# taz.de -- Missstände in Fleischwirtschaft: Werkverträgen geht es an den Kragen
> Wegen vermehrter Corona-Ausbrüche auf Schlachthöfen hat die Groko ein
> Verbot von Werkvertrags- und Leiharbeit in der Fleischbranche
> beschlossen.
IMG Bild: Die Corona-Ausbrüche in Fleischfabriken erzeugten auch Diskussionen über die Arbeitsbedingungen
Nachdem sich [1][Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen gehäuft haben], will die
Bundesregierung nun die Missstände in der Fleischindustrie angehen. Am
Mittwoch hat das Kabinett einen Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister
Hubertus Heil (SPD) verabschiedet, der die Beschäftigung von Werkvertrags-
und Leiharbeitnehmern in der Branche ab kommendem Jahr grundsätzlich
untersagt. Der Minister sprach nach dem Beschluss von einem „guten Tag für
den Arbeitsschutz“.
Konkret sieht das Gesetz vor, dass künftig in Unternehmen mit einer Größe
an 50 Beschäftigten aufwärts nur noch diejenigen Mitarbeiter Tiere
schlachten und zerlegen dürfen, die fest angestellt sind. Der Einsatz von
Werkvertragsarbeitern soll ab 1. Januar verboten sein, der von
Leiharbeitnehmern ab 1. April 2021.
Zuletzt hatte es vermehrt große Infektionsausbrüche in Schlachtbetrieben
gegeben. Allein bei dem Fleischproduzenten Tönnies in Westfalen hatten sich
im Juni 1.400 Mitarbeiter mit dem Coronavirus infiziert. Die
Massenausbrüche warfen abermals ein Schlaglicht auf die l[2][ange schon
kritisierten Arbeitsbedingungen in den Fleischfabriken]. Viele Beschäftigte
kommen aus Osteuropa und sind nicht fest angestellt, oft müssen sie in
unwürdigen Unterkünften hausen.
Auch hier will Heil ansetzen. So sieht sein Gesetzentwurf
Mindestanforderungen für die Unterbringung von Beschäftigten in
Gemeinschaftsunterkünften vor, die auch außerhalb des Geländes eines
Unternehmens gelten sollen. Diese sind branchenübergreifend geplant.
„Niemand soll in verschimmelten oder überbelegten Zimmern leben müssen“,
sagte der Minister.
## „Historische“ Neuregelung
Darüber hinaus soll die Zahlung des Mindestlohns besser überprüft werden
können. Das Gesetz beinhaltet eine Pflicht zur digitalen
Arbeitszeiterfassung in der Fleischindustrie. Der entsprechende Rahmen für
Bußgelder wird von 15.000 Euro auf 30.000 Euro verdoppelt. Generell soll es
mehr Kontrollen geben.
Vertreter der Fleischindustrie kritisierten den Beschluss erwartungsgemäß.
So kündigte Otto Ripke vom Zentralverband der Geflügelwirtschaft eine
„sorgfältige juristische Prüfung“ an. „Was da beschlossen wurde, darf
wirklich nicht wahr sein“, sagte er. Die Regierung setze die
Fleischproduktion in Deutschland aufs Spiel.
Branchenvertreter befürchten zudem, dass das Gesetz Fleischprodukte teurer
machen könnte. Arbeitsminister Heil wies diese Einwände als „Ammenmärchen“
zurück. „Anständige Arbeitsbedingungen an sich verteuern das Fleisch
nicht“, erklärte der Minister.
Lob kam dagegen von der Arbeitnehmerseite. Die Gewerkschaft
Nahrung-Genuss-Gaststätten nannte die Neuregelung „historisch“.
Gewerkschaftsvize Freddy Adjan forderte „in einem zweiten Schritt“
bundesweite Tarifverträge für die Branche.
## Die Besserung kommt erst in fünf Jahren
Auch die Oppositionsparteien im Bundestag lobten Heils Entwurf
grundsätzlich. So sprachen die Grünen-Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke und
Friedrich Ostendorff in einer gemeinsamen Erklärung von einem „nötigen und
wichtigen Schritt“. Gleichzeitig betonten sie, dass der Entwurf „auf keinen
Fall durch Lobby-Einfluss verwässert werden“ dürfe.
Jutta Krellmann von der Linken begrüßte den Beschluss zwar, kritisierte
aber, dass eine Kontrollquote erst ab 2026 vorgesehen ist: „Fünf Jahre
ändert sich nichts.“ Johannes Vogel von der FDP mahnte ebenfalls
Nachbesserung bei den Kontrollen an. Damit das Gesetz in Kraft treten kann,
müssen Bundestag und Bundesrat noch zustimmen.
29 Jul 2020
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## AUTOREN
DIR Daniel Godeck
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