der
       Süddeutschen Zeitung fotografiert wurde, sollte sie pantomimisch eine
       Gretchenfrage der Popgegenwart beantworten: Wie viel Spießigkeit steckt im
       deutschen Gangsta-Rap? Haiyti trägt ein weißes Hemd, ihr Gesicht im
       Close-up zeigt einen fantastisch uneindeutigen Ausdruck: Der Mund leicht
       geöffnet, der Blick fest, ein bisschen angriffslustig, als wolle sie dem
       Fotografen aufs Maul hauen – oder ganz blasiert widersprechen.
       
       [1][Ronja Zschoche alias Haiyti], die kürzlich ihr neues Album „Sui Sui“
       veröffentlichte, ist eine Sphinx des Deutschrap, Wahlberlinerin aus
       Hamburg, Rap-Traditionalistin und -Avantgarde in Personalunion.
       Traditionalistin, weil sie die ungeschriebenen (Stil-)Vorschriften des
       Gangsta-Rap (protzen, drohen, „schwul“ als Beleidigung nutzen) sehr wohl
       ernst nimmt.
       
       Als sie neulich im Interview mit dem Tagesspiegel gefragt wurde, ob sie
       keine Umweltbedenken habe, wenn sie mit dicken Autos herumfahre, entgegnete
       Haiyti ironiefrei, dass sie natürlich besser die Welt retten sollte, aber
       eben Gangsta-Rapper sei. Jedem, der auf die Idee kam, ob Haiytis
       Kunststudium an ihrer Realness zu zweifeln, hielt sie im Video zu „Mafioso“
       apathisch eine Waffe ins Gesicht.
       
       Von ihrer (Wahl-)Heimat, der Halbwelt der Gangster, erzählt Haiyti
       allerdings in ihrer ureigenen Plastiksprache, mit ureigener Intonation.
       Ihre Storys über schmutziges Geld und krumme Deals sind aufgeladen mit
       schwülem Saint-Tropez-Glamour – und stecken voller Widersprüche, die keiner
       aufzulösen gedenkt.
       
       Mischung aus Kotzanfall und Weltverachtung 
       
       Auf dem Coverfoto von „Sui Sui“ hat sie sich ein Spängchen auf den
       Nasenrücken geklemmt und raucht Pfeife. Wieder so ein Haiyti-Bild, das
       ausschaut, als habe sich jemand entweder extrem viel dabei gedacht – oder
       absolut nichts. Bei Haiyti ist es irgendwas dazwischen: Sie höre halt zum
       Einschlafen gern Sherlock Holmes, erklärte sie dem Bayerischen „Zündfunk“.
       
       Mit Dutzenden Veröffentlichungen in fünf Jahren hat sich Haiyti ein
       beachtliches Referenzsystem aufgebaut: Sie trinkt den „Perroquet“, den
       titelgebenden Cocktail vom letzten Album, diesmal in „Toulouse“, macht
       wieder „Barkash“ in ihrem „Barrio“ und smokt ihre Kippen im Song „Ich hab
       mit dem Money getalked“ im selben Rhythmus wie auf ihrem [2][Major-Debüt
       „Montenegro Zero“], jenem Album, das sie 2018 vom Szene- zum
       Feuilletonphänomen machte.
       
       Nun ist die Ernüchterung nach der Party da, der Montepulciano verdorben,
       aber der Tag noch nicht angebrochen. Auf „Sui Sui“ klingt Haiyti zum ersten
       Mal nicht, als sei ihre Stimme kurz vorm Überschnappen, sondern so traurig
       und ausgelaugt, wie sich Menschen anhören, die im Rausch über alle Grenzen
       gegangen sind und nun ermattend auf menschliches Normalmaß
       zurückschrumpfen.
       
       Haiytis „Uägh!“, ihr Signatur-Geräusch, klingt wie immer nach einer
       Mischung aus Kotzanfall und Weltverachtung, sonst schraubt sie die Frequenz
       ihrer sprachlichen Special Effects aus der Nina-Hagen-Hölle herunter.
       
       Gedanken an den Freitod 
       
       Haiytis Sound wurzelt im Trap, den sie in der Vergangenheit schon mit NDW-
       und Laptop-Pop versetzte, diesmal gibt sie ihm vor allem Verzweiflung bei:
       Zu dunklem Gewaber und Beats, die in sich selbst zusammensinken, rappt und
       singt (!) Haiyti ungewohnt waidwund. Es ist Musik, der man anmerkt, dass
       ihre Urheberin Soul, Funk und Old-School-Rap – wie sie einmal sagte – nicht
       ausstehen kann.
       
       In Haiytis verkaterter „mood“, in ihrem rasanten, polyglotten Flow gehen
       selbst Gedanken an den Freitod auf: Im ersten Song „Was hast du damit zu
       tun“ singt sie vom „Sui-Sui-Suicide“ – eine Verniedlichung und
       Verkünstelung, die dem düsteren S-Wort seinen Schrecken nimmt. In ihrem
       Song „Photoshoot“ reimt sich Selbstmord sogar auf das Luxuslabel Louis
       Vuitton: „Photoshoot, wache auf in Louis, Louis / Ich bin rich, doch denk’
       nur an Sui, Sui“.
       
       Allein der seltsame Dancehall-Ausreißer „La La Land“ klingt nach
       Sommerhit-Material – wäre da nicht das bizarre Video, in dem
       (Sommerhit-untypisch) niemand mit offenem Verdeck fährt. Stattdessen stapft
       ein animiertes Zottelwesen durch utopische Landschaften und darf mit einer
       Spritzpistole ballern. Mal wieder kann das zwischen uncleverer
       Kapitalismuskritik, „Toni Erdmann“-Referenz oder ästhetisch avanciertem
       Nonsense alles sein. Klare Antworten gibt Haiyti selten – aber manchmal
       doch: Als die Süddeutsche Zeitung sie beim erwähnten Photoshooting bat,
       darzustellen, was sie tut, wenn im Radio Bob Dylan läuft, legte sie sich
       wie tot auf den Boden.
       
       15 Jul 2020
       
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