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       # taz.de -- Sexarbeit in Zeiten von Corona: Auf der Strecke geblieben
       
       > Während fast überall Corona-Maßnahmen gelockert werden, bleiben Bordelle
       > geschlossen. Prostituierte fordern, das zu ändern.
       
   IMG Bild: Sex mit Maske? In Berlin protestieren Menschen für die Öffnung von Bordellen
       
       Berlin taz | Es ist die letzte Sitzung des Bundesrats vor der Sommerpause.
       Mehrere Dutzend Prostituierte haben sich am Freitagmorgen vor dem Gebäude,
       in dem bald die 16 Ministerpräsident*innen eintreffen sollen,
       zusammengefunden. Sie demonstrieren für die Wiedereröffnung von Bordellen
       in Deutschland. Damit Prostituierte nicht weiter in die Illegalität
       getrieben werden, müssen die Länder jetzt handeln, fordern die
       Demonstrierenden.
       
       Seit Beginn der Corona-Pandemie verbieten die Bundesländer das „Betreiben
       eines Prostitutionsgewerbes“. Auch die Vermittlung von Prostitution ist
       tabu. In 10 von 16 Bundesländern ist zudem das Erbringen von sexuellen
       Dienstleistungen an sich ausdrücklich untersagt. Bordelle bleiben
       geschlossen, Tabledance-Bars und Klubs ebenso. Als einziges Bundesland
       hatte Rheinland-Pfalz angekündigt, Bordelle ab Mitte Juni wieder zu öffnen
       – um dann einen Rückzieher zu machen.
       
       Die finanzielle Situation der Sexarbeiter*innen [1][wird indes immer
       schwieriger]. Staatliche Hilfen, die beispielsweise an Soloselbstständige
       ausgeschüttet wurden, erreichen die Prostituierten häufig nicht, weil nur
       Betriebskosten übernommen werden. Für die meisten Sexarbeiter*innen
       entstehen die jedoch nur, wenn sie tatsächlich arbeiten. Wer keinen festen
       Wohnsitz oder Aufenthaltstitel hat, fällt ohnehin durch die sozialen
       Sicherungssysteme. Lebenshaltungskosten bleiben jedoch unverändert
       bestehen.
       
       Um die abzufangen, hatten der Berufsverband erotische und sexuelle
       Dienstleistungen e.V., die Beratungsstelle Hydra und die Diakonie
       Baden-Württemberg zu Beginn der Corona-Krise Nothilfefonds aufgelegt.
       „Inzwischen sind die Töpfe leer“ erklärt Stephanie Klee, die als
       Sexualassistentin in Alten- und Behinderteneinrichtungen arbeitet.
       
       Gefährliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen 
       
       Stattdessen werden die Sexarbeiter*innen ans Jobcenter, Tafeln und die
       Obdachlosenhilfe verwiesen. „Das verletzt unseren Stolz“, erklärt Klee,
       „wir wollen autonom sein, wir wollen keine staatlichen Hilfen.“ Hinzu komme
       für viele die Sorge, von Behörden für ihren Beruf diskriminiert zu werden.
       Die Hürde, zum Jobcenter zu gehen, ist hoch.
       
       Das gegenwärtige Arbeitsverbot in 10 der 16 Bundesländer bedeutet für viele
       Sexarbeiter*innen neben der [2][existenziellen Not] vor allem eines: eine
       gefährliche Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen. „Wenn wir durchs
       staatliche Raster fallen, haben wir keine Wahl und müssen trotzdem
       anschaffen gehen“, erklärt Klee. In sechs Bundesländern sind Haus- und
       Hotelbesuche erlaubt. Die Sicherheit eines Bordells fällt für die
       Prostituierten jedoch weg. „Viele Kolleg*innen wissen nicht, was sie bei
       einem Hotelbesuch beachten müssen, um sich zu schützen“, warnt sie.
       
       Dass Kontaktsportarten wie Boxen und Ringen wieder erlaubt sind, Massage-
       und Tatoostudios wieder öffnen dürfen, während Bordelle geschlossen bleiben
       sollen, „entbehrt jeder Logik“, schreibt der Bundesverband erotische und
       sexuelle Dienstleistungen in seiner Pressemeldung. „Dass auf unseren
       Berufsstand herab geschaut wird, zeigt sich auch daran, dass sich lange
       niemand von sich aus an einen Tisch gesetzt hat“, erklärt auch Klee, „Wir
       werden totgeschwiegen“.
       
       In der Schweiz, Belgien, den Niederlanden, Österreich und Tschechien ist
       Sexarbeit inzwischen wieder erlaubt. Der Bundesverband fordert, Bordelle
       auch hierzulande wieder zu öffnen – mit den entsprechenden
       Hygienekonzepten: So sollen beispielsweise Besuche von Kund*innen
       dokumentiert, ein Mund-Nasenschutz getragen und die Räume regelmäßig
       desinfiziert und gelüftet werden. In Tabledance-Bars, Kinos und Klubs soll
       ein Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten werden. Zumindest mit
       Sachsen, Thüringen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ist der Berufsverband
       nun im Gespräch.
       
       3 Jul 2020
       
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