URI: 
       # taz.de -- Ruf nach Demonstrationsverboten: Keine falschen Reflexe
       
       > In der CDU wird gefordert, Demonstrationen wie die vom Samstag zu
       > verbieten. Das wäre falsch, aber Auflagen müssen rigide durchgesetzt
       > werden.
       
   IMG Bild: Würden die drei Protestierenden zum schwarzen Block gehören, würde die Polizei brutal durchgreifen
       
       Kein Zweifel, der Auflauf der Corona-Kreuz- und Querdenker:innen, die am
       Samstag in Berlin gegen die Vernunft demonstriert haben, war [1][ein
       verstörendes Ereignis]. Die Distanzlosigkeit, mit der dort mehrere
       Zehntausend vermeintlich Friedensbewegte, Alternativniks, Techno-Fans,
       Impfgegner:innen, Esoteriker:innen, Verschwörungsideolog:innen und
       stramme Neonazis Seit an Seit marschiert sind, ist gleich in mehrfacher
       Hinsicht erschreckend. Aber das darf nicht zu falschen Reflexen führen. So
       ein falscher Reflex ist, wenn jetzt aus Unionskreisen Stimmen laut werden,
       Demonstrationen wie die am Wochenende mit strikteren Auflagen zu versehen
       oder einfach ganz zu verbieten.
       
       Die Demonstrationsfreiheit ist ein Grundrecht, das unter allen Umständen zu
       verteidigen ist. Dass es am Anfang der Pandemie für mehrere Wochen in der
       Bundesrepublik weitgehend ausgesetzt war, hatte zwar nachvollziehbare
       Gründe, war jedoch trotzdem höchst problematisch. Es ist gut und wichtig,
       dass Menschen jetzt wieder demonstrieren können – auch wenn das, wofür sie
       demonstrieren, noch so abseitig sein mag.
       
       Ein Messen mit zweierlei Maß darf es da nicht geben. Das gilt auch für die
       Corona-Kreuz- und Querdenker:innen, obwohl deren Ziele objektiv eine
       Gefährdung der Bevölkerung bedeuten. Ein Verbot ihrer Veranstaltungen hätte
       nur den Effekt, dass sie sich in ihrem Wahn, die Grundrechte in Deutschland
       seien nicht mehr in Kraft, bestätigt sehen würden.
       
       Trotzdem war das, was sich in Berlin abgespielt hat, ein eklatantes
       Versagen der Polizei, für das der Berliner Innensenator Andreas Geisel die
       politische Verantwortung trägt. Denn so falsch es gewesen wäre, die
       Demonstration im Vorfeld zu verbieten, hätte sie trotzdem nie und nimmer
       starten dürfen. Die von Anfang an demonstrative Missachtung der Auflagen,
       also konkret der Abstandsregeln und des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes,
       hätte nicht einfach hingenommen werden dürfen. Die Nichtdurchsetzung des
       Infektionsschutzes hat einen bedenklichen Präzedenzfall geschaffen.
       
       ## Weniger gefährlich als Gottesdienste
       
       Wie auch bei anderen Demos kann und darf selbstverständlich auch bei dem
       absurden Event der Corona-Kreuz- und Querdenker:innen darüber diskutiert
       werden, [2][ob die verhängten Auflagen notwendig waren]. Der Hinweis ist
       durchaus berechtigt, dass die Ansteckungsgefahr im Freien weitaus niedriger
       ist als in geschlossenen Räumen, also somit eine Kundgebung auf der Straße
       des 17. Juni in Berlin potenziell wesentlich weniger gefährlich ist als ein
       Gottesdienst im Kölner Dom.
       
       Allerdings taugt das nur zur Begründung, bei Gottesdiensten auf die strikte
       Einhaltung der Hygieneregeln zu achten. Umgekehrt rechtfertigt das aber
       noch nicht den Verzicht auf entsprechende Auflagen bei einer
       Außenveranstaltung. Denn eine Gefahr lässt sich gleichwohl auch hier nicht
       leugnen – wobei das größte Problem die An- und Abreise ohne jegliche
       Schutzvorkehrungen in Bussen und Bahnen sein dürfte.
       
       Das heißt übrigens noch nicht, dass die Versammlung der
       Corona-Leugner:innen und -Relativierer:innen tatsächlich ein
       „Superspreader“-Event gewesen ist. Selbst wenn nicht nur 20.000, sondern
       tatsächlich die herbeifantasierten 1,3 Millionen gekommen wären, wäre das
       nur dann problematisch, wenn sich darunter infektiöse Teilnehmer:innen
       befinden. Doch das weiß man nicht. Aber es besteht die Möglichkeit. Genau
       deshalb hätten sie sich an die Auflagen halten müssen.
       
       Mögen einem die verkündeten Auflagen auch nicht passen: Es geht auf keinen
       Fall, sie einfach nicht zu beachten. Wenn Demoorganisator:innen mit einem
       Auflagenbescheid nicht einverstanden sind, können sie dagegen gerichtlich
       Widerspruch einlegen. So ist das zum Glück in einem Rechtsstaat. Wenn
       jedoch stattdessen bewusst und kollektiv Auflagen ignoriert werden, dann
       darf das die Polizei nicht einfach dulden. Von daher geht die Forderung aus
       der Union nach strikteren Auflagen daneben. Es hätte schon ausgereicht,
       wenn die Beamt:innen einfach auf die Einhaltung der bereits bestehenden
       ausreichend geachtet hätten.
       
       ## Vermummungsverbot versus Vermummungsgebot
       
       Auch hier gilt: Es darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Wer schon
       einmal erlebt hat, wie eine Antifademo stundenlang nicht loslaufen durfte,
       bis auch noch die letzten Heinis im schwarzen Block ihre Sonnenbrillen
       abgesetzt hatten, der kann den fahrlässigen Umgang mit dem
       Anti-Corona-Aufzug nicht nachvollziehen.
       
       Die Konsequenz, mit der die Polizei – bisweilen unangemessen brachial –
       Vermummungsverbote durchsetzt, steht in einem bemerkenswerten Kontrast zu
       ihrem fehlenden Engagement, dem Vermummungsgebot zum Schutz der Gesundheit
       der Bevölkerung Geltung zu verschaffen. Um zu erkennen, dass die Berliner
       Polizei auch anders kann, bedarf es nur eines Blicks auf die [3][Jagdszenen
       am Samstagabend in Neukölln]. Aber da ging es ja gegen die böse
       Autonomenszene – und nicht gegen unverantwortliche
       Gesundheitsgefährder:innen verschiedenster Schattierungen bis ins
       Tiefbraune.
       
       3 Aug 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Coronaproteste-in-Berlin/!5705179
   DIR [2] /Ueberpruefung-von-Corona-Massnahmen/!5699882
   DIR [3] /Demo-fuer-linkes-Projekt-in-Berlin/!5699847
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pascal Beucker
       
       ## TAGS
       
   DIR Polizei Berlin
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR CDU
   DIR Verschwörungsmythen und Corona
   DIR Schwerpunkt Grundgesetz
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Polizei Berlin
   DIR Verschwörungsmythen und Corona
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Mund-Nasen-Schutz auf Demos: Vermummung auf Widerruf
       
       Auf Kundgebungen sind Masken gegen Corona nicht mehr vorgeschrieben. Doch
       was, wenn sie jemand von sich aus trägt: Ist das erlaubt?
       
   DIR Senator über rechten Terror in Berlin: „Dieses Versäumnis ist ein Problem“
       
       Bei der Untersuchung der rechten Terrorserie in Neukölln gab es Fehler,
       sagt Berlins Innensenator Geisel (SPD). Er wird Sonderermittler einsetzen.
       
   DIR Reichsbürger auf Corona-Demos: Sie meinen es ernst
       
       Bei den Demos gegen Coronamaßnahmen ist eine Reichsbürgergruppe aus
       Süddeutschland besonders aktiv. Sie will weitere Unterstützer ködern.
       
   DIR Zugfahren in der Coronakrise: Grüne pochen auf Maskenpflicht
       
       Der Bahnexperte von den Grünen fordert den Einsatz der Bundespolizei, um
       Masken in Zügen durchzusetzen. Bei Verstößen soll es ein Bußgeld geben.
       
   DIR Proteste gegen Corona-Maßnahmen: Gefährlich ist die Anreise
       
       Wenn Demonstrationen im Freien stattfinden, ist das Infektionsrisiko dort
       eher gering. Problematisch sind die Forderungen der TeilnehmerInnen.
       
   DIR Überprüfung von Corona-Maßnahmen: Keine Zahlen vom Ministerium
       
       War es angemessen, die Reisefreiheit drei Monate lang drastisch
       einzuschränken? Die Bundesregierung hat wohl nie versucht, das
       herauszufinden.