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       # taz.de -- Eckpunkte für Lieferkettengesetz: Billig produzieren, verklagt werden
       
       > Firmen, deren Zulieferer Menschenrechte missachten, drohen Bußgelder.
       > Arbeits- und Entwicklungsministerium legen die Eckpunkte für das Gesetz
       > vor.
       
   IMG Bild: Arbeiterinnen in einer Textilfabrik in Bangladesh
       
       Berlin taz | Der Druck auf hiesige Unternehmen nimmt zu, die Arbeits- und
       Umweltbedingungen in ihren ausländischen Zulieferfabriken zu verbessern.
       Die Firmen „müssen künftig prüfen, ob sich ihre Aktivitäten nachteilig auf
       die Menschenrechte auswirken“, heißt es in den Eckpunkten für ein
       „Sorgfaltspflichtengesetz“ der Bundesministerien für Arbeit (BMAS) und
       Entwicklung (BMZ). Eine Version des Textes liegt der taz vor.
       
       Die Initiative ist eine Reaktion auf Katastrophen wie den Zusammenbruch der
       [1][Textilfabrik Rana Plaza] in Bangladesch 2013. Dadurch wurde klar, unter
       welch schlechten Bedingungen auch deutsche Unternehmen in armen Ländern
       produzieren ließen – und lassen. Sollte aus den Eckpunkten ein Gesetz
       entstehen, können Firmen leichter vor hiesigen Gerichten verklagt werden.
       
       Laut der Eckpunkte soll die Regulierung für Unternehmen mit mehr als 500
       Beschäftigten gelten, deren Zentralen in Deutschland stehen. Diese sind
       verpflichtet, menschenrechtliche Risiken bei ihren Zulieferern „zu
       ermitteln“. Typische Probleme sind Zwangs- und Kinderarbeit,
       Diskriminierung, Gewerkschaftsverbot, mangelnde Sicherheit am Arbeitsplatz,
       unzureichende Löhne, zu lange Arbeitszeiten oder Gefährdung der örtlichen
       Bevölkerung im Umkreis von Bergwerken und Plantagen.
       
       Zusätzlich müssen die Unternehmen selbst „Maßnahmen ergreifen und
       überprüfen“, damit die sozialen und ökologischen Menschenrechte von
       Zulieferbeschäftigten und Anwohner*innen nicht verletzt werden. Außerdem
       haben die Betriebe Beschwerdemechanismus einzurichten, um den
       Arbeiter*innen zu ermöglichen, ihre Probleme mitzuteilen. Wer dagegen
       verstößt, kann vor bundesdeutschen Gericht auf Schadensersatz verklagt
       werden. Hiesige Behörden, etwa die Gewerbeaufsicht, können Bußgelder
       verhängen und Firmen von öffentlichen Aufträgen ausschließen.
       
       ## Eckpunkte sind entschärft
       
       Allerdings ist das „Haftungsrisiko für die Unternehmen begrenzt“, wie es in
       den Eckpunkten heißt. Sie sollen nur nachweisen, sich „angemessen“
       gekümmert zu haben – beispielsweise um die Arbeitsbedingungen bei ihren
       Hauptzulieferern. Wenn es jedoch bei deren Vorlieferanten zu Unfällen
       kommt, muss das nicht unbedingt die Verantwortung der hiesigen Unternehmen
       betreffen. Außerdem soll es möglich sein, den Nachweis für die Sorgfalt
       durch die Mitwirkung in einem „Branchenstandard“ zu erbringen. Wenn Firmen
       etwa aktiv im von Entwicklungsminister Gerd Müller gegründeten
       [2][Textilbündnis] mitwirken oder den Standard der Fair Wear Foundation
       anwenden, wären sie auf der sicheren Seite.
       
       Beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) freut man sich über solche
       Entschärfungen im Vergleich zu einem Gesetzesentwurf des BMZ von 2019.
       Dieser hatte auch Unternehmen ab 250 Beschäftigte einbezogen. Gleichwohl
       kritisiert der BDI das Vorhaben: Es stelle einen nationalen Alleingang dar,
       besser wäre eine [3][europäische Regulierung].
       
       ## Umsetzung unklar
       
       Die Reaktion der Menschenrechts- und Entwicklungsverbände ist gemischt.
       Miriam Saage-Maaß von der juristischen Bürgerrechtsorganisation ECCHR lobt
       „die umfassende Definition der menschenrechtlichen Sorgfalt“. Sie wie auch
       Armin Paasch vom katholischen Hilfswerk Misereor kritisiert allerdings die
       Möglichkeit für Unternehmen, ihre individuellen Nachweispflichten durch die
       Teilnahme an Branchenstandards abzugelten. Die Initiative
       Lieferkettengesetz bemängelte unter anderem, dass Umweltschutz eine zu
       geringe Rolle spiele.
       
       Ob aus den Eckpunkten ein Gesetzentwurf entsteht und wann dieser
       beschlossen wird, ist unklar. Unternehmensverbände versuchen, das Verfahren
       zu verzögern. Möglicherweise muss eine neue Regierung nach der nächsten
       Bundestagswahl einen weiteren Anlauf nehmen. Vielleicht mündet die deutsche
       Initiative auch in eine europäische Regelung. Außerdem spielt eine Rolle,
       was die aktuelle Befragung der Unternehmen durch die Regierung ergibt. Hält
       sich die Mehrheit der Firmen an den Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft
       und Menschenrechte, könnte die Regierung auf das Gesetz verzichten. Zeigt
       das Umfrageergebnis hingegen, dass die Firmen es mit den Arbeitsrechten
       nicht so genau nehmen, steigt die Wahrscheinlichkeit für eine Regulierung.
       Das Ergebnis soll Mitte Juli vorliegen.
       
       27 Jun 2020
       
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