URI: 
       # taz.de -- Die Grünen und Gewerkschaften in NRW: Der SPD den Rang ablaufen
       
       > Die Grünen umwerben im Bund und in NRW Gewerkschaften und Sozialverbände.
       > Konfliktpotenzial gibt es beim Klimaschutz.
       
   IMG Bild: Grüne statt rote Fahnen? 1. Mai-Demonstration 2019 in Solingen
       
       Bochum taz | Im industriepolitisch lange konservativen Nordrhein-Westfalen
       werben führende Grüne verstärkt um die Unterstützung der Gewerkschaften.
       Die [1][Corona-Krise] müsse als Chance für einen sozial-ökologischen Umbau
       von Wirtschaft und Gesellschaft genutzt werden, schreibt der
       Landesparteichef der Grünen, Felix Banaszak, in einem [2][Positionspapier]
       – veröffentlicht hat er dieses am Montag nach einer Diskussion mit den
       führenden Gewerkschafterinnen Anja Weber und Anja Piel. Weber ist in NRW
       Landesvorsitzende des deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Piel ist seit Mai
       Mitglied des DGB-Bundesvorstands – und war zuvor Fraktionsvorsitzende der
       Grünen in Niedersachsen.
       
       Bisher verschärfe die Pandemie zwar „bestehende soziale Ungleichheiten“,
       schreibt Banaszak. Allerdings böten die zur Corona-Bekämpfung mobilisierten
       „unglaublichen Resourcen“ auch die Chance, „Verteilungsfragen zu stellen“
       und Nordrhein-Westfalens Wirtschaft klima- und geschlechtergerechter
       aufzustellen, hofft der Parteilinke.
       
       Er betont deshalb grüne Forderungen nach einen Mindestlohn von 12 Euro und
       der Bekämpfung ausbeuterischer Leiharbeit durch wie beim
       Skandal-Fleischkonzern Tönnies. Außerdem will Banaszak Hartz IV durch eine
       bedingungslose Grundsicherung ersetzen.
       
       Auch die freien Wohlfahrtsverbände umwirbt der grüne Landeschef offensiv.
       „Erst im April gab es eine Video-Konferenz, bei der nicht nur
       Vertreter*innen vieler DGB-Gewerkschaften, sondern auch vieler Sozial- und
       Wohlfahrtsverbände wie dem SoVD, Vdk, dem Paritätischen und der Diakonie
       dabei waren.“ Banaszak intensiviert damit den [3][Kurs der Grünen im Bund],
       wo etwa Parteichef Robert Habeck und der Bundestags-Fraktionsvorsitzende
       Anton Hofreiter schon seit mehr als einem Jahr [4][den Schulterschluss mit
       Gewerkschafter*innen] suchen.
       
       ## Konfliktthema Nummer Eins: Klimaschutz
       
       Die freut das grüne Interesse natürlich. „Zwischen Grünen und
       Gewerkschaften gibt es viele Übereinstimmungen“, sagt DGB-Landeschefin
       Weber auch mit Blick auf Banazaks Papier. So zeige etwa der Conona-Ausbruch
       im Tönnies-Schlachthof im ostwestfälischen Gütersloh, dass „Leiharbeit und
       Werkverträge in der Fleischbranche verboten werden“ müssten. Außerdem müsse
       der „kaputtgesparte“ staatliche Arbeitsschutz „wieder so aufgebaut werden,
       dass er wirksam kontrollieren kann“.
       
       Dass dabei aber gerade der Klimaschutz Konfliktpotenzial beinhaltet, ist
       dem Grünen wie den Gewerkschafterinnen klar. In der IG Metall etwa war die
       Wut auf die Parteispitze der in Berlin mitregierenden SPD riesig, die sich
       einer neuen Abwrackprämie für Autos mit Verbrennermotoren verweigert hat.
       Und in der Energie- und Chemiegewerkschaft IGBCE galten die Grünen lange
       als Feind – schließlich haben die nicht nur in NRW jahrzehntelang für ein
       Ende der milliardenschweren Steinkohlesubventionen getrommelt.
       
       Deutlich wird das auch beim Ausstieg aus der Braunkohle.
       Umweltschützer*innen kritisieren den „Kohlekompromiss“, mit dem der
       Bundestag in dieser Woche ein Ende der Kohleverstromung spätestens 2038
       beschließen soll, für völlig unzureichend – Gewerkschaftschefin Weber sieht
       darin dagegen den Beweis der „hohen sozial-ökologischen Kompetenz“ der
       IGBCE. „Wir müssen die Kolleginnen und Kollegen mitnehmen“, mahnt Weber:
       „Dafür braucht es eben Zeit, um neue Beschäftigungsperspektiven aufzubauen
       oder den Übergang in die Rente zu organisieren – und Geld für einen
       vernünftigen Sozialplan.“
       
       In ihrer neuen Rolle als DGB-Bundesvorstand argumentiert auch die einstige
       grüne Fraktionschefin Piel ähnlich. „Die nötige sozial-ökologische
       Transformation wird durch die Corona-Krise nicht einfacher“, warnt sie –
       schließlich drohten den Sozialversicherungen durch millionenfache
       Kurzarbeit und drohende Arbeitslosigkeit massiv wegbrechende Einnahmen.
       „Wir müssen den Klimawandel verlangsamen – und gleichzeitig Arbeitsplätze
       erhalten“, mahnt Piel.
       
       Grünen-Chef Banaszak hofft deshalb wohl, mit seiner Partei eine wichtige
       Funktion als Scharnier zwischen Umweltbewegung und Gewerkschaften besetzen
       zu können – auch in Konkurrenz zur SPD. Als Beispiel nennt er die im
       Ruhrgebiet noch immer wichtige Stahlindustrie: Per Parteitagsbeschluss
       haben die NRW-Grünen schon im vergangenen Herbst eine klimaneutrale
       Stahlproduktion gefordert.
       
       Möglich werden soll die durch Subventionen in Forschungsprojekte und Zölle
       auf klimaschädlich hergestellten, Kohlendioxid-intensiven Importstahl.
       „Vielleicht werden wir eine Art Transmissionsriemen“, hofft Banaszak. Denn
       „selbst im Streit um die Abwrackprämie“, glaubt er, „werden einige bei der
       IG Metall gedacht haben: Deren Gegner, also auch die Grünen, haben einen
       Punkt.“
       
       30 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
   DIR [2] https://gruene-nrw.de/2020/06/soziale-wege-aus-der-krise/
   DIR [3] /Gruene-und-Gewerkschaften/!5578696
   DIR [4] /Gruenen--und-Verdi-Chef-im-Interview/!5658807
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Wyputta
       
       ## TAGS
       
   DIR Nordrhein-Westfalen
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Gewerkschaft
   DIR Bündnis 90/Die Grünen
   DIR Schwerpunkt Fridays For Future
   DIR Robert Habeck
   DIR Schwerpunkt Fridays For Future
   DIR Schwerpunkt Klimagerechtigkeit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Klimapolitik der Gewerkschaften: IG Metall muss noch liefern
       
       Die IG Metall und der BUND stellen ein gemeinsames Papier zur
       Mobilitätswende vor. Das bleibt oberflächlich, eine CO2-Bepreisung taucht
       gar nicht mehr auf.
       
   DIR Mehr Diversity bei den Grünen: Grüne wollen sich vervielfältigen
       
       Noch ist die Partei nicht besonders divers. Um das zu ändern, will sie sich
       beim nächsten Parteitag ein „Statut für eine vielfältige Partei“ geben.
       
   DIR Umweltministerin über EU-Klimaziel: „Wir brauchen 55 Prozent“
       
       Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft setzt Svenja Schulze nicht auf
       neue nationale Ziele. Stattdessen will sie EU-weite Vorgaben verschärfen.
       
   DIR Autorinnen über Einfluss der Wirtschaft: „Eine Niederlage für die Autolobby“
       
       Es ist kein Naturgesetz, dass sich fossile Industrien weiter durchsetzen,
       so Susanne Götze und Annika Joeres, Autorinnen von „Die Klimaschmutzlobby“.