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       # taz.de -- Weiße Hochschulen: Black Studies Matter
       
       > Die deutschen Unis schmücken sich gerne mit Diversität. Das Fach „Black
       > Studies“ kann man jedoch nirgends studieren.
       
   IMG Bild: „Decolonize Berlin“: das Bismarck-Nationaldenkmal am Tiergarten mit politischer Forderung
       
       Berlin taz | Seit dem Mord an dem [1][US-Amerikaner George Floyd] wird auch
       in Deutschland vermehrt über Alltagsrassismus und Polizeigewalt gesprochen.
       Über [2][Denkmäler], die Kolonialverbrecher würdigen, und Denker, deren
       Theorien auf rassifizierende Praktiken aufbauen. [3][Black Lives Matter]
       streift damit eine Schnittstelle zwischen der Gesellschaft und den
       Wissenschaften. Doch was bedeutet das für die Universitäten in Deutschland?
       Erhalten die Forderungen nach mehr Sichtbarkeit von postkolonialen Theorien
       und Black Studies neue Kraft?
       
       Seit Jahrzehnten ist die Auseinandersetzung mit der Sichtbarkeit von
       Schwarzen Wissenschaftler*innen, Wissenschaftler*innen of Color und deren
       theoretischen Perspektiven ein Anliegen von Autorinnen wie bell hooks oder
       Angela Davis, im deutschsprachigen Raum von Grada Kilomba, Aretha
       Schwarzbach-Apithy oder [4][Reyhan Şahin]. Diese Autorinnen kritisieren:
       Universitäten sind weiße Räume.
       
       Obwohl postkoloniale Theorien in den letzten Jahrzehnten sichtbarer wurden,
       fristen vor allem Black Studies in akademischen Diskursen eine
       Randposition. „Black Studies existiert in Deutschland immer noch nicht“,
       sagt Maisha-Maureen Auma, Professorin für Kindheit und Differenz von der
       Hochschule Magdeburg. Es gebe sie weder als eigenständigen Studiengang,
       noch als Wissenschaftsansatz, um Ressourcen an einem anderen Lehrstuhl zu
       bündeln und gezielt Schwarzes Leben in den Fokus zu stellen.
       
       Dadurch, so die Erziehungswissenschaftlerin und Geschlechterforscherin,
       fehle die Perspektive von rassistisch Marginalisierten. Einer
       hyperdiversen, postmigrantischen Gesellschaft werde das nicht gerecht.
       „Universitäten müssen unbedingt diverser werden.“
       
       ## Diversität als Schmuck
       
       Seit einiger Zeit betonen Universitäten im deutschsprachigen Raum,
       Forderungen nach Diversität umzusetzen. Blickt man auf ihre Websites,
       trifft man auf blumige Texte zu Diversity-Prädikaten,
       [5][Diversity-Konzepten] und Mission Statements. Die Universität Leipzig
       berichtet auf ihrer Website von einem neuen Diversity-Konzept, die Bochumer
       Ruhr-Universität brüstet sich, „2011/2012 in Strategiesitzungen mit dem
       Thema Diversity und Inklusion beschäftigt“ zu haben.
       
       Andere Universitäten sind ausführlicher: [6][Die Berliner
       Humboldt-Universität (HU)] thematisiert etwa auf ihrer Website in Reaktion
       auf Black Lives Matter in mehreren, langen Beiträgen auch den Rassismus an
       der Hochschule. Auf Anfrage erklärt die Freie Universität Berlin (FU), dass
       sie „den Gedanken der Diversität“ unterstütze. Auf die Frage, wie es um die
       Sichtbarkeit von Lehrpersonen und Studierenden of Color und Diversität von
       Curricula steht, erhält man eine ausführliche Antwort, die aber vor allem
       bei der Gleichstellung zwischen den Geschlechtern konkreter wird.
       Kritiker*innen sehen in solchen Darstellungen den Versuch vieler
       Hochschulen, ihr Bild nach außen hin zu verbessern, ohne strukturelle
       Veränderungen anzugehen.
       
       Maisha-Maureen Auma hat in Kiel promoviert, ist Professorin in Magdeburg
       und lehrt seit 2014 als Gastprofessorin an der Humboldt-Universität Berlin.
       Sie kennt akademische Räume in Deutschland, und sie sagt: „Generell gilt,
       dass die Weltauslegungen rassistisch marginalisierter Menschen, vor allem
       Schwarzer Wissenschaftler*innen, in deutschen akademischen Institutionen am
       Rande vorkommen oder fehlen. Das liegt daran, dass Schwarze
       Wissenschaftler*innen vorwiegend in prekären, temporären Positionen
       partizipieren und erhebliche Barrieren überwinden müssen, um dauerhaft in
       akademischen Institutionen Platz zu bekommen.“
       
       ## Rassistische Strukturen
       
       Auch deswegen hat die Studentin Naledi Mmoledi vor zwei Jahren mit einer
       Gruppe von Studierenden an der Freien Universität Berlin ein
       BIPoC-Kollektiv mitgegründet, das erste Kollektiv dieser Art in der
       Geschichte der Universität. „Wir versuchen, uns gegenseitig zu stärken und
       unsere kollektive Stärke in den Aufbau von Strukturen zu lenken, die uns
       helfen können, wenn wir Rassismus von Dozierenden, Studierenden und
       Universitätsmitarbeitenden begegnen. Diese Strukturen existieren ansonsten
       nicht.“
       
       Die Gruppe kritisiert nicht nur gängige Diversitätskonzepte, sondern
       hinterfragt auch das Konzept der Diversität selbst. Diversität sei ein
       Ablenkungsmanöver, erklärt Mmoledi, das strukturelle Ungleichheiten nicht
       verändert. Sie nennt Ansätze, um Universitäten als weiße Räume zu
       dekonstruieren und zu öffnen: die Beschäftigung von Schwarzen Dozierenden,
       ein Überdenken von Lehrplänen unter Berücksichtigung dekolonialer Theorien,
       Gelder, um Schwarze Berater*innen einzustellen.
       
       Struktureller Rassismus wird an Universitäten auf mehreren heterogenen
       Ebenen sichtbar: Da wären die Studierenden wie Naledi Mmoledi. Da wären
       aber auch die Beschäftigten der Universität, die Universitätsleitung und
       die Lehrenden, die wiederum unterschiedliche Statusgruppen bilden. Und da
       wären die Curricula. Diese Ebenen sind eng verflochten, und doch müssen sie
       getrennt betrachtet werden. Zum Beispiel, erklärt Jennifer Chan de Avila,
       weil gesetzliche Rahmen wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz auf sie
       unterschiedlich zutreffen – Angestellte der Uni können sich darauf berufen,
       Studierende nicht.
       
       Chan de Avila forscht und lehrt zu kritischer Diversität, außerdem
       begleitet sie die Entwicklung des Diversity-Konzeptes der FU Berlin.
       Dozierende beschreibt Chan de Avila als Multiplikator*innen: Weil sie oft
       das lehren, was sie selbst einmal gelernt haben oder was ohnehin viel
       besprochen wird. Aber auch, weil ihnen durch den unmittelbaren Kontakt mit
       Studierenden große Verantwortung zukommt. Eine Kernfrage ist für sie
       deswegen: Wer lehrt an Universitäten?
       
       ## Uni-Zahlen zur Hautfarbe? Gibt es nicht
       
       Womit eine der größten Schwierigkeiten sichtbar wird, sagt Chan de Avila:
       die Zahlen. „Bei Angestellten kennen wir Nationalität, Alter, Geschlecht.
       Bei Studierenden kennen wir das Geschlecht, wir wissen mit welchem
       Abschluss sie an die Universität gekommen sind, wo sie wohnen. Damit ließe
       sich annähernd sogar die soziale Klasse erschließen“, erklärt sie. Aber
       Universitäten nutzten diese Zahlen aus Datenschutzgründen kaum, und wenn,
       dann nicht mit einem intersektionalen Ansatz. „Wonach gar nicht erst
       gefragt wird, ist alles, was mit Ethnizität oder Hautfarbe zusammenhängt.“
       
       Wer also wissen will, wer an Universitäten lehrt, muss mutmaßen: Die
       häufigsten Vornamen unter Dozierenden in Deutschland sind laut einer
       Auswertung von „ZEIT Campus“ Hans (2.109-mal), Klaus (1.566-mal) und Peter
       (1.509-mal). Der erste Frauenname ist Susanne auf Platz 62 (212-mal).
       Welche Dozierenden aber weiß sind oder nicht, lässt sich daraus nicht
       ableiten. „Wer sich an einer Universität umschaut, wird sofort sehen: Es
       gibt einen totalen Mangel an Repräsentation“, sagt Chan de Avila. „Selbst
       bei Universitäten, die unter den wissenschaftlichen Mitarbeitenden einen
       hohen Frauenanteil haben, werden diese Frauen in der Regel weiße, deutsche
       Frauen mit akademischem Hintergrund sein.“
       
       Eine Auseinandersetzung mit strukturellen Rassismus sei allerdings erst
       dann wirklich möglich, wenn Ungleichheiten erfasst würden, so Chan de
       Avila. Sie beschreibt einen Teufelskreis: Wegen der Geschichte sprächen
       Deutsche ungern über Rassismus. Die fehlende Sichtbarkeit trage letztlich
       auch dazu bei, weshalb gar nicht genügend Daten gesammelt würden. Am Ende
       fehle die Diskussionsbasis.
       
       Und sie sieht noch eine Hürde: „Es gibt vor allem in Deutschland noch immer
       diese Idee, Wissenschaft sei objektiv und neutral. Solange nicht darüber
       nachgedacht wird, dass Wissenschaft von Machtfragen durchzogen ist, ist es
       kaum möglich, Vielfalt durchzusetzen, da sie immer als etwas Subjektives
       angesehen wird.“
       
       ## Ein Gesprächsanfang?
       
       Wie Sichtbarkeit und Gleichberechtigung an Universitäten verhandelt werden,
       hängt also mit gesellschaftlichen Diskursen zusammen. Sie übersetzen sich
       auf Universitäten, bedingen sich gegenseitig – auch Black Lives Matter.
       „Das Thema Rassismus, insbesondere struktureller Rassismus ist noch nie von
       einem solchen großen Anteil der Bevölkerung so stark in der Öffentlichkeit
       problematisiert worden“, sagt die Professorin Maisha-Maureen Auma.
       
       Was auch dazu führe, dass Anliegen der Bewegung samt ihrer Schwarzen,
       [7][queer-feministischen] Wissensbezüge innerhalb von Universitäten mehr
       diskutiert und vermittelt würden. Zuletzt habe sie mit Schwarzen Lehrenden
       ganz konkret über ein Curriculum zu Black Lives Matter aus dem
       nordamerikanischen Raum diskutiert. Auch Jennifer Chan de Avila beobachtet
       einen Wandel: „Die wichtigste Veränderung, die ich sehe, ist wie
       Studierende Druck machen. Sie fordern von den Dozierenden, mehr
       Perspektiven einzubinden, auch intersektional zu denken.“
       
       Aber die Wissenschaftlerinnen sind sich noch in einem anderen Punkt einig:
       Universitäten seien träge Institutionen, die sich nur langsam bewegen. Die
       Studentin Naledi Mmoledi bezweifelt, inwiefern die Bewegung überhaupt einen
       wirklichen Wandel bei Universitäten bewirken wird. Sie erkennt aber an,
       dass unter Studierenden – insbesondere solchen of Color – vermehrt über
       antischwarzen Rassismus gesprochen wird. Vielleicht kann Black Lives Matter
       für universitäre Räume auch das sein: ein Gesprächsanfang.
       
       7 Aug 2020
       
       ## LINKS
       
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