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       # taz.de -- Digitalisierung an Schulen stockt: Tafel statt Tablet
       
       > Der Digitalpakt soll helfen, Schulen mit Laptops und schnellem Internet
       > auszustatten. Von dem Geld kommt allerdings bisher kaum etwas an.
       
   IMG Bild: Symbolbild: Digitalisierung an deutschen Schulen
       
       Bonn taz | In einem Werbevideo des Bundesbildungsministeriums klingt die
       Sache ganz einfach: „Lehrer Müller“ möchte für seinen Unterricht ein
       interaktives Whiteboard, eine Virtual-Reality-Brille und diverse Tablets
       anschaffen. Schnelles Internet braucht er natürlich auch. Alles kein
       Problem, denn Geld ist ja vorhanden: Der [1][Digitalpakt zwischen Bund und
       Ländern], der 2019 beschlossen wurde, stellt 5 Milliarden Euro zur
       Verfügung.
       
       [2][In der Realität] werden wohl trotzdem noch Jahre vergehen, bis die
       Geräte tatsächlich bei „Lehrer Müller“ (und all seinen KollegInnen)
       ankommen. „Wir müssen erst einmal eine Grundversorgung aufbauen“, sagt
       Thomas Neuhaus, Sozialdezernent im nordrhein-westfälischen Remscheid.
       „Unsere Schulen brauchen Strom, WLAN und einen Breitbandanschluss.“ Strom?
       Neuhaus lacht. „Wenn Sie in eine 60er-Jahre-Wohnung ziehen, wundern Sie
       sich ja auch nicht, dass in jedem Raum nur eine Steckdose ist.“
       
       Erschwerend hinzu kommt die personelle Situation. „Wir sind eine Großstadt
       mit 113.000 Einwohnern“, sagt Neuhaus, „aber wir haben nur eine Person, die
       sich um Förderanträge kümmert.“ Den Digitalpakt findet er hilfreich und
       gut, doch sei es unheimlich schwierig, Spezialisten für
       Medienentwicklung zu finden. Und: „Die Personalkosten sind im Digitalpakt
       nicht enthalten“, klagt Neuhaus. „Für eine Stadt mit 580 Millionen Euro
       Schulden ist das ein Problem.“
       
       Dabei ist Remscheid längst nicht die einzige Stadt, in der es mit dem
       Digitalpakt nur langsam vorangeht. In Nordrhein-Westfalen stellten die
       Grünen kürzlich eine Kleine Anfrage an die Landesregierung. Wie aus der
       Antwort hervorgeht, haben die Kommunen bis zum 3. Juli nur 404.200 Euro
       abgerufen – von insgesamt 1 Milliarde Euro, die in Nordrhein-Westfalen zur
       Verfügung stehen.
       
       ## Vorbild Bayern
       
       Sigrid Beer, die bildungspolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion,
       hält das für ein Unding. „Wenn es in diesem Tempo weitergeht, werden
       mehrere Schülergenerationen ihre Laufbahn beendet haben, bis die Mittel
       komplett verausgabt sind“, schimpft die Landtagsabgeordnete. Die Ursache
       dafür sieht sie bei der schwarz-gelben Landesregierung. Die lasse die
       Kommunen mit den Anträgen weitgehend allein.
       
       „Was wir brauchen, ist eine Taskforce, die personelle Kapazitäten zur
       Verfügung stellt“, so Beer. „Diese Leute müssen vor Ort sein, den Schulen
       direkt helfen. Da hilft keine anonyme Hotline.“
       
       Als Positivbeispiel nennt Beer das CSU-geführte Bayern. Dort liefen die
       Prozesse wesentlich schneller. Eine aktuelle Übersicht, welche Bundesländer
       bereits wie viel abgerufen haben, gibt es laut Auskunft des
       Bundesbildungsministeriums allerdings bisher nicht; die Daten würden nur
       zweimal pro Jahr erhoben.
       
       In Nordrhein-Westfalen halten sich die Kommunen derweil mit offener Kritik
       zurück. Für diesen Bericht wurden zehn zufällig ausgewählte NRW-Städte
       kontaktiert – mit der Frage, warum das Abrufen der Gelder so lange dauert.
       Die Hälfte antwortete gar nicht. Die anderen sprechen von „aufwendigen und
       relativ komplizierten Anträgen“ (Solingen), „personalintensiven
       Grundlagen-Ermittlungen“ (Münster) und „coronabedingten Kapazitäten“
       (Essen). Die Sprecherin der Stadt Dortmund bringt es auf den Punkt: „Es ist
       nicht,nur' ein Antrag zu stellen, das Verfahren ist ein wenig
       langwieriger.“
       
       ## Zweifelhafte Abkürzungen
       
       Helmut Dedy, Geschäftsführer des Städtetags NRW, weist auf ein weiteres
       Problem hin: Zwar hält er das Geld, das durch den Digitalpakt bereitsteht,
       für „enorm wichtig“, um Laptops, Tablets und schnelles Internet in die
       Klassenzimmer zu bringen. „Woran es aber fehlt, ist eine klare
       Digitalisierungsstrategie des Landes für das Lehren und Lernen in den
       Schulen“, so Dedy. Er fordert einheitliche Vorgaben, was pädagogische und
       technische Standards angeht.
       
       Und dann wäre da noch die langfristige Finanzierung. „Es reicht nicht, die
       Schulen technisch aufzurüsten und neue Rechner anzuschaffen“, sagt Dedy.
       Laufenden Kosten, technischer Support und die Beschaffung von Ersatzgeräten
       müssten durch eine Vereinbarung zwischen Land und Kommunen ebenfalls
       sichergestellt werden. Im Digitalpakt ist davon noch nichts zu lesen.
       
       Unterdessen wählen manche Schulen eine Abkürzung, um schneller an eine
       bessere Ausstattung zu kommen. Weil staatliche Gelder nur langsam fließen,
       schrecken sie auch vor einer Zusammenarbeit mit kommerziellen Anbietern
       nicht zurück. Beispiel Solingen: Hier nutzt ein städtisches Gymnasium die
       Software „Google Classroom“, wie der IT-Riese in einer Werbebroschüre
       verkündet. Darin schwärmt eine Lehrerin, sie habe ihre Schüler „online zum
       Abitur geführt“.
       
       Dass dies bei einem Konzern, der mit dem Sammeln persönlicher Daten sein
       Geld verdient, durchaus problematisch sein könnte, dürfte wohl auch der
       Schule klar sein. Man habe die Namen aller Schüler anonymisiert, heißt es
       dann auch vorsorglich in dem PR-Text. Ob das reicht, sei einmal
       dahingestellt. In einem Punkt ist das Solinger Gymnasium anderen Schulen
       aber definitiv voraus: Die digitale Technik ist schon da – und nicht nur
       das Konzept.
       
       10 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Digitalpakt-verabschiedet/!5575155
   DIR [2] /Digitale-Schule-waehrend-Corona/!5691005
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Steve Przybilla
       
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