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       # taz.de -- Urteil gegen MenschenrechtlerInnen in der Türkei: Amnesty zur Terrorgruppe gemacht
       
       > Trotz des Freispruchs für Peter Steudtner: Das Urteil des Istanbuler
       > Gerichts ist ein gezielter Angriff des Regimes auf unabhängiges
       > zivilgesellschaftliches Engagement.
       
   IMG Bild: Wurde zu einem Jahr und 13 Monaten Haft verurteilt: die ehemalige Amnesty-Geschäftsführerin Idil Eser
       
       In keinem anderen Land der Welt ist Amnesty International (AI) bislang so
       massiv angegriffen worden, wie am Freitagnachmittag in der Türkei. Ein
       türkisches Gericht in Istanbul [1][verurteilte vier Mitarbeiter von AI zu
       Gefängnisstrafen], weil sie angeblich Terroristen unterstützen oder sogar,
       wie im Fall des [2][Ehrenvorsitzenden Taner Kilic], selbst Mitglied in
       einer Terrororganisation sein sollen. Taner wurde zu sechs Jahren Gefängnis
       verurteilt, drei weitere Personen, darunter die frühere
       Amnesty-Geschäftsführerin Idil Eser, zu jeweils einem Jahr und 13 Monaten
       Haft.
       
       Man muss hier vielleicht noch einmal daran erinnern, was AI eigentlich ist.
       Das sind Menschen, die zusammenkommen, um für die Freilassung von
       politischen Gefangenen, die sich keinerlei Gewalttaten zuschulden kommen
       lassen haben, zu kämpfen. Sie stellen Öffentlichkeit her und sie schreiben
       Briefe an politisch Verantwortliche in denen sie um die Freilassung oder
       Verbesserung von Haftbedingungen für politische Gefangene bitten.
       
       Die Verhaftung von Mitarbeitern von AI und anderen
       Menschenrechtsorganisationen zusammen mit zwei ausländischen Referenten
       [3][im Anschluss an ein Seminar auf einer Insel bei Istanbul geschah 2017]
       in einer aufgeheizten Atmosphäre nach einem gescheiterten Putschversuch und
       während des anschließenden Ausnahmezustandes. Die Gruppe war denunziert
       worden, Terrorismus zu unterstützen. Ein einigermaßen objektiver
       Haftrichter hätte sofort sehen können, dass diese Anschuldigung Unsinn war,
       aber in der damaligen Situation wäre es auch für einen Richter schwierig
       gewesen, eine solche Anschuldigung einfach zurückzuweisen.
       
       Das gilt jedoch nicht für eine Gerichtsverhandlung vier Jahre nach dem
       Putschversuch. Man darf sich nicht davon täuschen lassen, dass die beiden
       ausländischen Referenten, darunter der Deutsche Peter Steudtner,
       freigesprochen wurden; das diente nur dazu, internationalen Ärger zu
       vermeiden. Die Verurteilung der vier Amnesty-Mitarbeiter ist das eigentlich
       wichtige Signal. In der Türkei von Präsident Recep Tayyip Erdoğan werden
       Menschen, die gewaltlose politische Gefangene unterstützen, zu Terroristen
       gemacht. Das sagt alles über die derzeitige türkische Regierung.
       
       Eine der angesehensten Menschenrechtsorganisationen weltweit wird massiv
       bedroht und damit de facto verboten. Nicht im Affekt nach einer
       dramatischen Situation, sondern ganz gezielt und kühl kalkuliert.
       
       Der Angriff auf Amnesty International ist natürlich auch ein Signal an
       andere Menschenrechtsorganisationen oder zivilgesellschaftliche
       Vereinigungen, die sich für Umweltschutz, gegen Klimawandel oder auch für
       das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Ethnien oder
       unterschiedlichen Religionen engagieren. Kurzum, er richtet sich [4][gegen
       jedes zivilgesellschaftliche Engagement] außerhalb des religiösen oder
       parteipolitischen Rahmens, den das Regime selber setzt. Umso erstaunlicher
       ist es, das fast jeden Tag nach wie vor Menschen in der Türkei für
       demokratische Rechte kämpfen.
       
       4 Jul 2020
       
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