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       # taz.de -- Vorurteile gegen trans Männer: Beim sogenannten Frauenarzt
       
       > Der Besuch bei Gynäkolog:innen kann für trans Männer schwierig sein. Gerd
       > Jansen, Gynäkologe in Oberbayern, möchte das ändern.
       
   IMG Bild: „Ich habe bei der Untersuchung gleich angefangen zu weinen“, sagt trans Mann Julian Bauer
       
       „Ängstlich und panisch war ich“, erzählt Julian Bauer, 26 Jahre alt, als er
       über seinen Termin beim Gynäkologen spricht. Julian ist trans und lebt im
       bayerischen Schweinfurt. Lange Zeit wollte er den Besuch einer
       gynäkologischen Praxis vermeiden. Während seiner Transition, bevor er mit
       seiner Hormonbehandlung anfangen konnte, musste er aber einen
       Untersuchungstermin ausmachen. Eine Routineuntersuchung, in der die
       Funktion der Organe und Eierstöcke überprüft wird. Er ging in eine Praxis
       in der Universitätsklinik, in der er auch während seiner Transition
       behandelt wurde. „Ich habe bei der Untersuchung gleich angefangen zu
       weinen.“
       
       Der Gang zum Gynäkologen oder zur Gynäkologin ist für die meisten Frauen
       Routine, trans Männer stellt eine Untersuchung häufig vor große Probleme –
       ein Termin beim sogenannten Frauenarzt bricht schließlich mit der
       Wahrnehmung der eigenen Geschlechtszugehörigkeit. Allein im Wartezimmer
       Platz zu nehmen, kann unangenehme Blicke hervorrufen. Mitarbeiter:innen in
       den Praxen und andere Patient:innen reagieren oft verwundert oder stellen
       belastende, persönliche Fragen. Während es in größeren Städten oft eine
       Auswahl an Praxen gibt, die Erfahrungen mit der Behandlung von trans
       Personen haben, fehlt diese in vielen Regionen Deutschlands.
       
       Julian informierte sich vor dem Termin über die Behandlung. Er wusste, dass
       ein Ultraschall bevorstand und dass die Aufnahme, bei voller Blase, über
       die Bauchdecke möglich ist. „Ich habe vor meinem Termin so viel Wasser wie
       möglich getrunken“, erzählt er. Der Arzt verlangte dennoch, dass er sich
       auf den Gynäkologiestuhl setzte und die Beine spreizte: „Ich stand unter
       Schock, ich konnte nichts dagegen sagen.“ Danach untersuchte der Arzt ihn
       ohne weitere Rücksicht mit einer Ultraschallsonde durch die Vagina. Die
       Untersuchung habe das Verhältnis zu seinem Körper, das ohnehin nicht gut
       war, langfristig verändert: „In diesem Moment wurde mir klar, dass meine
       Geschlechtsorgane wirklich nicht zu mir gehören.“
       
       Gerd Jansen ist niedergelassener Gynäkologe und Sexualmediziner im
       oberbayerischen Olching. Sexualmedizin interessierte ihn seit er mit 16
       Jahren Texte des amerikanischen Sexualforschers Alfred Charles Kinsey
       gelesen hatte. Trans Personen behandelt er schon lange: „Das Problem ist,
       dass viele Gynäkolog:innen und ihr Praxispersonal verunsichert sind, wenn
       ein Mann zur Behandlung kommt“, sagt er beim Videointerview mit der taz.
       Die Unsicherheit drücke sich in Blicken und Worten aus, das Personal wisse
       außerdem nicht, wie es die Personen ansprechen soll. „Viele trans Männer
       haben deshalb Angst, in eine gynäkologische Praxis zu gehen.“
       
       ## Menschenverachtendes Gesetz
       
       In Deutschland ist es seit 2011 möglich, Namen und Personenstand ohne
       körperliche Anpassungen zu ändern. Davor war es laut Gesetz nur dann
       möglich, die Geschlechtszugehörigkeit rechtlich ändern zu lassen, wenn
       trans Personen dauerhaft fortpflanzungsunfähig waren, sich einer operativen
       Angleichung unterzogen hatten und nicht verheiratet waren. Das Gesetz wurde
       [1][seit Inkrafttreten immer wieder als menschenverachtend kritisiert],
       2008 und 2011 wurden diese Vorgaben dann durch [2][Entscheidungen des
       Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt].
       
       Dennoch können erst seit 2017 Behandlungen wie Mammografien unabhängig von
       der personenstandsrechtlichen Geschlechtszuordnung – ausgehend vom
       organbezogenen Befund – bei der Krankenkasse abgerechnet werden. Erst seit
       Juli 2019 ist es möglich, die Behandlungen von trans und inter Personen
       ganz normal über die Krankenkasse abzurechnen. Seither sollten trans Männer
       eigentlich ohne Probleme zu einer gynäkologischen Praxis gehen können, um
       eine Mammografie, einen Gebärmutterhalsabstrich oder eine Untersuchung
       machen zu lassen.
       
       Julian musste nach der Ultraschallbehandlung noch ein letztes Mal vor
       seiner Mastektomie, also der Entfernung der Brust, zum Gynäkologen. Seine
       Brust musste noch einmal untersucht werden. „Ich hatte zu diesem Zeitpunkt
       bereits einen Bart und saß zwischen all den Frauen im Wartezimmer“, erzählt
       er. „Alle waren verwirrt und haben mich angestarrt, weil ich ohne weibliche
       Begleitung da war.“ Bei der Untersuchung habe der Arzt mit einem Kollegen
       dann ohne Rücksicht an seiner Brust, die bald entfernt werden sollte,
       herumgetastet: „Er war überhaupt nicht sensibel im Umgang mit mir.“
       
       In Gerd Jansens Praxis läuft das anders ab. Hier werden trans Personen von
       seinen Mitarbeiter:innen, unabhängig vom Personenstand, immer gefragt, wie
       sie angesprochen werden möchten. „Wenn die Namensänderung noch nicht durch
       ist, vermerken wir uns trotzdem den richtigen Namen des Patienten“, sagt
       er. Die Untersuchung unterscheide sich, je nachdem wie weit die zu
       behandelnde Person in ihrer Transition sei. Viele Ärzt:innen, die
       geschlechtsangleichende Operationen durchführen, seien dankbar, wenn trans
       Personen nach den Operationen zur Untersuchung in eine gynäkologische
       Praxis gehen. Jansen versuche in seiner Praxis emphatisch und so
       rücksichtsvoll wie möglich zu sein: „Ich spreche alles offen an und bin
       vorsichtig bei der Untersuchung.“
       
       Jansen arbeitet nicht nur als Gynäkologe, sondern auch als Referent für die
       Basisausbildung Sexualmedizin des Berufsverband für Frauenärzte. Seit neun
       Jahren hält er Seminare, in denen das Thema Transidentität mit auf dem
       Programm steht. In dieser Zeit wurden in den freiwilligen Fortbildungen
       bereits mehr als 1.000 Gynäkolog:innen ausgebildet. In Gesprächen merke er
       dabei immer wieder, wie unsicher Ärzt:innen beim Thema Transidentität sind.
       Dabei sei es so wichtig, dass sie keine Berührungsängste mit Patient:innen
       mit besonderen Bedürfnissen haben.
       
       „Wir behandeln das Thema deshalb nicht nur theoretisch, sondern machen auch
       Rollenspiele“, sagt er. So proben sie den richtigen Umgang mit der
       Patient:innengruppe. Die nachgespielten Situationen basieren dabei immer
       auf Erfahrungen mit realen Patient:innen. „Die Stigmatisierung von trans
       Menschen ist furchtbar, es ist wichtig, dass sich das ändert.“ Manche trans
       Männer wollen sich dennoch nicht ohne weiteres untersuchen lassen. Jansen
       versteht das: „Es ist wichtig, dass man Rücksicht auf die Bedürfnisse der
       Person nimmt.“
       
       Verständnis und Empathie hätten sicher auch Julian damals bei seinen
       gynäkologischen Behandlung geholfen: „Der Arzt wusste, dass ich trans bin,
       war gar nicht vorsichtig und fragte nicht mal nach, wieso ich während der
       Untersuchung anfing zu weinen.“ Gerd Jansen weiß, dass sich noch viel
       ändern muss, um die Stigmatisierung und Ausgrenzung von trans Menschen zu
       beenden. Seminare, die das Thema offen behandeln, sollen Vorurteile und
       Ängste abbauen und letztlich helfen, den Menschen zu dienen. „Es ist für
       mich immer wunderschön zu sehen, wie sich das Leben von trans Personen
       während der Transition zum Positiven verändert“, sagt Jansen.
       
       4 Aug 2020
       
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