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       # taz.de -- „Wilder Westen“ in Computerspielen: Entfesselter Mythos
       
       > Seit den 70er Jahren ist der „Wilde Westen“ ein Game-Thema. Meist
       > beschränken sich die Spiele auf Klischees. Allmählich wird die Legende
       > hinterfragt.
       
   IMG Bild: Ohne Sonnenuntergänge und Canyons kommt kein Western aus: Szene aus „Red Dead Redemption 2“
       
       Der „Wilde Westen“ in Videospielen beginnt mit einem Skandal. 1982
       veröffentlicht das Entwicklerstudio Mystique [1][„Custer's Revenge“]. Darin
       müssen Spieler*innen den namensgebenden General George Custer steuern und
       bekommen Punkte, wenn sie eine gefesselte amerikanische Indigene
       vergewaltigen. Auf der Spielverpackung heißt es: „Hilfe von George ist auf
       dem Weg. Bei Gott! Er kommt“. Mehr als 80.000 Mal wurde das Spiel verkauft.
       
       Der 1876 in der Schlacht vom Little Bighorn getötete Custer wurde lange
       Zeit [2][als US-amerikanischer Held verklärt]. Erst ab den 1970er Jahren
       wurde der Custer-Mythos durch Filme und Forschung dekonstruiert. Aber
       Videospielentwickler*innen machten daraus noch in den 80er Jahren eine
       Rache- und Vergewaltigungsfantasie.
       
       Ähnlich zu Westernfilmen, die sich an Dime Novels und Romanen wie Owen
       Wisters „The Virginian“ orientiert haben, reproduzieren auch Videospiele
       Bilder und Motive aus Westernfilmen oder verweisen [3][auf Gemälde der
       Hudson River School,] sagt Sören Schoppmeier von der Freien Universität
       Berlin. [4][Er forscht zur Reproduktion US-amerikanischer Kultur] in
       Videospielen.
       
       Westernszenarien waren für Entwickler*innen in den 70er und Anfang der 80er
       Jahre eine Goldgrube. Trotz der begrenzten Technik sind ikonische Figuren
       und Objekte auch nur mit wenigen Pixeln erkennbar: ein Kaktus, ein
       Revolver, ein Cowboyhut. „Spielehersteller boten den Kund*innen damit
       vertraute Bilder und mit digitalen Revolverduellen Anreize, möglichst viel
       Geld in die Spielautomaten zu werfen“, sagt Schoppmeier. Mit einer
       faktengetreuen Darstellung des Lebens in der Frontier hatte das meist
       nichts zu tun.
       
       ## Der Kampf alter weißer Männer
       
       [5][Einer Studie zufolge] erschienen zwischen 1970 und 2015 315 Computer-
       und Videospiele mit Westernbezug. Die meisten davon sind Duellspiele und
       Ego-Shooter wie „Gun Fight“ von 1975 oder „Call of Juarez“ (2006). Um
       Kund*innen nicht zu verprellen, wurden Themen wie die Vertreibung und
       Vernichtung großer Teile der indigenen Bevölkerung oder die Sklaverei
       nahezu komplett ausgeblendet oder verharmlost, sagt Schoppmeier.
       
       Während sich Westernfilme von ihren anfänglichen romantischen Verklärungen
       der US-amerikanischen Frontier emanzipiert haben und den Gründungsmythos
       der USA zerlegen, stagnieren Westernspiele auf dem Niveau von Filmen der
       1960er Jahre.
       
       [6][Erst neuere Westernspiele wie „Red Dead Redemption 2“] behandeln Themen
       wie Umweltzerstörung oder die Vertreibung der indigenen Bevölkerung. Für
       ein Blockbuster-Videospiel sei „Red Dead Redemption 2“ teilweise recht
       progressiv, im Vergleich zu vielen Westernfilmen aber nicht, sagt
       Schoppmeier, der das Spiel in seiner Promotion erforscht: „[7][Red Dead
       Redemption 2] positioniert sich nicht klar zu diesen Themen, die zudem nur
       Nebenmissionen sind. Im Kern bleibt es der Kampf zweier alter weißer Männer
       vor tollen Kulissen.“
       
       Das Mitte Juni erschienene Echtzeit-Taktikspiel „Desperados 3“ des
       deutschen Entwicklerstudios Mimimi Games nutzt ebenfalls den „Wilden
       Westen“ als Szenario und spielt in den 1870er Jahren. „Unser Spiel ist ein
       Best-of der Westernfilme“, sagt Martin Hamberger, Lead Writer bei Mimimi
       Games.
       
       „Desperados 3“ sollte als Spiel nicht zu düster werden und Spaß machen,
       sagt Hamberger. „Deshalb haben wir uns gegen den US-amerikanischen
       Bürgerkrieg entschieden.“ Trotzdem haben die Entwickler*innen das Thema
       Sklaverei in Ansätzen aufgegriffen: In einer Mission bewegt man sich in den
       Sümpfen Louisianas, in der Menschen in Käfigen gehalten werden.
       
       ## Perspektiven indigener Communitys
       
       „Wir hätten uns unwohl gefühlt, wenn wir das ernste Thema ignoriert
       hätten“, sagt Hamberger. „Desperados 3“ ist im Vergleich zu anderen Spielen
       progressiver, die Charaktere und die Story bleiben allerdings stereotyp.
       Außerdem erleben die Spieler*innen die Geschichte größtenteils aus der
       Perspektive von weißen Menschen.
       
       Entwickler*innen von Indie-Spielen verlassen indes die meist weiße
       Perspektive des US-amerikanischen Westens und zeigen etwa im Lernspiel
       [8][„When Rivers Were Trails“] von 2019 das Leben einer indigenen Community
       im 19. Jahrhundert, die von ihrem Land vertrieben wurde. Entwickelt wurde
       es von [9][Elizabeth LaPensée], die selbst indigene Vorfahren hat. Einen
       General Custer finden Spieler*innen darin glücklicherweise nicht.
       
       11 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://kotaku.com/rape-racism-repetition-this-is-probably-the-worst-g-5847507
   DIR [2] https://en.wikipedia.org/wiki/Cultural_depictions_of_George_Armstrong_Custer
   DIR [3] https://www.polygon.com/red-dead-redemption/2018/10/26/18024982/red-dead-redemption-2-art-inspiration-landscape-paintings
   DIR [4] https://www.jfki.fu-berlin.de/en/graduateschool/docs_postdocs/doctoralstudents/2015/Schoppmeier/index.html
   DIR [5] http://widerscreen.fi/numerot/2015-1-2/upon-time-screen-wild-west-computer-video-games/
   DIR [6] /Sexismus-in-Red-Dead-Redemption-2/!5549460
   DIR [7] https://www.polygon.com/2018/10/22/18008360/red-dead-redemption-2-release-western-issue-history-timeline-rockstar
   DIR [8] https://indianlandtenure.itch.io/when-rivers-were-trails
   DIR [9] http://www.elizabethlapensee.com/about
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Denis Giessler
       
       ## TAGS
       
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