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       # taz.de -- Verteidigung des Industriebiers: Ein Bier für dich und mich
       
       > Bei Bier sind die Umstände wichtiger als der gute Geschmack. Über
       > metallische Spitzen und muffige Grundtöne muss man manchmal hinwegsehen.
       
   IMG Bild: Bier ist herrlich. Besonders mit Freunden. Gerade zum Fußball. Vor allem zum Abendbrot
       
       taz | Bremen Craft-Bier, du Liebhaber-Mische, dich kann ich nicht ernst
       nehmen: Distinguiert willst du sein, „mit Körper“, „mit Note“, „mit Abgang“
       – gib es doch zu: In deiner Seele, da bist du ein Wein. Vielleicht ein
       bisschen cooler, jünger. Du bedienst dich übergriffig am immer noch
       lässigen Image des Bieres.
       
       Zusammengepanscht wirst du auf Landhöfen und in besseren Garagen, von
       „echten Menschen“ (mit Bart), in „echter Handarbeit“ (ohne Ausbildung) –
       und jedes Mal schmeckst du ein bisschen anders. „Das machen die echten
       Zutaten“, höre ich deine Propheten und Apologeten rufen. „Das macht
       unzuverlässig!“, rufe ich erbost zurück.
       
       Das alles ist unwahr und ungerecht, allemal und vor allem ein Klischee und
       sagt selbstverständlich mehr über mich aus, als über jedes leckere
       Craft-Bier. Das [1][Craft-Bier soll leben]! Loben aber will ich hier das
       Industriebier. Denn es ist nun mal so: Ich mag mein Bier ein bisschen
       langweilig.
       
       Bier ist das perfekte Getränk: Nicht so süß wie Säfte und Limonaden, nicht
       so wahr und klar wie Wasser, nicht so heiß wie Tee, nicht so konzentriert
       wie ein Wein. Bier ist auf eine sympathische Weise unanstrengend. Gönn dir!
       
       ## Vergiss Geschmackstests – die Umstände zählen
       
       Mein Abend im Zeichen des Industriebiers beginnt mit Jever – und der Beginn
       ist herrlich! Das Spiegeleibrot war nie so gut, ich könnte mich jedenfalls
       nicht entsinnen. Der Geschmack? Schwierig. Zum Urteil „herb“ könnte ich
       mich hinreißen lassen, das weiß ja jeder über Jever. „Gut“ trifft es für
       mich aber besser.
       
       „Bier bewusst genießen“ steht auf den grünen Flaschen. Das gelingt aber
       nicht, indem man sich auf den guten Geschmack konzentriert. Industriebier
       ist Begleitbier. Es begleitet den Abend in der Kneipe und den vor der
       Haustür. Es begleitet den Fußballnachmittag, den Besuch bei alten
       Nachbar*innen, und natürlich die Radtour, die ich stets bewusst danach
       auswähle, ob ein Biergarten auf dem Weg liegt. Einem kurzen Feierabend kann
       es ein Gefühl der Freiheit verleihen. „Bier – der kleine Urlaub“, nennt
       meine Schwester diesen Effekt.
       
       Das Beck’s, das dem Jever folgt, fällt ab dagegen; es ist noch eine Spur
       flacher. Das ist Teil des Erfolgsrezepts: Es stört nicht groß. Als es nicht
       mehr opportun war, sich ausschließlich für Männerdurst zu interessieren,
       behaupteten Werbeleute „Beck’s löscht Kenner-Durst.“ Das Gegenteil ist der
       Fall. Beck’s ist – und das ist seine große Stärke – für alle da. Für dich
       und mich. Als Einsteigerbier ist es ihm gelungen, [2][überall auf der Welt
       Freund*innen] zu finden.
       
       Der nächste Kandidat ist Haake Beck – der billige kleine Bruder des Beck’s,
       der nicht in der Welt herumschweift, sondern zu Hause bleibt, in Bremen.
       Ein Haake bietet damit weit bessere Projektionsmöglichkeiten für
       Lokalpatriotismus.
       
       [3][Image ist wichtig] für Biermarken. Ich verstehe meinen Bruder gut, der
       mir mit seinen damals 15 Jahren ernsthaft versicherte, Astra sei sein
       absolutes Lieblingsbier. Welchem 15-Jährigen ginge es da wohl anders? Mein
       Bremer Lokalpatriotismus kann trotzdem nicht überdecken: Das Haake schmeckt
       heut etwas metallisch. War das immer schon so? Der Geschmack wird weniger
       aufdringlich, je länger ich trinke. Geht doch.
       
       Das Oettinger, das ich als letztes öffne, ist dann leider doch reine
       Enttäuschung, muffig und verwässert kommt es daher und weckt Assoziationen
       an die Schattenseiten von Bier: Das Völkische, Spießbürgerliche, das
       Dumpfe; das Gebräu der Schützenfeste, der Stoff, der Verbindungsstudenten
       zusammenschweißt. Wie viele rassistische Witze „bei einem kühlen Blonden“
       erzählt wurden, bleibt ungezählt. Bier ist laut und pöbelig, es ist, nicht
       zuletzt, das Substrat, auf dem eine ganze Menge schlechter Musik gedeihen
       konnte.
       
       Und jetzt? Die positive Wendung zurück? Die Synthese? Hm. Ich mag Bier
       trotzdem.
       
       7 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Lotta Drügemöller
       
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