URI: 
       # taz.de -- Frieden in Afghanistan: Dämpfer statt Durchbruch
       
       > Während des islamischen Opferfestes gilt ein Waffenstillstand. Noch hält
       > er. Aber es gibt Kontroversen über einen Gefangenenaustausch.
       
   IMG Bild: Friedenshoffnung: US-Unterhändler Zalmay Khalilzad und Taliban-Verhandler Abdul Ghani Baradar
       
       Berlin taz | In Afghanistan gehen die Menschen während des dreitägigen
       islamischen Opferfests Id al-Azha wieder einmal durch ein Wechselbad der
       Gefühle. Bei der Suche nach einer Verhandlungslösung für den Krieg gab es
       in den beiden vergangenen Tagen zunächst Hoffnung auf einen Durchbruch. Es
       schien, dass in der kommenden Woche [1][direkte Friedensgespräche] zwischen
       der afghanischen Regierung und den aufständischen Taliban beginnen könnten.
       
       Dann kam die kalte Dusche. In einer am Freitag früh veröffentlichten
       Feiertagsbotschaft an die Bevölkerung erklärte Präsident Aschraf Ghani,
       dass er die Freilassung weiterer 500 Taliban-Kämpfer angeordnete habe.
       Damit erfüllt er formal die Verpflichtung, für den Beginn von
       Friedensgesprächen insgesamt 5.000 Aufständische aus der Haft zu befreien.
       
       Diese Verpflichtung war die US-Regierung in ihrem Abkommen mit den Taliban
       vom Februar in seinem Namen eingegangen. Die Ghani-Regierung war an diesem
       Abkommen nicht direkt beteiligt, aber konsultiert worden.
       
       [2][Die Taliban] sollten im Gegenzug 1.000 gefangene Soldaten, Polizisten
       und Angestellte der Regierung freilassen. Sie ließen am Donnerstag
       verlauten, dass sie weitere 82 Gefangene nach Hause geschickt hätten, damit
       sie eine Gesamtzahl von 1.005 erreicht und ihre Verpflichtung eingehalten
       hätten.
       
       ## Zum Tode verurteilt
       
       Der Haken: Die Taliban hatten Kabul eine Namensliste derjenigen Gefangenen
       zukommen lassen, deren Freilassung sie verlangen. Darunter waren 597
       Personen, die wegen Verbrechen wie Mord oder Anschlägen verurteilt worden
       waren, einige davon zum Tode.
       
       Zu Letzteren gehören etwa Anas Haqqani, Bruder des Chefs eines wichtigen
       Taliban-Netzwerkes und einer der wichtigsten Finanzbeschaffer der
       Organisation, sowie ein gewisser Lailullah, der den Anschlag im Mai 2017 in
       der Nähe der deutschen Botschaft in Kabul organisiert haben soll. Dabei
       tötete eine Lkw-Bombe bis zu 200 Afghanen.
       
       Die genaue Zahl der Opfer wurde nie bekannt, da die Wucht der Explosion so
       stark war, dass etwa vom Wachpersonal vor der Botschaft keinerlei Überreste
       mehr gefunden werden konnten und vor allem Passanten betroffen waren.
       
       Deutsche Opfer soll es nicht gegeben haben, aber die zu diesem Zeitpunkt
       nicht mehr genutzte Botschaftskanzlei, ein dreistöckiger Block, wurde
       zerstört.
       
       ## Loja Dschirga soll entscheiden
       
       Eine mögliche Freilassung der 597 stieß in Teilen der afghanischen
       Öffentlichkeit auf Ablehnung. Kabul wurde in dieser Haltung auch von
       europäischen Regierungen unterstützt. Nun kündigte Ghani an, über das
       Schicksal der Gruppe solle eine Loja Dschirga befinden, eine Zusammenkunft
       von Führern der ethnischen, sozialen und politischen Gruppen des Landes.
       
       Dies zu organisieren könnte Monate dauern und, wenn die Taliban auf ihrer
       Namensliste beharren, den Beginn von Gesprächen verzögern. Die Regierung
       hält afghanischen Menschenrechtlern zufolge 10.000 bis 15.000 Taliban fest.
       Die Zahl der Gefangenen in den Händen der Aufständischen ist nicht bekannt.
       
       ## Khalilzad besucht Pakistan und Kabul
       
       Hoffnung gab es, da seit Freitag in Afghanistan wieder die Waffen
       schweigen. Mitte der Woche hatten Regierung und Taliban jeweils eine
       dreitägige Waffenruhe über das Opferfest angeordnet. Am Vorabend detonierte
       in Pul-e Alam, Hauptstadt der Provinz Logar, eine Autobombe. Mindestens 18
       Menschen, darunter 8 Zivilist:innen, sollen getötet und 22 verletzt worden
       sein. Die Taliban dementierten noch am Donnerstag eine Urheberschaft.
       
       Bereits Mitte Juli hatte Washington bekannt gegeben, die Verpflichtung aus
       der Vereinbarung mit den Taliban erfüllt und die US-Truppen in Afghanistan
       auf 8.600 reduziert zu haben. Die Waffenruhe geht offenbar auf neue
       Aktivitäten von US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad zurück, der in den
       letzten Tagen unter anderem Kabul und Pakistan besuchte.
       
       31 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Krieg-und-Terror-in-Afghanistan/!5683368
   DIR [2] /Friedensprozess-in-Afghanistan/!5677826
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Ruttig
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Taliban
   DIR Aschraf Ghani
   DIR Frieden und Krieg
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
   DIR Schwerpunkt Afghanistan
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Krieg und Terror in Afghanistan: Chance auf Frieden vertan
       
       In Afghanistan eskaliert der Krieg. Mit dem Angriff auf die Geburtsstation
       eines Krankenhauses hat er einen weiteren moralischen Tiefpunkt erreicht.
       
   DIR Friedensprozess in Afghanistan: Taliban brechen Gespräche ab
       
       In Afghanistan eskaliert das Gezerre um die Freilassung von Gefangenen. Dem
       Friedensprozess mit den Taliban droht der Kollaps.
       
   DIR US-Außenpolitik in Afghanistan: Den Taliban das Land serviert
       
       Lange taten die USA so, als könne man eine Demokratie mit Warlords
       aufbauen. Jetzt geht Afghanistan an die Taliban.
       
   DIR Afghanistans desolate Politik: Ein Machtkampf, zwei Präsidenten
       
       Auch Monate nach der Wahl ist nicht klar, wer Kabul regieren soll. Die
       langjährigen Rivalen Ghani und Abdullah lassen sich zeitgleich vereidigen.
       
   DIR Vertrag zwischen USA und Taliban: Ein Schritt in Richtung Frieden
       
       Die USA reduzieren Truppen, die Taliban wollen sich von Islamisten
       distanzieren: Das Doha-Abkommen ist ein Hoffnungsschimmer nach 40 Jahren
       Krieg.