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       # taz.de -- Protestsänger in Äthiopien erschossen: Die Musik lebt weiter
       
       > Äthiopiens populärster Musiker Hachalu Hundessa wird erschossen, bei
       > Protesten sterben Dutzende. Es entlädt sich der Frust der Oromo-Jugend.
       
   IMG Bild: Gedenken an Hachalu Hundessa: In St. Paul, Minnesota, in den USA versammeln sich Menschen
       
       Nairobi taz | Der Tod des immens populären Protestsängers Hachalu Hundessa
       hat die schlummernden Spannungen in Äthiopien angefacht. Der 34-jährige
       wurde Montagabend in der Hauptstadt Addis Abeba von Unbekannten in seinem
       Auto erschossen. Seitdem sind bei Explosionen und Demonstrationen in
       mehreren Städten mindestens 50 Menschen umgekommen. Die Polizei schoss
       scharf, mehr als 100 Menschen wurden verletzt und Dutzende verhaftet.
       
       Hachalu war die musikalische Stimme der Oromo, die größte Volksgruppe im
       110 Millionen Einwohner zählenden Äthiopien. „Er war das Gewissen der
       Oromo-Nation“, schrieb Tsedale Lemma, Chefredakteurin der Zeitung Addis
       Standard in sozialen Medien. Als 17-jähriger wurde der Sänger für fünf
       Jahre inhaftiert wegen Proteste gegen das damalige Regime von
       Premierminister [1][Meles Zenawi].
       
       Die Lieder von Hachalu handelten meist von der Unterdrückung seines
       Oromo-Volkes. „Warte nicht auf Hilfe von außerhalb, ein Traum der nicht
       Wirklichkeit wird. Stehe auf, sattle dein Pferd und kämpfe, du bist
       derjenige der nah am Palast ist.“ Solche Lieder wurden Kampflieder nicht
       nur für Oromo, sondern für alle Aktivisten während der blutig
       niedergeschlagenen [2][Massenproteste] zwischen 2015 und 2018. Die Proteste
       führten zur [3][Machtübernahme] durch den aktuellen Premierminister Abiy
       Ahmed, ein Oromo. Abiy hat Äthiopien [4][Reformen beschert], zehntausende
       politische Gefangene kamen frei, politische Opposition wurde zugelassen und
       auch Freiheit der Meinungsäußerung. Dafür und für seinen Friedensschluss
       mit Eritrea bekam Abiy voriges Jahr den [5][Friedensnobelpreis].
       
       Doch die neuen Proteste machen sichtbar, dass Abiy inzwischen unter der
       Oromo-Jugend massiv an Rückhalt verliert. Der Premierminister drückte über
       Hachalus Tod auf Twitter sein Beileid aus: „Äthiopien hat ein wertvolles
       Leben verloren“. Der Sänger hatte schon vor einiger Zeit gemeldet, dass er
       mit dem Tod bedroht werde, aber nicht wisse, wer dahintersteckte. Die
       Polizei sagt, sie habe einige Verdächtigen festgenommen.
       
       ## Junge Oromo kritisieren Abiy
       
       Hachalu war auch unter Abiys regierungskritisch geblieben. Er sah sich
       weiterhin als Stimme der Oromo. Als die taz vor zwei Jahren mit ihm am
       Telefon sprach, um mit ihm ein Treffen zu vereinbaren, sagte er: „Ich
       möchte gern mit ausländischen Medien sprechen, aber wichtiger für mich ist,
       dass ich mein eigenes Volk erreiche.“
       
       Am Donnerstag soll Hachalu in seinem Geburtsort Ambo beerdigt werden. Aber
       einige seiner Fans unter Führung des Oromo-Medienmagnaten haben versucht,
       den Leichentransport nach Ambo zu verhindern. Sie wollten, dass die
       Beerdigung in Addis Abeba stattfindet. Bei Auseinandersetzungen wurde Jawar
       verhaftet.
       
       Das verschärft die Konfrontation weiter. Jawar, einst ein guter Freund von
       Abiy, ist mittlerweile einer seiner größten Gegner. Er und viele junge
       Oromo finden, dass Abiy zu wenig für seine eigene Ethnie tut. Bei einer
       Konfrontation zwischen Polizei und Jawar-Anhängern [6][kamen voriges Jahr
       78 Menschen ums Leben]. Viele junge Oromo glauben nicht an ein
       multi-ethnisches Äthiopien und bevorzugen ihren eigenen Staat: [7][Oromia].
       
       Äthiopien ist in [8][Bundesstaaten auf ethnischer Grundlage] aufgeteilt.
       Jetzt, wo es mehr Freiheit gibt, fordern alle Ethnien und Regionen mehr
       Einfluss und Macht in der Zentralregierung. Der einst bejubelte
       Premierminister Abiy wird von allen Seiten kritisiert. Im Gegenzug greift
       er zu den gleichen undemokratischen Mitteln wie seine Vorgänger. So ist
       seit Dienstag in Äthiopien das Internet geschlossen. Freie Wahlen, die für
       August angesetzt waren, wurden bereits wegen Corona verschoben.
       
       1 Jul 2020
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Ilona Eveleens
       
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