URI: 
       # taz.de -- Ausschuss zu Justizskandal in Hessen: Neues aus dem Problembundesland
       
       > Hessen kommt nicht zur Ruhe: Ein Korruptionsskandal erschüttert das Land.
       > Verhaftet wurde unter anderem ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft.
       
   IMG Bild: Unter Druck: Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann
       
       Frankfurt a. M. taz | Sie sei „entsetzt und fassungslos“, sagte am
       Donnerstag vor dem Rechtsausschuss des Landtags die Landesjustizministerin
       Eva Kühne-Hörmann (CDU) und sprach von einem „beispiellosen Fall“.
       Ausgerechnet der landesweit für die Bekämpfung von Korruption und
       Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen zuständige Staatsanwalt hat offenbar
       „die Seiten gewechselt“ und seine Kompetenz genutzt, um privat
       abzukassieren. Seit dem 23. Juli sitzt Oberstaatsanwalt Alexander B. nun
       wegen des Verdachts der Bestechlichkeit in Untersuchungshaft.
       
       Nach bisherigen Ermittlungen hat er allein im Zeitraum nach 2015 rund
       300.000 Euro „Schmiergelder“ eingestrichen, davor habe es illegale
       Einnahmen in ähnlicher Größenordnung gegeben, sagte ein Sprecher der
       Ermittlungsbehörde. Alle Kontrollmechanismen hätten offenbar versagt,
       beklagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Günter Rudolph und forderte die
       Ministerin auf, die politische Verantwortung für den Skandal zu übernehmen.
       Auch der offizielle Geschäftsführer einer GmbH, über die Alexander B.
       abkassiert haben soll, sitzt in Haft; bislang gebe es insgesamt fünf
       Beschuldigte, so die Behörde.
       
       Weder die Innenrevision noch die Dienstaufsicht ist auf den schwerwiegenden
       Korruptionsfall aufmerksam geworden. Es war eine Strafanzeige aus dem
       „persönlichen Umfeld“ des Beschuldigten, die im August 2019 verdeckte
       Ermittlungen auslöste.
       
       Nach den bisherigen Erkenntnissen hat Alexander B. bereits 2005 als
       „faktischer Geschäftsführer“ zusammen mit einem Schulfreund eine GmbH
       gegründet, die auf die Beratung von Behörden zu Fragen der Abrechnungen im
       Gesundheitswesen spezialisiert war. B. nutzte seine herausgehobene
       Positionspäter, um „seiner“ Firma Aufträge im Volumen von mehreren
       Millionen Euro zuzuschanzen.
       
       Ein Teil der Gewinne sei auf ein Girokonto überwiesen worden, auf das B.
       unter einem anderen Namen Zugriff gehabt habe. Monatlich konnte er so
       durchschnittlich über 4.000 Euro verfügen. Nach bisherigen Erkenntnissen
       gab es noch eine zweite Firma, die nach ähnlichem Modell gearbeitet haben
       soll. Auch von ihr bezog B. offenbar Schmiergelder in Höhe von 66.000 Euro.
       
       Der SPD-Abgeordnete Rudolph zitierte ein Schreiben des Berufsverbands der
       niedergelassenen Chirurgen, nach dem sich der Verband bereits 2017 beim
       Sozialministerium und beim Justizministerium über B. beschwert habe. Es sei
       offenbar das „System B.“ gewesen, Ärzte und Institutionen mit Gutachten
       unter Druck zu setzen und anschließend Ermittlungsverfahren gegen Zahlungen
       einzustellen, so der Vorwurf. Die Kosten wurden jeweils aus der Staatskasse
       bezahlt.
       
       Die Ministerin versicherte, in der hessischen Justiz würden Konsequenzen
       gezogen. Ab sofort gelte auch für die Generalstaatsanwaltschaft das
       „Vieraugenprinzip“. Der in privaten und öffentlichen Verwaltungen gängige
       Grundsatz, dass Aufträge niemals von einer Person allein vergeben werden
       dürfen, galt dort offenbar bislang nicht.
       
       Auch wegen der bislang [1][erfolglosen Ermittlungen zu den Urhebern der
       „NSU 2.0“-Drohmails] bleibt die hessische Justiz unter Druck. Zuletzt war
       bekannt geworden, dass PolizeibeamtInnen, die Zugriff auf die
       Polizeicomputer gehabt hatten, von denen illegal Datenabrufe erfolgt waren,
       spät oder noch gar nicht vernommen wurden. Der Dezernatsleiter der
       Staatsanwaltschaft Frankfurt rechtfertigte das mit den Erfahrungen aus dem
       Fall der [2][Drohungen gegen die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız].
       Justizministerin und Staatsanwaltschaft versicherten, es werde nach wie vor
       intensiv und kontinuierlich ermittelt.
       
       6 Aug 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Innenausschuss-zu-NSU-20-Drohschreiben/!5695710
   DIR [2] /Drohung-gegen-Anwaeltin-Baay-Yldz/!5626256
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christoph Schmidt-Lunau
       
       ## TAGS
       
   DIR NSU 2.0
   DIR Schwerpunkt Korruption
   DIR Justizskandal
   DIR Hessen
   DIR Rechtsausschuss
   DIR IG
   DIR Schwerpunkt Rechter Terror
   DIR Biologie
   DIR Innenausschuss
   DIR NSU 2.0
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR taz-Recherche zum „NSU 2.0“: Wieder Polizeidaten abgefragt?
       
       Seit zwei Jahren wird die Anwältin Seda Başay-Yıldız vom „NSU 2.0“ bedroht.
       Eine neue Drohmail nennt sogar ihre aktuelle Adresse.
       
   DIR Verdächtiger im Fall „NSU 2.0“: Der Schlangenzüchter
       
       Ein bewaffneter Ex-Polizist in Landshut wird im Zuge der „NSU
       2.0“-Ermittlungen festgenommen. Er pflegt offenbar eine Nähe zur
       Lokalpolitik im Ort.
       
   DIR Homophobe Aussagen: Geldstrafe für Evolutionsbiologen
       
       Das Amtsgericht Kassel hat einen Professor zu einer Strafe von 6.000 Euro
       verurteilt. Er hatte Homosexuelle als „Kinderschänder“ verunglimpft.
       
   DIR Innenausschuss zu NSU-2.0-Drohschreiben: Keine Spur zu den Datenabfragern
       
       69 Drohschreiben mit Bezug zum „NSU 2.0“ seien verschickt worden, sagte
       Hessens Innenminister. Die Ermittlungen kommen kaum voran.
       
   DIR Aufklärung von „NSU 2.0“-Drohmails: Das laute Schweigen der Grünen
       
       Wegen des Skandals um „NSU 2.0“-Drohmails steht der hessische Innenminister
       schwer in der Kritik. Die Grünen sind auffällig leise.