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       # taz.de -- „Rollentausch auf dem Weg zu größerer Parität“
       
       > Die Polizei in der Kunst (6): Dawn Mellor porträtiert in „Sirens“
       > Schauspielerinnen als Polizistinnen – als Verkörperungen von Autorität
       > wie Objekte der Begierde
       
   IMG Bild: Dawn Mellors „Police Constable Jamila Blake (Lolita Chakrabarti)“ aus dem Jahr 2016 befindet sich heute in der Sammlung der Tate Modern
       
       Von Sebastian Strenger
       
       „Ich möchte Entdeckungen machen, die Arbeit durchdenken und die Betrachter
       zu bestimmten Themen hinführen“, so die Künstlerin Dawn Mellor über ihr
       Ölgemälde „Police Constable Jamila Blake (Lolita Chakrabarti)“. Es operiert
       wie die anderen Leinwände ihrer Serie „Sirens“ auf zwei verschiedenen
       Ebenen – einerseits zeigt es realistisch wiedergegebene Elemente der
       Porträtmalerei, andererseits heftige Verunstaltungen und visuellen Lärm,
       der sich über das gesamte Sujet legt. In unserem Beispiel findet sich
       Lolita Chakrabarti vergleichsweise freundlich, im vollen Ornat ihrer
       Polizeiuniform als Police Constable Jamila Blake aus der Serie „The Bill“,
       wiedergegeben. Wir sehen sie, wie sie neugierig ihr Ohr an eine Ziegelmauer
       legt – was uns, die Betrachter, dazu bringt, ergründen zu wollen, was sich
       auf der anderen Seite befindet. Ist es das Verbrechen, das Opfer, die
       Hinweise, die Katharsis?
       
       Die heute 50-jährige Dawn Mellor entwickelte 2016 mit ihrer Serie einen
       neuen Korpus von Gemälden, die jeweils eine britische Schauspielerin
       zeigen, die eine Polizeibeamtin darstellt. Der Titel ist mehrdeutig, sowohl
       Anspielung auf das Signalhorn von Polizeiautos wie auf Hollywoods große
       weibliche Filmstars, die nach dem Vorbild der tödlichen Verführerinnen der
       griechischen Mythologie als Sirenen bezeichnet wurden.
       
       Dabei wählte die in Manchester geborene und jetzt in London arbeitende
       Künstlerin Bilder von Polizistinnen aus, die in Filmen und Krimiserien wie
       „The Bill“, „Prime Suspect“, „Broadchurch“ und „Happy Valley“ mitspielen.
       Insgesamt 20 Frauenporträts wurden es, die abwechselnd stoisch, verwirrt,
       entspannt und verängstigt den Betrachter anschauen.
       
       „Es ist für mich unmöglich, berühmte Figuren aus dem Mainstream zu malen,
       ohne historische Darstellungen in Bezug auf Klasse, Geschlecht, Rasse oder
       Sexualität zu berücksichtigen“, so Mellor. Dadurch untersucht sie das
       gesamte Spektrum – wie Figuren in den Massenmedien dargestellt und wie sie
       rezipiert werden, was dann von Ambivalenz zu Ressentiments und
       Feindseligkeit, aber auch Verehrung bis hin zum Stalking durch Fans reichen
       kann.
       
       „Das Fernsehen war einer der wenigen Bereiche, in denen ich als Kind Zugang
       zu Informationen hatte, als ich aufwuchs. Das war vor dem Internet, und
       ich glaube, es machte mich als Kind anfällig für Manipulationen. In meinen
       frühen Jahren wurde ich durch den exzessiven Konsum von Mainstream-Stars
       aus verschiedenen kulturellen Bereichen verführt, weil ich keinen Zugang zu
       anderen Stimmen hatte. Ich bin daran interessiert, Fragen darüber zu
       stellen, welche Behörden herausgefordert oder verspottet werden“, so Dawn
       Mellor.
       
       Stellenweise ist ihre Zuneigung zu den gewählten Figuren sehr groß. Ihre
       Bilder sind erotisch, gleichzeitig absurd, wobei sie einige wenige Muster
       der Entstellung zeigen: Jede Frau ist auf eine Büste reduziert, eingetaucht
       in eine Art apokalyptischer Flut. Um die dicht an die Ziegelwand gepresste
       Police Constable Jamila Blake lässt Mellor eisiges Wasser aufsteigen. Ihr
       Gesicht ist ein wenig gerötet – Make-up wird sichtbar.
       
       Für die queere Künstlerin verkörpern Polizistinnen abstrakte staatliche
       Autorität, die im Alltag immer noch als männlich gedacht ist. Sie sind aber
       auch akute Objekte der Begierde in einem Drama, das von weiblicher
       Ermächtigung, aber auch Gefährdung handelt. Vom Triumph des Guten über das
       Böse, von rhetorischer Macht, der Autorität von Wahrheit über Chaos und
       irrationale Gewalt.
       
       „Die Leute bei der Polizei“, erinnert sich Mellor an ihre Kindheit,
       „verheimlichten oft die Tatsache, dass sie Polizisten waren, vor den
       Nachbarn und gingen zum Beispiel nicht in Uniform nach Hause, weil Leute
       aus der Arbeiterklasse die Polizei verurteilten.“ Die aktuellen Proteste
       gegen Polizeigewalt zeigen, so die Künstlerin, die sich als Kind der
       Arbeiterklasse definiert, dass „die sexuelle Dynamik von Machthabern und
       Machtlosen und der Rassismus allesamt einer intensiven Prüfung unterzogen
       worden sind, und die Öffentlichkeit heiß ist auf eine reale und/oder eine
       symbolische Konfrontation. Vielleicht auch auf einen Rollentausch auf dem
       Weg zu größerer Parität.“
       
       Die nationale wie internationale Auseinandersetzung über Polizeigewalt und
       wie diese Auseinandersetzung journalistisch zu führen ist, brachte unseren
       Autor Sebastian Strenger auf die Idee, einmal nachzuschauen, wie die
       Polizei Motiv der Kunst wird. Weitere Texte folgen.
       
       10 Aug 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sebastian Strenger
       
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