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       # taz.de -- Kommunalwahlen in Frankreich: Macrons Schulterschluss
       
       > Die Partei von Präsident Emmanuel Macron schwächelt – und verbündet sich
       > deshalb in der zweiten Runde der Kommunalwahlen mit den Konservativen.
       
   IMG Bild: Anne Hidalgo, Pariser Bürgermeisterin hat gute Chancen: Wahlkampftour mit Fahrrad
       
       Paris taz | „Ich verstehe die Strategie der Regierungspartei LREM nicht:
       Alle gegen die ‚Écolos‘ (Anm. d. Red.: die Grünen). Das ist dumm, unsinnig
       und kontraproduktiv.“ Der Ex-Grüne Daniel Cohn-Bendit geizte nicht mit
       Kritik an der Wahlstrategie der französischen Regierungspartei La
       République en marche (LREM), die er eine Woche vor der zweiten Runde der
       Kommunalwahlen in [1][einer französischen Sonntagszeitung kommentierte].
       
       Der Freund und Berater des französischen Präsidenten ist irritiert: „Die
       Strategie von LREM steht in Widerspruch zu Macrons Versprechen während
       seiner Kampagne: Dass die Ethik vor der Politik kommt. Man kann doch nicht
       Allianzen mit irgendwem schmieden, bloß um ein paar Sitze zu erringen.“
       
       Cohn-Bendit ist nicht der Einzige, der sich über die Wahlbündnisse in
       letzter Minute wundert, mit der [2][die Partei von Emmanuel Macron] in
       mehreren Großstädten den Vormarsch der Grünen und Linken abzuwehren sucht.
       
       LREM selber hat nach der ersten Runde der Kommunalwahlen vom 15. März so
       gut wie keine Chance, nun bei den Stichwahlen am kommenden Sonntag auch nur
       in einer einzigen größeren Stadt das Bürgermeisteramt zu erobern. Das
       allein stellt schon eine Wahlschlappe dar für eine Partei, die 2017 auf
       Anhieb in der Nationalversammlung eine absolute Mehrheit bekam.
       
       ## Gemeinsame Sache
       
       Offenbar erachtet es LREM nun als das kleinere Übel, in Lyon, Bordeaux,
       Straßburg, Clermont-Ferrand oder Tours gemeinsame Sache mit Les
       Républicains (LR) zu machen, der konservativ-rechten Partei von
       Ex-Präsident Nicolas Sarkozy. In insgesamt 76 Städten hat sich LREM für die
       Stichwahl auf gemeinsame Listen mit LR oder auf andere Formen der
       Unterstützung geeinigt.
       
       Das ist eine wesentliche Änderung für eine politische Bewegung, die
       angetreten war, um die schematische Polarisierung zwischen links und rechts
       zu überwinden. Den Vormarsch von Links-Grün können diese Bündnisse der
       rechten Mitte trotzdem weder verhindern noch dessen Ausmaß wesentlich
       verringern.
       
       Marseille, Toulouse, Lyon, Besançon und Tours sind nur einige der
       Großstädte, wo am Sonntag die kommunalen Umweltlisten als deutliche
       Favoriten gelten. In Rouen, Nancy, Montpellier und Nantes sind es von den
       Grünen unterstützte Listen der Linken.
       
       In Paris kann voraussichtlich die bisherige Bürgermeisterin, die
       Sozialistin Anne Hidalgo, dank ihrer rot-grünen Wahlunion für weitere sechs
       Jahre im Hôtel de Ville regieren. Ihre Gegnerinnen, die konservative
       Ex-Justizministerin Rachida Dati (LR) und die vormalige
       Gesundheitsministerin Agnès Buzyn (LREM), wollten und konnten sich nicht
       gegen Hidalgo einigen.
       
       ## Skandal mit Pornofotos
       
       Schon allein, dass seine Regierungspartei in der Hauptstadt zuletzt
       abgeschlagen auf dem dritten Platz landete, ist eine Niederlage für Macron.
       Er hatte sich persönlich dafür eingesetzt, dass seine inzwischen für ihre
       Covid-Amtsführung schwer kritisierte Gesundheitsministerin für den
       ursprünglichen LREM-Kandidaten Benjamin Griveaux einsprang – der wegen
       eines Skandals mit Pornofotos ausgefallen war.
       
       Vielleicht der einzige kleine Lichtblick könnte Le Havre im Norden des
       Landes sein. Dort tritt für LREM der amtierende Premierminister Edouard
       Philippe mit echten Siegeschancen an. Laut Umfragen liegt er aber nur rund
       drei Punkte vor seinem Gegner Jean-Paul Lecoq vom Parti Communiste Français
       (PCF). Schon die Tatsache, dass er nicht im ersten Durchgang eine Mehrheit
       bekam, war eine Enttäuschung für ihn.
       
       Womöglich schätzen es manche WählerInnen an der Seine-Mündung in der
       Normandie nicht, dass Philippe im Fall seiner Wahl sein kommunales Amt
       nicht ausüben will, um Regierungschef zu bleiben – sondern sich nur seine
       Popularität bestätigen lassen will. Falls er wider Erwarten durchfällt,
       müsste er hingegen aufgrund einer ungeschriebenen Regel der französischen
       Politik sein Amt als Premier abgeben.
       
       Eine historische Wende zeichnet sich in einer anderen Hafenstadt ab: In
       Marseille glaubte der nach 25 Jahren scheidende LR-Bürgermeister
       Jean-Claude Gaudin (80), dass die von ihm eingesetzte „Thronerbin“ Martine
       Vassel dank seiner Unterstützung und der notorischen Spaltung seiner linken
       Gegner problemlos seine Nachfolge antreten würde.
       
       ## Frühling in Marseille
       
       Dann aber passierte das Unvorhergesehene: Die linken Parteien einigten sich
       auf die gemeinsame Liste mit dem hoffnungsvollen Namen Printemps
       marseillais (Marseiller Frühling). Ihre Spitzenkandidatin, die Ärztin
       Michèle Rubirola, ist eine seit den 70er Jahren engagierte und recht
       unabhängige Umweltschützerin. Das missfiel zwar den Grünen von
       Europe-Ecologie-Les Verts (EELV), die mit einer separaten Liste antraten.
       Sie schieden jedoch im ersten Durchgang mit nur circa 8 Prozent der Stimmen
       aus.
       
       Rubirola gilt nun als klare Favoritin. Denn Medienberichten zufolge hat das
       Wahlteam ihrer konservativen Gegnerin mit vermutlich illegalen Methoden
       versucht, sich in großer Zahl Formulare zur Wahlvertretung zu beschaffen.
       Anders als Deutschland erlaubt Frankreich es seinen Wahlberechtigten,
       jemanden stellvertretend zur Stimmabgabe zu schicken – aber dafür braucht
       es die Formulare.
       
       Wie schon beim ersten Wahlgang, damals zwei Tage vor dem offiziellen Beginn
       der Ausgangsbeschränkungen wegen der Covid-Epidemie, wird auch an diesem
       Sonntag mit einer außergewöhnlich schwachen Beteiligung gerechnet. Die
       Auswirkungen sind in den rund 5.000 Orten mit Stichwahlen schwer
       vorauszusagen.
       
       27 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.lejdd.fr/Politique/daniel-cohn-bendit-la-strategie-anti-ecolo-de-lrem-est-bete-et-inutile-3976184
   DIR [2] /Kommunalwahlen-in-Frankreich/!5668678
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
       
       ## TAGS
       
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