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       # taz.de -- Debatte um illegale Partys geht weiter: Lasst sie doch auch feiern!
       
       > Die illegalen Partys in der Hasenheide sorgen für Negativschlagzeilen und
       > Unmut. Aber ist die Kritik gerechtfertigt? Ein Wochenkommentar.
       
   IMG Bild: Das Problem des Partymachens ohne Abstand etc. gibt es nicht nur in den Parks; ein Bild aus Mitte
       
       Dass „die Alten“ das Verhalten „der Jugend“ als albern, selbstsüchtig,
       laut, vulgär, ignorant, unziemlich etc. brandmarken, ist eine seit
       Jahrhunderten gepflegte Umgangsform zwischen den Generationen. Da erstaunt
       es nicht, dass nach einer erneuten illegalen Open-Air-Party in der
       Hasenheide Samstagnacht mit mehreren Tausend Teilnehmenden das Urteil der
       älteren Menschen in der Presse und den sozialen Medien einhellig ausfiel:
       „Unverantwortlich“ sei die Missachtung der Corona-Abstands- und
       Hygieneregeln, so [1][das Echo auf die Technobässe im Park]. Und vor dem
       Hintergrund der anhaltenden (und sich derzeit eventuell sogar wieder
       ausweitenden) Coronapandemie scheint die Ethik auf ihrer Seite.
       
       Tatsächlich sind die unisono verfassten Breitseiten und moralinsauren
       Tweets ein Zeichen dafür, dass die Komplexität der Coronakrise und ihrer
       Folgen für eine Großstadt wie Berlin nicht in Gänze begriffen wurde. Für
       einige Wochen und auch ein paar Monate war das Diktum des Verbots –
       zugespitzt unter dem Motto „Wir bleiben zu Hause“ – richtig und
       durchsetzbar.
       
       Doch nach dieser ersten Coronaphase und im Hinblick auf eine auch zeitlich
       völlig unklare Entwicklung ist die Fragestellung längst anders: Was ist
       möglich? Was kann ausprobiert werden? Wo reagiert die Politik zu hart?
       Darauf weisen auch unzählige Gerichtsentscheidungen hin – etwa, als das
       Verwaltungsgericht vor zehn Tagen das generelle Verbot von erotischen
       Massagen und die Schließung von BDSM-Studios in Berlin kippte.
       
       Wer als junger Mensch in einer Großstadt lebt, tut das nicht, um möglichst
       schnell am Freitagnachmittag Richtung Wochenendhäuschen in die Uckermark zu
       verschwinden – nur mal als Beispiel –, sondern unter anderem, weil hier,
       wie man früher sagte, das Leben tobt.
       
       ## Wo sollen die Menschen denn hin?
       
       Berlin hat sich da in den vergangenen beiden Jahrzehnten auf private
       Unternehmer und Clubbetreiber verlassen und diese sogar weltweit beworben.
       Vom Land finanzierte Jugendclubs hingegen wurden geschlossen, Brachen
       bebaut, der verfügbare öffentliche Raum immer weniger. Und wer jetzt weiter
       eine Bebauung des Tempelhofer Feldes fordert, ignoriert diesen Bedarf der
       Menschen in der Innenstadt an luftigem Freiraum. Berlin besteht eben nicht
       nur aus Backsteinen und Beton. Wo sollen denn die Menschen – übrigens nicht
       nur die jungen – noch hin, wenn nicht in die wenigen, aufgrund zunehmender
       Bevölkerung meist übernutzten Parks?
       
       Der Politik ist dieser Mangel an Partyflächen sehr wohl bewusst, wie
       [2][eine Initiative der BezirksbürgermeisterInnen von Pankow, Lichtenberg
       und Marzahn-Hellersdorf] von Anfang Juni beweist. Sie forderten,
       öffentliche Flächen unbürokratisch für Kultur und Feten bereitzustellen.
       Passiert ist bisher wenig. Und so wird halt gefeiert, wo es geht. Andere
       fliegen freiwillig in Urlaub in offizielle Risikogebiete, mindestens
       toleriert von der Politik. Wo ist da der Unterschied?
       
       Ganz abgesehen davon, dass die Polizei selbst eingesteht, die vielfältige
       Open-Air-Feierei gar nicht kontrollieren zu können. Schließlich kommt auch
       die Empirie den Frischluftfeiernden entgegen: Bisher ist aus keinem der
       prognostizierten Berliner „Ischgls“ ein solches geworden: Weder der 1. Mai
       in Kreuzberg noch die unsägliche Bootsparty auf dem Landwehrkanal, noch die
       große Black-Lives-Matter-Demo am Alex entwickelten sich zu
       Superspreader-Events. Wir sollten statt zu zetern also lieber den
       Restsommer nutzen, um draußen zu sein, zu leben, das Leben toben zu lassen.
       Herbst und Winter dürften wegen Corona noch trister werden als sonst in
       Berlin.
       
       1 Aug 2020
       
       ## LINKS
       
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