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       # taz.de -- Nach dem historischen Durchbruch: Es lebe die EU!
       
       > Was wird aus der CDU/CSU ohne Merkel? Das ist die zukunft- und
       > wahlentscheidende Frage nach dem EU-Gipfel in dieser Woche.
       
   IMG Bild: Was kommt, wenn Angela Merkel geht?
       
       Dass man sich in Deutschland jetzt über unsolidarische Niederländer und
       Österreicher aufregt, ist die beste Pointe an dem Zaubertrick, mit dem
       Kanzlerin [1][Merkel in dieser Woche] nach vielen matten Jahren die EU doch
       noch vorangebracht hat. Okay, der nationalkonservative FDP-Chef Lindner
       sieht das anders, aber deshalb ist er halt auch zum „Mr. 5 Prozent“
       avanciert. Die liberale Mehrheitsgesellschaft dagegen unterstützt dank des
       zeitgemäßen Führungsgeschicks ihrer Kanzlerin eine institutionelle
       Weiterentwicklung der EU zur Fiskalunion. Und die EU könnte ein Stück
       vorwärtskommen.
       
       Ja, wie? Müssen wir uns nicht empören, wie schlimm das wieder lief, wie die
       hehren europäischen „Werte“ missbraucht wurden für nationale Interessen –
       und dann auch noch Orbán? Nö, das wäre Ignoranz gegenüber dem Wesen von
       institutionalisiertem Streit und der Verschiedenartigkeit der europäischen
       Gesellschaften. Ich bin da bei Reinhard Bütikofer, dem Europastrategen der
       Grünen. „Das ist nicht der Geist der europäischen Gemeinsamkeit, aber es
       ist Realität, die wir zur Kenntnis nehmen müssen“, sagt Bütikofer. Und dann
       zählt er auf, was sein Wording vom „historischen Durchbruch“ rechtfertigt,
       nämlich die strukturelle Entwicklung durch den Bruch mit drei vormaligen
       Tabus (gemeinsame Schulden, Transferunion, EU-Steuern) und die
       Fastverdopplung des ökonomischen Volumens von 1 auf 1,8 Billiarden Euro,
       was die Bedeutung der EU-Kommission steigen lässt (wer zahlt, schafft an).
       
       Den Streit innerhalb der EU kann man im Sinne von Aladin El-Mafaalanis
       „Integrationsparadox“ auch als Fortschritt sehen. Offene Gesellschaften
       erzeugen Gegenbewegungen und machen Interessen-, Verteilungs- und
       Zugehörigkeitskonflikte sichtbar. Nur autoritäre Salonlinke verlangen, dass
       man sich als Gemeinsames auf das verständigt, was sie selbst
       verabsolutieren.
       
       ## Konflikte produktiv machen
       
       In einer EU von 27 sich emanzipierenden Ländern können auch Deutschland und
       Frankreich nicht einfach „führen“ im Sinne von „bestimmen“. Führen heißt,
       die Konflikte produktiv machen. Also derzeit die zwischen den zwei Leadern,
       den Südländern, den Ostländern und der neuen Allianz der Nordeuropäer plus
       Österreich. Dabei muss man sich auch von Böse-gut-Denkgewohnheiten oder
       Geschlechteridealisierungen verabschieden. Die angeblichen „Nationalisten“
       sind nicht nur rechtskonservativ (Kurz) oder keine-Ahnung-was (Rutte),
       sondern vor allem sozialdemokratisch (Dänemark, Schweden, Finnland). Junge
       Staatschefinnen und drei kleine grüne Koalitionspartner machen auch mit. Zu
       dieser komplizierten neuen Realität gehört vor allem auch, dass keine der
       Gruppen und kein Mitgliedsland die Bekämpfung des Klimawandels zur
       Priorität gemacht hat, auch die Bundesregierung nicht.
       
       Je näher das Ende der Kanzlerinnen-Ära Merkel rückt, desto größer ist die
       Versuchung, die schwammigen Jahre zu ignorieren und das Ende zu
       glorifizieren. Das bringt nichts. Es geht darum, zu verstehen: Wo Merkel
       heute ist, da ist die liberale Mehrheitsgesellschaft, deren Kanzlerin sie
       ist. Das deckt sich aber – wie auch bei EU-Kommissionspräsidentin von der
       Leyen – nicht mehr mit der Partei, aus der sie kommt. Die ist wohl in
       relevanten Teilen dahinter. Und es deckt sich auch nicht mit den
       politischen Notwendigkeiten der Gegenwart. Die liegen vor uns. Deshalb darf
       es keinen Bundestagswahlkampf geben, in dessen Zentrum nicht Europa und
       Wirtschaftsmodernisierung mit Doppelblickrichtung auf Arbeitslose und
       Klimakrise steht. Wohin will die Union ohne Merkel? Vor oder zurück? Das
       ist die zukunftentscheidende Frage. Und nicht, wer antritt.
       
       25 Jul 2020
       
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