# taz.de -- Debütalbum von Sofia Portanet: Auf Reisen mit Schulterpolstern
> „Freier Geist“ heißt das Debütalbum der jungen Berliner Künstlerin Sofia
> Portanet. Damit versucht sie ein Update von exaltierter New Wave.
IMG Bild: Kühl im U-Bahnhof: Sofia Portanet
Eigentlich hatte Sofia Portanet alles richtig gemacht: 2018 begann sie in
regelmäßigen Abständen Singles zu veröffentlichen. Danach folgten erste
Gigs und bald schon wurde sie von der Kritik als Geheimtipp gehandelt. Man
erwartete mit Spannung ihr Debütalbum. Doch dann ging die Coronakrise los
und es drängte die Frage: das Album veröffentlichen oder seine
Veröffentlichung verschieben.
Sofia Portanet ist das Risiko eingegangen und hat es zur Chance umgedeutet:
Wenn viele ihrer KollegInnen Albenveröffentlichungen verschoben haben,
veröffentlicht sie ihres erst recht. Das unterstreicht die 30-Jährige mit
dem Albumtitel „Freier Geist“, der sich wie ein Motto durch ihr Schaffen
zieht. Angenehm anachronistisch bedient sich Portanet auf ihrem Debüt beim
[1][Zackigsten], was [2][New Wave] zu bieten hat, und verpasst der Neuen
Deutschen Welle ein Update.
Es war für Sofia Portanet ein längeres Ausprobieren, bis sie bei ihrem
jetzigen Sound ankam. Aufgewachsen in Paris als Tochter einer Deutschen und
eines Spaniers, lernt sie das Singen im Kinderchor der Nationaloper. Mit 20
zieht es Portanet nach Berlin, wo sie heute noch wohnt. Sie jammt, singt
R&B und Soul, hat erste kleine Auftritte in Bars und Cafés.
## Mit Punkimpuls komponieren
Dann fängt sie an, eigene Songs zu komponieren, lernt die MusikerInnen
ihrer Band kennen und entdeckt britischen Punk für sich. Von da aus geht es
hurtig zu New Wave und Neuer Deutscher Welle. Portanet ist begeistert von
Ideal und DAF und dem exaltierten Gesang einer Nina Hagen. Treibende,
repetitive Beats und melodische Gitarrenriffs inkorporiert sie in ihren
Sound.
Geballt lässt sich das direkt im Titeltrack und Auftaktsong ihres Debüts,
„Free Ghost“, hören, bei dem Synthieflächen und Gitarrenriffs eine Wall of
Sound bilden. Das schnelle Tempo wird dabei selten heruntergefahren, Songs
wie „Waage“, „Wanderratte“ und „Planet Mars“ landen auch in der Disco. Oft
sind die Arrangements lediglich ein Podest für Portanets Stimme.
Deren Bandbreite ist außerordentlich – Ergebnis einer klassischen
Gesangsausbildung: Sie setzt diese mal im Sprechgesang vortragend ein wie
in „Das Kind“, mal dramatisch heulend wie in „Planet Mars“. Zudem lässt sie
ihre Mehrsprachigkeit in die Musik einfließen, wechselt häufig die
Sprachen: Auf dem Album singt sie Texte auf Englisch, Deutsch und
Französisch. Sofia Portanet geht sogar noch weiter und veröffentlicht
dieselben Songs in verschiedensprachigen Fassungen.
## Vertraut und poetisch zugleich
Für hiesige Ohren klingen die deutschen Texte vertraut und zugleich
poetisch. Das liegt daran, dass sich Portanet gerne von Lyrik inspirieren
lässt und als Grundlage für ihre Texte nimmt. Bestes Beispiel „Das Kind“,
das sich textlich ausgiebig bei Rainer Maria Rilkes „Ich war ein Kind“
bedient.
Generell ist bei Sofia Portanet vieles [3][larger than life]: Sie pflegt
einen Hang zum Melodramatischen, in den Songs sowie in der Präsentation.
Ihre Ausbildung an der [4][Pariser Oper] treibt seltsame Blüten. Auf der
Bühne und in ihren Videoclips tritt sie lasziv und herausfordernd auf,
trägt knallrote Lippen, toupierte Haare und große Schulterpolster.
Dass Portanet und Band gerne durchstarten möchten, merkt man der Musik in
jeder Sekunde an. Oft klappt es schon ganz gut, dank Mehrsprachigkeit und
Pop-Appeal könnte ein Erfolg außerhalb Deutschlands drin sein. Doch bewegen
sich Songwriting und Musik noch nicht auf der Höhe von Sofia Portanets
stimmlichen Präsenz. Damit bleibt für die Berliner Künstlerin noch
Entwicklungspotenzial. Aber das Debüt ist schließlich nicht das Ende,
sondern nur ein Wegpunkt auf Sofia Portanets musikalischer Reise.
3 Jul 2020
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## AUTOREN
DIR Niklas Münch
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