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       # taz.de -- Islam in Deutschland: Teufelskreis Ausgrenzung
       
       > Wenn die Unschuldsvermutung über Bord geworfen wird: Muslimischen
       > Verbänden wird immer noch die Unterwanderung der Gesellschaft
       > vorgeworfen.
       
   IMG Bild: Traurig, dass man daran erinneren muss. Protest in Magdeburg angesichts exzessiver Polizeigewalt
       
       Deutschland hat Aufholbedarf in Sachen Akzeptanz und Vielfalt, das wurde in
       den vergangenen Jahren immer deutlicher. Im März 2020 forderte die AfD vor
       dem Bundestag wie gewohnt Verbote und stärkere Überwachung verschiedenster
       muslimischer Organisationen, einschließlich der Deutschen Muslimischen
       Gemeinschaft (DMG). Dass der [1][CDU-Abgeordnete Christoph de Vries klare
       Grenzen gegenüber der AfD] zog, war uns positiv aufgefallen. Mit der Kritik
       uns gegenüber konnten wir gut leben und wir boten ihm ein Gespräch an. Die
       DMG befindet sich in einem Wandel, einer Neuausrichtung, einem
       Änderungsprozess ohne Tabu-Themen. Für konstruktive Kritik sind wir offen.
       
       Einen Monat später lehnte Herr de Vries unser Gesprächsangebot ab. Er legte
       dar, warum er uns nicht treffen wolle, und wünschte mir als Präsidenten der
       DMG immerhin viel Erfolg bei unserem Wandel. Auch wenn wir Dialog für
       essenziell halten, respektieren wir natürlich, wenn jemand kein Gespräch
       wünscht, und ließen es darauf beruhen. Nach fast drei Monaten lasen wir
       Herr de Vries’ Antwort an uns, etwas umformuliert, in der Zeitung Welt.
       Einen persönlichen E-Mail-Wechsel so plötzlich veröffentlicht zu sehen,
       löste bei uns Verwunderung aus.
       
       Als DMG beobachten wir schon lange, dass [2][rechtspopulistische Narrative]
       bewusst oder unbewusst in die Gesprächskultur unserer Gesellschaft
       eingedrungen sind. Das, was Herr de Vries schreibt, ist nichts Neues. Vor
       Unterwanderung, geheimen Strukturen, mit dem Ziel, aus den europäischen
       Demokratien autokratische Gottesstaaten zu machen, müsse gewarnt werden,
       schreibt er. Jedes Bekenntnis zum Grundgesetz sei nur vorgeschoben, ein
       Täuschungsmanöver beängstigend gut gebildeter und eloquenter Akteure.
       Seinen Ursprung hat dieser Verschwörungsmythos bei rechtsextremen
       Ideologien, die weite Teile der Gesellschaft durchdrungen haben.
       Selbstverständlich ist nicht jeder Rassist, aber niemand stellt heute
       ernsthaft in Frage, dass wir in Deutschland ein Rassismusproblem haben.
       
       Wir kennen das in mehreren NSU-Untersuchungsausschüssen aufgedeckte
       „Versagen“ sowie die von Journalisten recherchierten zahlreichen
       „Einzelfälle“ rechter Umtriebe in Sicherheitsbehörden. Auch wir erleben
       immer wieder rechtswidrige Praktiken. Man stelle sich vor, am Arbeitsplatz
       erscheint plötzlich ein Beamter des Inlandsgeheimdienstes. Er möchte einem
       aufgrund seines ehrenamtlichen Engagements in der Moscheegemeinde, mit dem
       man gemeinsam mit allen anderen muslimisches Leben zu einem bereichernden
       Teil der deutschen Gesellschaft machen will, einer Befragung zu
       unterziehen.
       
       Wenn dann noch der Arbeitgeber dazu genötigt wird, das
       Beschäftigungsverhältnis zu beenden, stellt sich die Frage, was die
       Sicherheitsbehörde dazu motiviert, ihren verfassungsgemäßen Auftrag zu
       verlassen, psychischen Druck auszuüben und Existenzen zu bedrohen. Das ist
       leider [3][unsere Realität von heute]. Funktioniert hier die
       parlamentarische Kontrolle noch?
       
       ## Verschwörungsmythos
       
       Was der erwähnte und auch von Sicherheitsbehörden kolportierte
       Verschwörungsmythos aber im Interesse rechtsextremer Kreise leistet, ist
       beachtlich. Denn einmal geächtet, können wir nun sogenannte „Islamisten“
       dauerhaft vom gesellschaftlichen Diskurs ausschließen. Klare Positionen und
       Taten werden gebetsmühlenartig eingefordert, mit denen sie ihre Loyalität
       zum Grundgesetz und seinen Werten unter Beweis stellen sollen. Verweisen
       sie auf ihre Aktivitäten wie Tage der offenen Tür, Hochwasserhilfen,
       Nachbarschaftskampagnen und andere Dialogveranstaltungen oder Hilfen in
       Coronazeiten, wirft man ihnen Doppelzüngigkeit und eine „hidden agenda“
       vor.
       
       Der feste Glaube daran, dass ein sogenannter „politischer Islam“ eine
       Unterwanderung des deutschen Staates betreibt, verleumdet jede auch noch so
       großartige Initiative und schafft ein Klima des Misstrauens. Man
       hinterfragt die Anschuldigungen des Verfassungsschutzes nicht. Die
       Unschuldsvermutung scheint ausgehebelt und damit wird aus dem Vorwurf ein
       Richterspruch.
       
       Muslimische Organisationen werden so in einen Teufelskreis gestoßen, von
       dem sie erst aufgrund eines Gnadenerweises erlöst werden können. Wir
       meinen, dass mit einem solchen Schema nur zwei Lager bedient werden: zum
       einen antimuslimische Rassisten, die in jeder muslimischen Struktur eine
       Bedrohung für ihre eigene gesellschaftliche Machtordnung sehen, und zum
       anderen muslimische Extremisten, die eine Abschottung von der Gesellschaft
       fordern und in ausgrenzender Politik eine Bestätigung zu finden glauben.
       
       ## Unterwanderung Deutschlands?
       
       Dass Vertreterinnen und Vertreter aus Sicherheitskreisen und Politik
       ernsthaft der Auffassung sein wollen, eine Unterwanderung Deutschlands zur
       Errichtung eines Gottesstaates sei auch nur im Entferntesten möglich, ist
       für uns mittlerweile absurd, fast schon lächerlich.
       
       Wer im über 60-jährigen Engagement der DMG für eine Beheimatung des Islam
       in Deutschland nur eine Verschleierungstaktik zu erkennen glaubt, entzieht
       jedem konstruktiven Dialog die Grundlage. Jeder und damit auch alle
       muslimischen Organisationen haben ein Recht darauf, anhand eigener
       Positionen und Aktivitäten beurteilt zu werden. Für dieses Recht werden wir
       uns als DMG weiterhin einsetzen und deswegen klagen wir aktuell gegen
       unsere Nennung im Verfassungsschutzbericht.
       
       Eine Sache ist mir jedoch wichtig und in der möchte ich Herrn de Vries
       ausdrücklich zustimmen: „Wer es ernst meint mit dem gesellschaftlichen
       Frieden und Zusammenhalt in unserem Land, sollte die Feinde der Demokratie
       mit aller Entschlossenheit bekämpfen.“ Dem möchte ich hinzufügen: Basis für
       unsere Demokratie sind doch gerade konstruktiver Austausch und Dialog. Sie
       helfen uns, Verständnis und Respekt füreinander zu entwickeln, um gemeinsam
       für gesellschaftlichen Frieden zu wirken. Unsere Türen stehen in diesem
       Sinne jedem offen.
       
       27 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bing.com/videos/search?q=christoph+fries&docid=608028263669434637&mid=81C2BF15F93807EEA9F581C2BF15F93807EEA9F5&view=detail&FORM=VIRE
   DIR [2] /Debatte-Deutsche-Islamkonferenz/!5574252
   DIR [3] /Seehofer-praesentiert-Polizeistatistik/!5685225
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Khallad Swaid
       
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