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       # taz.de -- Arctic Nordic Alpine bei Aedes: Architektur mit Landschaft
       
       > Ob sie nun ein Opernhaus bauen oder ein Hotel: Die Architekturen des
       > norwegischen Büros Snøhetta tauschen sich mit der Umwelt aus.
       
   IMG Bild: Zunächst nimmt man nur Höhenlinien wahr: Blick in Ausstellung „Arctic Nordic Alpine“
       
       Bauen muss nicht gleichbedeutend mit Klotzen sein. Darauf macht die
       Ausstellung „Arctic Nordic Alpine – Im Dialog mit der Landschaft“ im Aedes
       Architektur Forum in Berlin aufmerksam. Sie zeigt vor allem Projekte des
       norwegischen Architektur- und Designbüros Snøhetta, die in Regionen fernab
       der Metropolen und mit zum Teil extremen klimatischen Bedingungen errichtet
       wurden. Behutsamkeit beim Eingreifen in die Natur und Energieeffizienz im
       Betrieb zeichnen die Vorhaben aus.
       
       Zunächst nimmt man nur Linien wahr, Höhenlinien. Sie schwingen sich über
       von der Decke herabhängende weiße Stoffbahnen. Höhenlinien sind auch
       eingekerbt in dreidimensionale Modelle. Recht winzig nehmen sich darin die
       Gebäude aus. Kaum mehr als Fingerkuppengröße weist in diesem Modell das
       kreisrunde Hotel Svart auf, das gegenwärtig am Polarkreis, unmittelbar am
       Fuße des Svartisen-Gletschers gebaut wird. Majestätisch hingegen erheben
       sich der Gletscher und die umliegenden Berge.
       
       Die Art der Präsentation deutet bereits darauf hin, dass Snøhetta der
       Landschaft, in die die Bauten eingefügt werden, große Aufmerksamkeit
       widmet. „Architektur ist meist zu selbstbezogen. Oft ist das Budget
       ausgeschöpft, sobald das Gebäude steht. Das Umfeld von Bauten wird daher
       meist vernachlässigt.
       
       ## Architekten des Jahres 2020
       
       Wir finden aber, dass die unmittelbare Umgebung fast genauso wichtig ist
       wie das Gebäude selbst“, erklärte Bürogründer Kjetil Thorsen in einem
       Interview mit der Zeitschrift Architektur & Wohnen. Die Zeitschrift kürte
       das Büro auch zu den Architekten des Jahres 2020, was zugleich Anlass der
       Ausstellung „Arctic Nordic Alpine“ im Aedes Architektur Forum ist.
       
       In den vorgestellten Projekten wird deutlich, wie Snøhetta die ästhetische,
       aber auch die soziale und energetische Einbettung in die Umgebung gelingt.
       Das Gletscherhotel Svart (2017-2023) etwa ist energiereduziert. Nach
       Angaben der Architekten verbraucht es nur 15 Prozent der Energie
       herkömmlicher Hotels und erzeugt die benötigte Energie auch selbst. Der
       kreisrunde Bau steht auf Pfählen im Wasser und ist den dort üblichen
       Holzstrukturen zum Trocknen von Fisch nachempfunden.
       
       Harmonisch in die Landschaft eingefügt sind ebenfalls die Wanderhütten mit
       Blick auf den Jostedalsbreen-Gletscher, die Snøhetta errichtet hat, nachdem
       dort im Jahr 2011 der Zyklon „Dagmar“ die frühere Bebauung förmlich
       hinweggefegt hatte. Um weniger Angriffsfläche zu bieten, wurden jetzt statt
       eines Gebäudes neun kleinere mit unregelmäßigen polygonalen Formen geplant.
       
       Weiter südlich, in den Bergen rings um Innsbruck, entwickelte Snøhetta den
       „Perspektivenweg“, einen mit Sitzmöbeln und Aussichtsplattformen versehenen
       Wanderweg hoch über der Stadt. Bezaubernd ist hier die Transformation der
       Aussichtsplattform: In der schneefreien Zeit kann man von ihr aus weit ins
       Tal blicken. Im Winter nutzen sie Snowboardfahrer als Rampe für ihre
       Sprünge in die Tiefe.
       
       ## Der Neubau der Bibliothek von Alexandria
       
       Dieser soziale Sinn tritt stärker noch bei den urbaneren Projekten von
       Snøhetta zutage. Sie werden in einem Video vorgestellt. International
       bekannt wurde das Büro mit dem 2001 fertiggestellten Neubau der Bibliothek
       von Alexandria, einem lichtdurchfluteten Rundbau, in dem die antike
       Tradition des Wissenserwerbs nicht nur aufrechterhalten, sondern zu einem
       sinnlichen Vergnügen wird.
       
       Fest etabliert in der internationalen Architekturszene hatte sich Snøhetta
       2008 mit dem spektakulären Opernhaus von Oslo. Das Gebäude wird von Wegen
       durchzogen. Von außen kann man einen Blick auf die Proben erhaschen. Der
       Opernbetrieb auch jenseits der Aufführungen wird so zu einem öffentlichen
       Ereignis.
       
       Auch die geneigte Dachfläche ist für Passanten zugänglich. „Das Dach wird
       Bühne oder Platz. Die sozialen Aspekte erreichen wir nicht durch ein
       Konsumangebot, sondern durch das Freigeben eines Platzes, dessen Funktion
       es ist, Menschen zur Interaktion zu bewegen. Die Voraussetzung dafür ist
       Zugänglichkeit“, beschreibt Thorsen seinen Ansatz.
       
       ## Berlins einfallsloses Museum des 20. Jahrhunderts
       
       Eine Weiterentwicklung dieses Konzepts betreibt das Büro gegenwärtig beim
       Bau des Opernhauses von Busan in Südkorea. Auch wird der Baukörper durch
       zahlreiche Durchwegungen transparent, Rampen führen auf das Dach. Die
       Bewegung des Wassers im nahen Hafen wird durch die Gebäudeform ebenfalls
       aufgenommen.
       
       Denkt man an Berlins aktuelle Prestigeprojekte wie die
       Schlossrekonstruktion oder das einfallslose Museum des 20. Jahrhunderts von
       Herzog & de Meuron, so kann einem angesichts der Snøhetta-Projekte nur
       todtraurig zumute werden.
       
       17 Jul 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tom Mustroph
       
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