# taz.de -- Die große Zombiefication
> Der Kapitalismus scheint sich wie ein Zombie auf immer mehr
> Lebensbereiche auszuweiten. Um den sozialen und ökologischen Kollaps zu
> verhindern, möchte Raul Zelik einer weiteren Untoten neues Leben
> einhauchen: der sozialistischen Idee
Von Georg Sturm
Mit dem Kapital verhält es sich wie mit einem Virus. Ein Virus allein ist
nicht lebendig. Um sich ausbreiten und vermehren zu können, ist es auf
Wirtszellen angewiesen. Was beim Virus die Wirtszelle, ist dem Kapital die
Arbeit. Ähnlich beschreibt es Karl Marx, wenn er von Kapital als
verstorbener Arbeit spricht, „die sich nur vampirmäßig belebt durch
Einsaugung lebendiger Arbeit und umso mehr lebt, je mehr sie davon
einsaugt“.
Diese Metapher greift Raul Zelik in seinem Buch „Wir Untoten des Kapitals.
Über politische Monster und einen grünen Sozialismus“ auf und überträgt sie
auf die popkulturelle Figur unserer Zeit: den Zombie.
Ob in George A. Romeros Horror-Schockern oder dem HBO-Kassenschlager „Game
of Thrones“, die Untoten sind erstaunlich populär. Zeliks Erklärung: Dem
spätmodernen Menschen sei das Gefühl des Kontrollverlusts und der absoluten
Fremdbestimmung allzu vertraut. Auch wenn das Buch bereits vor der
Verbreitung des Coronavirus verfasst wurde, so erscheinen seine Forderungen
im Lichte der Pandemie umso dringlicher.
Die Ausgangsthese: Unsere Produktions- und Lebensweise stießen aus
ökologischen und sozialen Gründen an ihre Grenzen. Daher sei es notwendig,
über Gegenentwürfe nachzudenken, die über den Kapitalismus, aber auch den
Sozialismus in seinen bisherigen Ausprägungen hinausweisen.
Verabschieden will sich Zelik vom Sozialismusbegriff jedoch nicht, sondern
ihm vielmehr neues Leben einhauchen. Der Politikwissenschaftler und
Schriftsteller wirbt in seinem Buch für einen „neuen, grünen, aus der
Gesellschaft entwickelten, demokratisch-egalitären Sozialismus“.
Trotz des Scheiterns sozialistischer Systeme, die Zelik an mehreren Stellen
undogmatisch seziert, berge die Geschichte der sozialistischen Bewegungen
einen enormen Erfahrungsschatz. Zudem sei sie die einzige Kraft, die die
zentrale Bedeutung der Eigentumsfrage anerkannt habe.
Denn im Eigentum liege, so Zelik, die entscheidende Ursache dafür, warum im
Kampf gegen den Klimawandel zu wenig geschieht: „Eine grundlegende
Konversion des Wirtschaftsmodells berührt die Interessen des Kapitals.“Die
politische Macht der großen Vermögen verhindere, dass im gesellschaftlichen
Interesse gehandelt werden könne.
Dass die Idee eines „grünen Kapitalismus“ eine Illusion darstellt, weiß
auch Zelik, der für eine Abkehr vom Wachstumsparadigma und den damit
verbundenen Vorstellungen von gesellschaftlichem Wohlstand plädiert. Was
Zelik vorschwebt, ist eine Mischung aus einem linken Green New Deal,
Infrastruktursozialismus und Wirtschaftsdemokratie gepaart mit einer
antirassistischen und feministischen Politik.
## Was also tun?
Sowohl Reform als auch Revolution seien in der Vergangenheit stets
gescheitert, so Zelik, der im Parteivorstand der Linken sitzt und die
„Bewegungslinke“ mitgegründet hat. Für eine sozialökologische
Transformation brauche es weder nur soziale Bewegungen noch nur
Parteipolitik, sondern vielmehr ein Ensemble gesellschaftlicher Praktiken,
die gemeinsam der Kommodifizierung des Lebens entgegenwirken.
Mit derklugen Verknüpfung aktueller linker Debatten gelingt Zelik ein
überzeugendes Plädoyer für einen grünen Sozialismus. Das ausgesprochen
dichte Werk basiert auf einer beeindruckenden Literaturvielfalt, ist dank
vieler unterhaltsamer popkultureller Metaphern aber dennoch gut lesbar.
Zelik argumentiert nicht nur überzeugend, warum es einer Überwindung des
Kapitalismus bedarf und was auf diesen folgen könnte, sondern beschäftigt
sich auch differenziert damit, wie eine solche Transformation gelingen
könnte.
4 Jul 2020
## AUTOREN
DIR Georg Sturm
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