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       # taz.de -- Das Verhältnis der Linken zur Polizei: Antifa, weil die Polizei nicht kam
       
       > In den 80er Jahren entsprangen die antifaschistischen Aktionen nicht den
       > Hörsälen oder der Critical-Whiteness-Lektüre. Es ging um handgreifliche
       > Probleme.
       
   IMG Bild: Die Probleme waren realer und handgreiflicher Natur: Punk und Polizist in Berlin 1992
       
       Dieser Text ist Teil einer innerredaktionellen Debattenreihe der taz,
       ausgelöst durch die Kolumne [1][„All cops are berufsunfähig“]. Als
       pluralistisches Haus verschweigen wir diese Kontroverse um die Arbeit der
       Polizei und unsere unterschiedlichen Blickwinkel auf diese nicht. Es werden
       weitere, konträre Texte folgen. Die Beiträge lesen Sie auf unserer
       Webseite: [2][taz.de/kolumnendebatte]. 
       
       Am 25. Mai wurde George Floyd in den USA von einem Polizisten getötet. In
       Deutschland nahmen am 6. Juni Zehntausende Menschen an Protesten gegen
       rassistische Polizeigewalt in den USA teil, trotz Corona. Der Backlash in
       den USA beunruhigt auch hier viele. Trump hatte zuletzt gar „die Antifa“ zu
       seinem Hauptfeind ausgerufen. In diesen Kontext hinein platzierte Hengameh
       Yaghoobifarah ihre [3][taz-Kolumne], in der sie sich Polizisten auf die
       Mülldeponie wünschte. Ausdrücklich übertrug sie zudem die Situation in den
       USA auf die in Deutschland. Gerade auch Letzteres scheint dem Autor dieser
       Zeilen wenig sinnvoll.
       
       „Ihr lieben Polizisten in der BRD / Ich will euch mal was sagen – hört mal
       alle her / Ihr seid moderne Nazis, das steht für uns fest / Kommt, lasst
       uns doch in Ruhe, ihr seid schlimmer als die Pest.“ Anfang der 1980er
       [4][sang das die Hamburger Punkband Slime]. „Polizei SA SS“. Das Punklied
       war vielleicht musikalisch gebrochen, aber doch keineswegs nur satirisch
       gemeint. Der vielfach gecoverte Slime-Song „Wir wollen keine
       Bullenschweine“ wurde erst 30 Jahre später, 2011, auf den Index gesetzt.
       
       Der Schöpfer des Songs war 16, als er die kräftigen Zeilen schrieb. Der
       Hintergrund: das harte Vorgehen der Polizei bei Anti-AKW-Demos sowie die
       angenommenen Morde an inhaftierten RAF-Mitgliedern in Stuttgart-Stammheim.
       Slime waren Antifaschisten in unmittelbar
       antiimperialistisch-antikapitalistischer Linie. Und hatten, wie sie bald
       selber wussten, nicht immer recht.
       
       Eine andere Band, [5][Extrabreit, textete 1981 in „Polizisten“] schon etwas
       einschließender und vorausschauender. „Sie rauchen Milde Sorte / Weil das
       Leben ist doch hart genug.“ Die New-Waver spielten genüsslich mit den
       Klischees der harten Männer. Selbstironie und Hedonismus durchlöcherten die
       als absolut vorgestellten Trennlinien vom bösen Staat und dem guten Lager
       der linksradikalen Selbstverwirklicher. Harte Männer kannten sie beide, es
       clashte in den 70er und 80ern oft genug.
       
       ## Neonazigruppen in beiden deutschen Staaten
       
       Anders als die USA verstanden sich BRD und DDR bis 1989 nie als
       Einwanderungsländer. Es entwickelte sich in dieser Zeit ein
       institutioneller Rassismus, der sich vor allem gegen die ins Land geholten
       Arbeitsmigranten richtete. In den 1980er entstanden in beiden deutschen
       Staaten sehr gewalttätige Neonazigruppen, sie lösten die biologisch dahin
       siechenden Altnaziszenen ab. Die neuen Nazis griffen vor allen die offenen
       linken Subkulturen an, gingen in die Stadien. Aber auch jugendliche
       Migranten gerieten zunehmend in ihren Fokus.
       
       Man wehrte sich. Der Staat bagatellisierte die faschistischen Attacken. Die
       antifaschistische Aktion entsprang nicht Hörsälen oder überspannten
       Critical-Whiteness-Lektüren. Die Probleme waren realer und handgreiflicher
       Natur. Der Staat kam seinen Schutzpflichten gegenüber den
       gesellschaftlichen Minderheiten oft nicht nach. Antifa, weil die Polizei
       nicht kam.
       
       Mit den fünf neuen Bundesländern im Osten bekam das neue Deutschland dann
       ein veritables „Südstaaten“-Problem. Ausländische Botschaften hielten ihre
       Landsleute an, sich im öffentlichen Raum gut zu kleiden, Anzüge zu tragen.
       Das schützte ein wenig. In dieser Zeit entstanden der NSU, und es gab
       völkisch-nationalistische Verschwörungen in Teilen der staatlichen
       Apparate.
       
       ## Ein Bruch mit dem institutionellen Rassismus
       
       Erst 1998 erkannten Staat und Parteien die neuen Realitäten sich weiter
       globalisierender Welten an. Die Reform des Staatsbürgerrechts schuf die
       Grundlage für ein offenes Nationenkonzept und brach dem institutionellen
       Rassismus die Spitze. Aus „Gastarbeitern“ (West) oder „Vertragsarbeitern“
       (Ost) können seither viel einfacher deutsche Bürger werden. Und eben auch
       Polizeibeamte.
       
       Die Auseinandersetzungen sind damit nicht verschwunden. Sie verlagern sich
       auf andere Felder. Mit Neonazistrukturen beschäftigen sich Kontroll- und
       Untersuchungsausschüsse. Natürlich schauen dabei private Initiativen und
       Medien weiter genau hin. Auch die Auflösung ganzer Spezialeinheiten ist
       jetzt in der Diskussion. Doch sind die Minderheiten von vor 25 Jahren
       verfassungsmäßig anerkannter Bestandteil von Nation und Gesellschaft. Aus
       Wut darüber entstand auf der rechten Seite die AfD. Sie will den alten
       Staat zurück und propagiert in weiten Teilen den völkischen Nationalismus.
       
       Doch auf der anderen Seite werden auch ethnisch oder essentialistisch
       gedachte „positive“ Vorurteile zum Problem. Siehe taz-Kolumne. Sie
       ignorieren auch die von Migranten gemachten Erfahrungen und homogenisieren
       dort, wo es nicht zu homogenisieren gilt. Was soll ein kurdischer oder
       türkischer Antifaschist, möglicherweise homosexuell oder transgender, mit
       einem großtürkischen Nationalisten gemein haben? Was die vor Mullahs oder
       Taliban aus Iran oder Afghanistan Geflüchteten mit den Islamisten, vor
       denen sie geflüchtet sind?
       
       Es gibt Grenzen, und die sind auch dazu da, um sie vor gewissen
       Entgrenzungen zu schützen. So arbeiten syrische Menschenrechtsanwälte Hand
       in Hand mit deutscher Polizei und Justiz. So kann derzeit in Deutschland
       abgetauchten Folterknechten des Assad-Regimes der Prozess gemacht werden.
       Auch Völkermörder aus Ruanda wurden international vor Gericht gestellt.
       
       ## Für Komplexität fehlt häufig der Platz
       
       Digitalisierung und Popkultur sorgen heute für einen immer schnelleren
       transkontinentalen Transfer symbolischer Politikformen. Für die
       unterschiedliche Komplexität von Gesellschaften bleibt häufig kein Platz.
       „Wär’n die Bullen schnell genug, dann könnten sie meinen Sack noch lecken“,
       rappte Sido 2011. Statt Antifa regiert massenmedial Gangsta-Nihilismus.
       Häufig den US-Subkulturen entlehnt, aber ohne Black-Panther-Anleihen.
       
       Der Macker-Rap der Sidos, Bushidos oder Kollegahs ist bestürzend einfältig.
       Aktuell platziert etwa „187 Straßenbande“ einen neuen Hit: „Affe sieht,
       Affe tut / Geh mir aus dem Weg, machst du Krieg, dann fließt Blut / Hab aus
       langer Weile wieder eine Nutte herbestellt / Weil mein Schwanz lutscht sich
       nicht von selbst.“
       
       Die Polizei hat tatsächlich schon auch mit Mixed-Milieus zu tun, die nicht
       ganz so artig sind wie die TeilnehmerInnen einer
       taz-Genossenschaftsversammlung. Und vor denen will auch eine taz geschützt
       werden. Konkrete Kritik an Polizeiarbeit ja, simple Verallgemeinerungen
       lieber nicht. Anerkennung und Repräsentation unterschiedlicher Perspektiven
       sind Voraussetzung für gegenseitigen Respekt.
       
       Andreas Fanizadeh leitet das taz-Kulturressort.
       
       27 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Abschaffung-der-Polizei/!5689584
   DIR [2] /Schwerpunkt-Debatte-ueber-Kolumne-in-der-taz/!t5696698
   DIR [3] /Abschaffung-der-Polizei/!5689584
   DIR [4] https://youtu.be/DeOKTIeo47A
   DIR [5] https://youtu.be/b5ekGLc-2Ao
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Fanizadeh
       
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