URI: 
       # taz.de -- Neues Album von Denai Moore: Schluss mit kranken Machtgefällen!
       
       > Die Sängerin Denai Moore verwebt auf ihrem dritten Album „Modern Dread“
       > clubaffine UK-Garage-House-Beats mit treibendem R&B.
       
   IMG Bild: Im Pop-Art-Universum von Denai Moore
       
       Denai Moore schaltet ihre Videochat-Kamera an, und es wirkt, als strahle
       ein überdimensionaler Heiligenschein um sie herum. Was für eine Aura, wie
       auf ihrem aktuellen Plattencover, wo sie einer Klangkönigin gleich thront.
       Noch mal Blinzeln. Aber nein, im Videochat ist nun der leuchtende Schein
       „nur“ eine gigantische geflochtene Sitzschale, die sich im Hintergrund über
       ihren Kopf aufspannt.
       
       Denai Moore, Jahrgang 1993, lacht und wiegelt ab: „Den hab ich hier auf dem
       lokalen Vintage-Markt gekauft.“ Sie sagt das sympathisch amüsiert, Allüren
       scheinen ihr fremd. Denai Moore ist offenbar keine, die abhebt, bloß weil
       wichtige Referenzen wie das britische Musikmagazin The Fader sie zu einer
       der spannendsten Musik-Acts zurzeit küren.
       
       Die in Jamaika geborene und dort bis zu ihrem neunten Lebensjahr
       aufgewachsene Britin Denai Moore legt gerade mit ihrer dritten
       Studioplatte, „Modern Dread“, ein sehr vorwärtsgewandtes R&B-Album vor, von
       dem man sagen kann: Das ist [1][Beyoncé] für Leute, die es zwei Spuren
       elektronischer mögen. Das Album handelt direkt im Opener „Too Close“ schon
       davon, sich aus einer toxischen Beziehung herauszuwagen.
       
       Wenn man so will, ist das die sehr viel nuanciertere Version von Beyoncés
       Stadion-Smasher „Single Ladies“ von 2008, denn Denai Moore gibt in ihren
       Lyrics auch dem Hadern und Zaudern psychoplausibel viel Raum: Mutmaßlich
       symbiotische Abhängigkeiten sind ja gerade so gefährlich, weil man sich
       nicht so ohne Weiteres aus ihnen befreien kann. Kleiner Spoiler: Dem
       lyrischen Ich bei Denai Moore gelingt es freilich doch: „Du hast ja
       Nerven“, singt Denai Moore dann (natürlich auf Englisch), „zu denken, dass
       du hier rumlabern kannst, als ob nix passiert wäre. Ich hab’ keine Angst
       mehr vor dir.“ Die selbstermächtigenden Songs von Denai Moore sind ein
       starkes weibliches Nein an kranke, krankmachende Machtgefälle.
       
       In der Tradition von Janet Jackson und Neneh Cherry 
       
       Clubaffine UK-Garage-House-Beats verweben sich auf dem Album mit treibendem
       R&B – und unterlegen trefflich Denai Moores fantastisch herausgestellte
       Vocals. Das kann einen erinnern an Mary J. Bliges, ebenfalls vom Londoner
       Club-Sound inspirierte R&B-Platte „The London Sessions“ (2014), wobei Mary
       J. Blige seinerzeit mehr noch an Gospel und Piano interessiert schien als
       nun Denai Moore, bei der die Instrumente elektronischer gestimmt sind. Die
       USA haben Mhysa und Kelela. Kanada hat Cold Specks. Und England hat Denai
       Moore. Das sind Frauen, die, eine Generation nach Janet Jackson und Neneh
       Cherry, besonders aufregende Impulse im R&B setzen, wenn auch weniger im
       Spotlight als Beyoncé und Solange.
       
       „Modern Dread“, moderne Furcht, so der Album-Titel, doch was meint sie
       damit? „Lärmende Nachrichten“, sagt sie, „können Ängste auslösen.“ Im Track
       „Turn Off the Radio“ geht es, wie der Titel schon triggert, darum, das
       Rundfunkgerät mal zeitweise auszuschalten. „Zu tief hatten sich letztes
       Jahr die Radiostimmen in meinem Kopf eingenistet“, erzählt Moore. „Donald
       Trump musste bloß seine Zufallsdummheit des Tages raushauen, zum Beispiel
       zum Klimawandel – und schon hat es mich aus der Bahn gehauen.“
       
       Worum es Denai Moore geht, ist mitnichten naiver Eskapismus, sondern, im
       Gegenteil: sich die eigene Handlungsfähigkeit zu bewahren: „Wir sind Teil
       einer Generation, die viel mehr in Echtzeit mitbekommt“, sagt sie. „Und so
       wichtig es ist, Nachrichten, etwa über Rassismus, zu lesen und diese
       überaus unangenehmen Gespräche darüber zu führen – so wichtig ist es auf
       der anderen Seite auch, sich nicht permanent zu viel davon zuzumuten. Sonst
       fällt man noch in eine mentale Schockstarre!“
       
       Zusammenarbeit mit SBTRKT 
       
       Es passt wohl zu dieser Einstellung des Luftholens, dass Denai Moore vor
       anderthalb Jahren, mitten während der Arbeiten zu „Modern Dread“, von
       London ins südostenglische Margate gezogen ist, eine 60.000-Seelen-Stadt
       mit Strand. Eine halbe Autostunde nördlich von Dover, wo die Fähre nach
       Frankreich ablegt. Dabei hatte alles so urban im Clubkontext von London
       angefangen mit Denai Moore. Durch eine Zusammenarbeit, im Studio und auf
       Tour, mit dem in Nairobi geborenen [2][Electro-Produzenten SBTRKT], dessen
       massiver Sound Denai Moore bis heute prägt: „Die Welt fühlt sich so
       dringlich an zurzeit“, sagt sie. „Das soll sich auch in meinen Sounds
       widerspiegeln.“
       
       Die Beats sind hart und schnell, gemessen am Kuschelkonsensradio-R&B. „Ich
       will mich auch nicht hinter Hall-Effekten oder Klangweichzeichnern
       verstecken“, sagt Denai Moore. Es ist ihr wichtig, etwas zu liefern, das
       klar zuversichtlich, aber auch klar verletzlich klingt – mit einem vollen,
       an Texturen hyperreichen Klang: wabernde Synthies, Blechbläser-Einwürfe.
       Und im Zentrum: diese Stimme, wow, der man jede Silbe glauben muss, so
       intensiv wie Denai Moore intoniert.
       
       „Es ist mir wichtig“, sagt Denai Moore, „zu dieser Zeit, in der so viel
       Ungerechtigkeit geschieht und Leute darauf reagieren, auch Schwarzen
       Künstler:innen zuzuhören, wenn sie über Erfreulicheres singen. Schwarzer
       Schmerz? Ja, aber bitte auch Schwarze Freude! Lasst uns über Schwarze
       Autor:innen sprechen, die uns inspirieren! Dann kommen Positionen zu Gehör,
       die ansonsten untergehen würden.“ Sie atmet tief durch. „Diese
       Künstler:innen zu supporten – auch das schraubt letztlich am System.“
       
       30 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Neues-Album-von-Beyonce/!5609054
   DIR [2] /Postdubstep-aus-London/!5032434
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Hochgesand
       
       ## TAGS
       
   DIR Musik
   DIR Popmusik
   DIR Neues Album
   DIR elektronische Musik
   DIR Rap
   DIR Musik
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Elektro-Avantgarde: Die Transformerin
       
       Das Album „KiCk i“ der aus Venezuela stammenden Elektro-Produzentin und
       Björk-Gefährtin Arca kreist um Transformation. Aber kickt es auch?
       
   DIR Straßenphilosophische Pop-Musik: Der Teufel hat ihn vermisst
       
       Mike Skinner hat 2001 das Rap-Projekt The Streets gegründet, um den
       Lifestyle britischer Jugendlicher zu reflektieren. Nun gibt’s ein neues
       Mixtape.
       
   DIR Neues Album „Sui Sui“ von Haiyti: Es reimt sich auf Louis Vuitton
       
       Ronja Zschoche alias Haiyti ist eine Sphinx des Deutschrap. Ihr neues Album
       „Sui Sui“ steckt einmal mehr voller Widersprüche.