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       # taz.de -- Ölbohrungen an der Kurischen Nehrung: Vogelparadies in Gefahr
       
       > In der Umgebung der Kurischen Nehrung will die russische Firma Lukoil in
       > der Ostsee Öl fördern. Umweltschützer warnen vor möglichen Havarien.
       
   IMG Bild: Noch ein Vogelparadies: russischer Teil der Kurischen Nehrung in der Ostsee
       
       Kiew taz | Jeder Ornithologe gerät ins Schwärmen, wenn von der Kurischen
       Nehrung die Rede ist. Dieses Vogelparadies findet sich auf einer hundert
       Kilometer langen Landzunge, die sich Litauen und Russland teilen. Finken,
       Goldhähnchen, Gänse, Drosseln, Greifvögel, Falken, Graureiher, Kormorane
       und weitere über 50 Vogelarten sind dort in großer Zahl zu beobachten.
       
       Doch gut 50 Kilometer von der Nehrung entfernt soll nun im Meer ein neues
       Ölfeld ausgebeutet werden. Die Nehrung wird wegen ihrer 60 Meter hohen
       Sanddünen auch „ostpreußische Sahara“ genannt und ist von der Unesco zum
       Weltnaturerbe erklärt worden. Im Jahr 2021 sollen für das Projekt unter dem
       Namen „D33“ erste Bohrungen beginnen. Betrieben wird es vom Unternehmen
       Lukoil-Kaliningradmorneft, das dem russischen Konzerns Lukoil gehört.
       Spätestens 2023 soll die Ausbeutung beginnen.
       
       Die Betreiber vermuten [1][Ölvorräte] von 21 Millionen Tonnen. Mit diesem
       Projekt werde man in der Ostsee auf eine jährliche Förderung von 2
       Millionen Tonnen kommen, gibt sich der Konzern optimistisch. Entdeckt
       worden war dieses Ölfeld 2015. Das ebenfalls von Lukoil betreute Projekt
       D41, wo seit 2019 Öl gefördert wird und das in unmittelbarer Nähe zur
       Kurischen Nehrung liegt, hat gerade einmal 2 Millionen Tonnen Öl. Seit 2004
       beutet Lukoil in der Ostsee Ölfelder aus. Das Öl gilt als besonders
       hochwertig.
       
       74 Meter tief ist das Meer an der Stelle, wo demnächst eine Bohrplattform
       für „D33“ gebaut werden soll. Demnächst sollen eine Pipeline von der
       Plattform zum Festland gelegt und zwei unterirdische Fiberglaskabel verlegt
       werden. Man habe in das Planungsvorhaben alle Ergebnisse zu
       seismologischen, ökologischen und geophysikalischen Gegebenheiten
       einfließen lassen, berichtet die bei der staatlichen Baubehörde
       angesiedelte Gutachtenstelle Glavgosexpertisa. Auch öffentliche Hearings
       zur Abschätzung der Folgen für die Umwelt werden, wie im russischen Gesetz
       vorgesehen, zeitnah durchgeführt.
       
       ## Umweltanforderungen nicht eingehalten
       
       Ob wirklich alles so reibungslos und unter Einhaltung ökologischer
       Standards ablaufen wird, wie Lukoil verspricht, kann bezweifelt werden.
       Anfang Juni beschuldigte die zuständige Umweltaufsicht Rosprirodnadsor den
       Konzern Lukoil, schädliche Gifte in die Luft abgegeben zu haben. Bei einer
       Reihe von Stoffen, so die Behörde, habe der Konzern die Grenzwerte
       überschritten. „Die Anforderungen zur Angabe vollständiger und
       zuverlässiger Informationen zum Schutz der Luft werden nicht eingehalten“,
       zitiert die Plattform kaskad.tv aus dem Schreiben der Behörde an Lukoil.
       
       Die [2][Umweltgruppe Ecodefense] warnt vor dem Projekt. Bei der Planung sei
       die Gefahr möglicher Havarien nicht genügend berücksichtigt worden,
       kritisiert [3][Alexandra Korolewa], Co-Vorsitzende von Ecodefense. Es liege
       kein Plan vor, welche Maßnahmen im Falle einer Havarie zu ergreifen seien.
       Auch die Nähe der Kurischen Nehrung finde in der Planung keine
       Berücksichtigung.
       
       Bezeichnenderweise finden sich in den Papieren des Konzerns zu den
       Umweltfolgen unterschiedliche Angaben zur Entfernung des Ölfelds von der
       Kurischen Nehrung. So heiße es an einer Stelle, diese sei 57 Kilometer vom
       Ölfeld entfernt, an einer anderen Stelle spreche man von 45 Kilometern,
       sagt Vladimir Slivjak, ebenfalls Co-Vorsitzender von Ecodefense.
       
       ## Unzureichende Umweltfolgeeinschätzung
       
       Insgesamt, so Slivjak, enthalte das Dokument zu der Abschätzung der Folgen
       für die Umwelt widersprüchliche und nicht ausreichende Informationen über
       Faktoren wie Windverhältnisse, Fließgeschwindigkeiten oder seismische
       Aktivitäten. Aus dem Dokument gehe hervor, dass Experten gerade einmal vier
       Tage vor Ort die Lage untersucht hätten. Für eine Umweltfolgeeinschätzung
       sei so ein Aufenthalt viel zu kurz, so Slivjak.
       
       2005 hätte die Unesco die Kurische Nehrung beinahe aus der Liste der
       Objekte des Weltkulturerbes gestrichen, berichtet Slivjak. Damals habe das
       für das Weltkulturerbe zuständige Komitee der Unesco Russland mit dem
       Entzug des Status für die Kurische Nehrung gedroht, wenn Russland nicht mit
       seinem Nachbarn Litauen eine Vereinbarung über eine gemeinsame
       Umweltfolgeabschätzung zur Ausbeutung von Öl in dem ebenfalls vor der
       Kurischen Nehrung befindlichen Projekt D6 unterschreibe.
       
       „Vor dem Hintergrund der unzureichenden Einschätzungen der Risiken und
       Folgen des Projekts zur Ölförderung fordern wir Lukoil zur Überarbeitung
       seines Projektplans auf“, erklärte Alexandra Korolewa gegenüber der taz.
       Die Umweltschützer fordern, dass der von Lukoil für die Hearings
       vorgeschlagene Text zur Bewertung der Folgen für die Umwelt der Ölförderung
       auf D33 zurückgezogen wird.
       
       30 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
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