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       # taz.de -- Polen wagt den Ausstieg: PiS plant Abschied von der Kohle
       
       > Polens Kohleförderung war der nationalpopulistischen Regierung in
       > Warschau fast heilig. Jetzt sieht sie ein, dass die Ära der Bergleute
       > vorbei ist.
       
   IMG Bild: Ein sauberes Hemd für diesen Bergmann hängt unter der Decke des Umkleideraums der Wieczorek-Mine
       
       Warschau taz | Brennende Reifen vor dem polnischen Regierungssitz in
       Warschau, wütende Kohlekumpel aus Oberschlesien, die auf ihrem
       Demonstrationsmarsch auch schon mal Schaufenster einwerfen, mit
       Straßenschildern um sich schlagen und am Ende ein Schlachtfeld der
       Zerstörung hinterlassen – diese Bilder liegen viele Jahre zurück. Dennoch
       bekommen auch heute noch Regierungspolitiker in Warschau Panikattacken,
       wenn sie nur daran zurückdenken.
       
       So gelang es Polens Bergleuten über Jahre, jede tiefgreifende Reform oder
       den Rückbau des Steinkohlereviers rund um Katowice zu verhindern. Die
       nationalpopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), [1][die seit
       Ende 2015 die Regierung stellt], versprach den Bergleuten immer wieder,
       deren noch aus kommunistischen Zeiten stammende Privilegien nicht
       anzurühren.
       
       Doch in der vergangenen Woche kündigte Polens Schatzminister, der für alle
       Staatsunternehmen zuständig ist, die Schließung von vier defizitären
       Steinkohlegruben an. Zudem sickerte durch, dass die PiS offenbar einen
       Geheimplan entwickelt hat: den Ausstieg aus der Stein- und auch aus der
       Braunkohle bis 2036.
       
       Doch in Katowice erlitt Minister Jacek Sasin eine krachende Niederlage, als
       er versuchte, den Kohle-Gewerkschaftern den Plan für die Restrukturierung
       der oberschlesischen Kohleregion auch nur vorzustellen. Völlig inakzeptabel
       fanden die Bergleute, dass ihr Lohn um 30 Prozent gekürzt werden sollte, um
       Polens Kohle wieder konkurrenzfähig zu machen.
       
       ## Polens Steinkohlebergbau lohnt sich nicht mehr
       
       Kleinlaut kam dann aus dem Warschauer Ministerium das Dementi: Es gebe gar
       keinen Restrukturierungsplan und erst recht keinen Kohleausstiegsplan bis
       2036. Das seien Fake News, die Polens Fachjournalisten für Energiefragen
       produziert hätten. Eine Kohlekommission aus Regierungspolitikern,
       Abgeordneten und Gewerkschaftern soll nun einen (neuen)
       Restrukturierungsplan ausarbeiten.
       
       Denn das Problem bleibt: Polens Steinkohlebergbau lohnt sich nicht mehr.
       Die immer kleineren Flöze liegen tiefer und tiefer im Gestein, müssen
       aufwendig gegen Gasexplosionen gesichert werden, und die unter so schweren
       Bedingungen geförderte Kohle hat nicht mehr die Qualität, die etwa die
       Stahlkocher für ihre Hochöfen benötigen. So landen Millionen Tonnen
       polnischer Steinkohle auf riesigen Halden, während Polens Händler billigere
       und bessere Steinkohle aus Russland, den USA, Kolumbien, Australien und
       Kasachstan importieren.
       
       Dass das Klimaziel der EU vorsieht, bis 2050 eine EU-weite Klimaneutralität
       zu erreichen, kümmerte die PiS bislang nicht groß. Doch immer mehr Polen
       ist die eigene Gesundheit wichtiger als das „schwarze Gold“ und die
       polnische Bergmannstradition, die ja auch eine Kehrseite hat: den dicken
       Smog im Winter. [2][Viele der dreckigsten Städte Europas liegen in Polen.]
       Jährlich sterben rund 40.000 Polen und Polinnen vorzeitig an
       Atemwegserkrankungen, die auf Smog zurückgehen.
       
       Umfragen zufolge will die Mehrheit der Befragten den Kohleausstieg. Doch er
       sollte sozial verträglich für die Bergleute sein. Selbst bei den
       Unter-Tage-Arbeitenden setzt ein langsames Umdenken ein. Dass die Zukunft
       bei den erneuerbaren Energien liegt, ist mehr und mehr Kohlekumpeln klar,
       nur wollen sie selbst nicht zu den Verlierern der Umstrukturierung werden.
       Am meisten zu verlieren haben die Kohle-Gewerkschafter, deren Position und
       Einkommen stark davon abhängig sind, wie viele Bergleute sie vertreten. Sie
       wehren sich daher besonders vehement gegen einen Rückbau.
       
       ## Die PiS hatte etwas anderes versprochen
       
       Von einer Schließung der defizitären Kohlegruben Ruda (Bielszowice,
       Halemba, Pokój) und Wujek – sie haben seit 2010 rund 2,5 Milliarden Złoty
       (etwa 600 Millionen Euro) Miese eingefahren – wären rund 8.000 Bergleute
       betroffen.
       
       Nach dem vom Ministerium nicht bestätigten Plan hätten die Bergleute selbst
       entscheiden können, ob sie mit einer Abfindung in Höhe von 100.000 Złoty
       (rund 22.650 Euro) die Arbeit quittieren und eine Umschulung beginnen oder
       aber auf rund 30 Prozent ihres Einkommens sowie in den nächsten drei Jahren
       auf das 14. Monatsgehalt verzichten wollen. Dafür sollte es einen
       Sozialfonds in Höhe von umgerechnet rund 340 Millionen Euro geben.
       
       Allerdings hatte die PiS den oberschlesischen Kohlekumpeln [3][vor den
       Präsidentschaftswahlen Ende Juni] „sichere Arbeitsplätze“ versprochen,
       sodass die Gewerkschaft Solidarność offen für den PiS-Kandidaten Andrzej
       Duda geworben hatte. Kein Wunder, dass sie sich jetzt betrogen fühlt, von
       einem „Blitzkrieg“ der PiS-Regierung spricht und als Antwort darauf einen
       Massenarbeitskampf der oberschlesischen Bergleute auf den Straßen von
       Katowice ankündigt.
       
       Minister Sasin, der von dem einstigen Plan nichts mehr wissen will,
       versichert, dass die PiS-Regierung nicht auf protestierende Kohlekumpel
       schießen werde, wie es die Vorgängerregierung getan habe. Tatsächlich hatte
       2015 die polnische Polizei bei gewalttätigen Ausschreitungen Wasserwerfer
       und Gummigeschosse eingesetzt, um die Situation unter Kontrolle zu
       bekommen.
       
       ## Kommen nun die Erneuerbaren oder AKWs?
       
       Für die PiS gibt es keinen besseren Moment für eine tiefgreifende
       Restrukturierung des defizitären Kohlebergbaus. Denn die nächsten Wahlen
       sind erst in drei Jahren. Bis dahin könnten sich bereits erste positive
       Folgen des allmählichen Kohleausstiegs bemerkbar machen. Das weiß die PiS
       natürlich. Und so arbeitet die Regierung bereits intensiv an der
       Aktualisierung des Zukunftsplans „Energiepolitik Polens bis 2040“, der
       einige Überraschungen enthalten könnte.
       
       Denn zu klären ist, wann die PiS den Kohleausstieg abschließen will, ob es
       beim Einstieg in die Atomenergie bleiben soll und wie die erneuerbaren
       Energien, die die PiS bislang stark eingeschränkt hatte, doch wieder
       gefördert werden sollen.
       
       3 Aug 2020
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Gabriele Lesser
       
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