# taz.de -- Investigatives Netzwerk in Lateinamerika: Zusammen stärker
> Durch Corona wird grenzübergreifender Journalismus noch wichtiger. In
> Lateinamerika wird dieser jetzt vermehrt erprobt – mit ersten Erfolgen.
IMG Bild: Einige lateinamerikanische Länder sind Corona-Hotspots. Hier eine Begrüßung in Brasilien
„Gemeinsam Daten auswerten, sie grafisch aufbereiten und publizieren, das
ist eine neue Herausforderung für Journalisten weltweit“, sagt Andrés
Bermúdez Liévano vom lateinamerikanischen Rechercheverbund CLIP. „Das haben
die [1][Panama Papers] gezeigt, genauso wie der Odebrecht-Skandal.“ Der
kolumbianische Journalist koordiniert das [2][CLIP, kurz für „Centro
Latinoamericano de Periodismo de Investigación“], also ein Zentrum für
investigative Recherche. Daran beteiligen sich mittlerweile Redaktionen aus
15 Ländern in der Region. Die Idee: Themen, die grenzübergreifend Wirkung
entfalten, müssen auch so recherchiert werden.
Gegenwärtig ist Corona ein solches Thema, denn fünf der zehn Länder mit den
höchsten Infektionszahlen sind laut Johns-Hopkins-Universität in
Lateinamerika: Brasilien, Mexiko, Peru, Chile und Kolumbien. Unter dem
Titel „Centinela Covid-19“ (deutsch: „Covid-19-Wächter“) recherchieren die
Teams aus den verschiedenen Ländern gemeinsam, wie die jeweiligen
Regierungen auf die Pandemie reagieren.
Mit dabei sind zum Beispiel die [3][IDL-Reporteros aus Lima in Peru]. Die
sechsköpfige, investigativ arbeitende Redaktion hat Anfang Juli die erste
gemeinsame Recherche von „Centinela Covid-19“ veröffentlicht: [4][über die
Beschaffung von Beatmungsgeräten und die extremen Unterschiede bei den
Einkaufspreisen pro Gerät]. „Bis zu 100.000 US-Dollar wurden pro Stück
ausgegeben, die je nach Ausstattung normalerweise zwischen 28.000 und
35.000 US-Dollar kosten“, sagt Andrés Bermúdez Liévano.
Der Rechercheverbund CLIP wurde im Mai letzten Jahres in Costa Rica
gegründet, soll aber in ganz Lateinamerika „Machtmissbrauch aufdecken und
sichtbar für die Bürger*innen machen“. Dazu sollen journalistische Kräfte
gebündelt, überstaatlich relevante Themen gemeinsam recherchiert und dann
koordiniert veröffentlicht werden – mit jeweils nationalem Zuschnitt.
## Gesundheit, Migration, Umwelt
Die Pandemie ist dabei nicht das einzige Thema, wo sich solch ein
grenzübergreifendes Vorgehen anbietet. Weitere sind die Migration aus
Afrika und Asien über Lateinamerika in Richtung USA sowie die Verteidigung
von Umweltressourcen in der Region.
Die Mitglieder von „Centinela Covid-19“ haben teils jahrzehntelange
Erfahrung mit der investigativen Recherche – auch angesichts teils
korrupter oder pressefeindlicher Eliten. So hat die peruanische Redaktion
IDL-Reporteros im [5][Bestechungsskandal um den brasilianischen Baukonzern
Odebrecht] in den letzten vier, fünf Jahren zahlreiche peruanische
Politiker zu Fall gebracht. Der Aufbau von Datenbanken im Kontext von
Korruption und Umweltzerstörung, Austausch bei Analyse und grafischer
Veranschaulichung werde immer wichtiger, sagt IDL-Gründer Gustavo Gorriti –
und lohne sich, wie die Recherche zum Kauf von Beatmungsgeräten zeige.
Oder nehmen wir [6][Bolivien]: Dort hat die Differenz zwischen den
gezahlten Preisen für Beatmungsgeräte und dem marktüblichen Preis zur
Entlassung des Gesundheitsministers geführt. Zu verdanken ist das unter
anderem den Recherchen der Tageszeitung El Deber, Mitglied bei „Centinela
Covid-19“. In Guatemala und auch in Peru müssen sich die
Gesundheitsbehörden nach der Publikation unbequeme Nachfragen und den
Vorwurf, chaotisch zu agieren, gefallen lassen.
„Centinela Covid-19“ ist nicht der einzige Rechercheverbund, der die meist
chronisch unterfinanzierten Gesundheitssysteme Lateinamerikas in Zeiten der
Pandemie ins Visier nimmt. Die gemeinnützige Redaktion [7][„Salud con
Lupa“] mit Sitz in Peru ging vor einem Jahr an den Start, um die
Gesundheitssysteme im politischen und ökonomischen Kontext zu hinterfragen.
Beide Netzwerke verbindet eine Arbeitsweise auf dem neuesten technischen
Stand: Experten sorgen für Netzwerksicherheit, den Aufbau von Datenbanken
und die Auswertung von großen Datenpaketen. Das dürfte der
Berichterstattung qualitativ einen Schub geben.
7 Aug 2020
## LINKS
DIR [1] /Reaktion-auf-Panama-Papers/!5289413
DIR [2] https://www.elclip.org/
DIR [3] /Kritischer-Journalismus-in-Suedamerika/!5521145
DIR [4] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1139787.mit-beatmungsgeraeten-abgezockt.html
DIR [5] /Odebrecht-Skandal-in-Lateinamerika/!5493368
DIR [6] /Coronavirus-in-Lateinamerika/!5698842
DIR [7] https://saludconlupa.com/
## AUTOREN
DIR Knut Henkel
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